Tadeusz Dabrowski: "Eine Liebe in New York"
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall
Schöffling Verlag, Frankfurt a.M 2019
144 Seiten, 18 Euro
Ein klischeefreier Blick auf den Big Apple
06:19 Minuten
Seit 20 Jahren zählt Tadeusz Dabrowski zu den wichtigsten Dichtern seiner Generation. Jetzt legt er seinen ersten Roman vor – eine Liebesgeschichte zwischen Autobiografie und Fiktion, mit originellen Metaphern und philosophischer Tiefe.
40 Jahre alt wird der Pole Tadeusz Dabrowski in diesem Jahr – mit 20-jähriger Publikationserfahrung einer der erfahrensten und besten Lyriker seiner Generation. Da überrascht es auf den ersten Blick, dass er nun seinen ersten Roman vorlegt: "Wehrlose Linie" hieße der Titel aus dem Polnischen übersetzt, "Eine Liebe in New York" hat der deutsche Verlag daraus gemacht.
Originelle Metaphern und philosophischer Tiefgang
Das klingt erst einmal, als habe man zwei Zielgruppen klar im Visier: Die Fans von Liebesgeschichten, wie auch die Fans von New York. Doch dieses Buch ist auch denen zu empfehlen, die sich in Berlin, Lissabon oder Krakau zuhause fühlen, die existenzialistischen Humor und ebenso Meditationen über die Anziehungskraft im Geschlechterverhältnis zu schätzen wissen.
Dabrowski ist etwas ungeheuer Seltenes gelungen: ein kleiner Großstadtroman, dichte atmosphärische Beschreibung von New York aus europäischem Blick, doch klischeefrei. Und die hinreißende Schilderung einer Amour fou, jenseits von Kitsch, überraschend, romantisch. Es gelingt dem Autor brillant die alte Geschichte von "treffen sich zwei", mit starken Bildern, originellen Metaphern und philosophischem Tiefgang zu erzählen.
Eine Liebe über die Distanz von tausenden Kilometern
Tad, ein älterer polnischer Lyriker, Stipendiat in New York, sitzt im U-Bahn Waggon auf dem Weg zu einer Lesung. "Der Waggon schaukelte wie ein besoffener Teenie beim Sex." Während er noch über die beste Art des Vortragens seiner Gedichte grübelt, spricht ihn seine Sitznachbarin an, Megan, eine junge, etwas blasierte Kanadierin, die in Architektur promoviert. Er nimmt wahr, wie sich ihre Lider "in verlangsamten Tempo wie die Klappscheinwerfer eines Austin" öffnen, ihre entblößten Fersen "in der Größe von Hühnereiern", das "mit weißem Flaum bedeckte Delta ihrer Wirbelsäule" (ihren Nacken!), das lange Haar "in der Farbe von Nudeln". Ihre ganze "Körperarchitektur" kommt ihm vor wie "eine einzige große Einladung zu einem ehrgeizigen internationalen Projekt."
Auf Megans Tipp hin geht Tad in eine Richard-Serra-Ausstellung, sie revanchiert sich mit einem Besuch seiner Lesung. Spätestens danach ahnt man, worauf das alles hinausläuft. Aber Dabrowski baut Spannung auf, indem er Tad retrospektiv aus dem tristen Danzig erzählen lässt, wohin es ihn nach Ablauf seines Stipendiums wieder verschlagen hat. Der Dichter wird seine Liebe auch über die Distanz von Tausenden Kilometern nicht los. Sie sitzt ihm im Nacken, er hat sie vor Augen und versucht schreibend zu bannen, was ihn besetzt hält.
Eine Geschichte mit existenzieller Dimension
Je mehr der Leser über den Verlauf der Liebesgeschichte erfährt, desto unklarer wird, ob sie Fiktion ist oder autobiografisches Projekt. Ob Megan tatsächlich die große bezaubernde Rätselhafte war oder literarische Projektion ist. Die Verwirrung ist gewollt. Schon gleich zu Beginn entwirft der Autor das Bild eines Trickfilmhelden, der mit einem Baumstamm auf einen Wasserfall zurast. "Was, wenn der Held selbst alles in einem ist – Baumstamm, Wasserfall, Fluss?"
Damit ist die existenzielle Dimension der Geschichte angedeutet, von der nichts verloren geht, auch wenn Dabrowski sie mit Ironie und postmoderner Erzählstruktur bricht. Liebe als Spiel, als Abenteuer und Ausdruck von Lebendigkeit, gegen alle Chancen, Fremdheit und Vernunft – das ist "Eine Liebe in New York".