Tacitus Redivivus: „Die große Trommel“
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Hitler, schon 1930 klar gesehen
05:40 Minuten
Tacitus Redivivus
Die große Trommel. Leben, Kampf und Traumlallen Adolf Hitlerswbg Theiss, Darmstadt 2022192 Seiten
22,00 Euro
1930 veröffentlicht der Journalist Max Hochdorf unter dem Pseudonym Tacitus Redivivus ein geradezu prophetisch hellsichtiges Buch über Adolf Hitler. Eine kommentierte Ausgabe macht den Text jetzt endlich auch für heutige Leser wieder verfügbar.
Wer ist Adolf Hitler? Das fragt der Journalist Max Hochdorf unter dem Pseudonym Tacitus Redivivus im Jahr 1930. Gerade hat die NSDAP im Reichstag ihren Anteil von 2,6 Prozent (1928) auf 18,3 Prozent verachtfacht. Da entwirft Hochdorf ein politisches Psychogramm.
Eine erschütternd prophetische Polemik
Seine Quellen hätten die aller sein können: Seit Mai 1930 lag Mein Kampf als Volksausgabe vor, dazu publizierte Reden, Zeitungsberichte, das Parteiprogramm der NSDAP und ein Volksbuch vom Hitler (1924) von einem gewissen Georg Schott. Der erklärt, Hitler sei „im Grunde gar kein sterblicher Mensch“, sondern ein „Traumlaller“: „Alles was seit Jahrhunderten in der Seele des Volkes rang und sang, es sammelte sich in Hitler an.“ Darauf verweist der Untertitel dieser erschütternd prophetischen Polemik.
Der Haupttitel geht auf den Psychoanalysierten selbst zurück: „Ich wollte nichts als der Trommler für das dritte Reich sein.“ Hochdorf findet nach der schicksalhaften Wahl, jetzt sei es „notwendig, den Führer dieser Revolution, der sich nicht im Hinterhalt verbirgt, der Tag und Nacht von sich reden macht, … bis in den Grund kennen zu lernen.“
Verblüffend offenliegende Quellen
Es verblüfft, dass die allgemein verfügbaren Quellen dies mit Blick auf das, was kommen sollte, derart punktgenau zugelassen haben. Der Antisemitismus zum Beispiel: Georg Schott schrieb: „Es wird nicht eher Ruhe, als bis die Laternenpfähle vollhängen.“
Hochdorf erläutert: „Er gibt nur wieder, was er vom Meister lernte.“ Und fügt hinzu: „Die Jungen finden in der Feldzeugmeisterei Stücke und Gamaschen und auch die Begeisterung, um, sobald es ihnen rechtens dünkt, Pflastersteine aufzulesen und die Schaufenster der Marxisten und Juden zu zerschmettern.“
Die Widersprüche in Hitlers kruden Theorien werden ebenso offengelegt wie die Prägungen des angehenden „Führers“: „Als Ersatz für die Glücksgüter, die ihm versagt wurden, schuf er das Großdeutschentum“. Dem folgte das Geschwafel vom „Lebensraum im Osten“, unverhohlen in Verbindung mit dem Programm einer „Verewigung des Kriegs“.
„So einfach, aber auch so gefährlich sind die Hitlerschen Gedankengänge.“ Und so offen lagen sie.
Führertaktik in Berlin und Moskau
„Hitler ist mit seiner Führertaktik durchaus Gesinnungsgenosse der Herren im Kreml“, schreibt Hochdorf, nimmt quasi den Systemvergleich künftiger Debatten vorweg. Und er erläutert vorausschauend, was die Geschichtsschreibung später rückwirkend rekonstruiert: Hitlers Außenpolitik.
Erst einmal „den Diplomaten spielen. Doch das Diplomatenspiel ist nur ein Provisorium. … Deutsche Diplomaten darf es nur so lange geben, bis genügend deutsche Kriegsheere, Kriegsherren und Kriegsmaschinen vorhanden sind, um der ganzen Welt die große deutsche Fehde anzusagen.“
Weder beim Erscheinen noch in der Forschung zum Nationalsozialismus ist „Die große Trommel“ nennenswert rezipiert worden. Es ist verdienstvoll, dass Sven Felix Kellerhoff das Buch in einer kommentierten Ausgabe gerade heute wieder verfügbar macht.
„Zu allen Zeiten gab es solche Polterer“, heißt es darin, „doch zu allen Zeiten wurden die Vernünftigen solcher geräuschvollen Schwarmgeister Herr.“ Da hat sich der Autor geirrt – für damals wie für unsere Tage.