Der Islamische Staat im Anmarsch
Tadschikistan zählt zu den ärmsten Ländern Zentralasiens. Die schlechte Bildung und Perspektivlosigkeit sind ein idealer Nährboden für radikale Kräfte. Bislang sind den Behörden 250 IS-Kämpfer bekannt. Die Regierung setzt auf eine harte Gangart.
Am frühen Vormittag in der tadschikischen Hauptstadt Dushanbe. Vor dem Grünen Basar, einem der größten Märkte der Stadt, warten Dutzende Arbeitssuchende auf einen Gelegenheitsjob. Viele der Männer, schätzungsweise zwischen 30 und 50 Jahre alt, haben noch bis vor kurzem als Gastarbeiter in Russland gearbeitet. Doch im Zuge der Wirtschaftskrise wurden dort die Bedingungen für die Erlangung einer Arbeitserlaubnis verschärft. Rund 200.000 tadschikische Arbeitssuchende wurden in diesem Jahr abgewiesen. Nun sind sie wieder zurück in ihrer Heimat. In Dushanbe eine anständige Arbeit zu finden, sei schwierig, erzählen sie:
"Ich nehme jede Art von Arbeit an, doch hier gibt es keine Perspektiven. Es gibt keine guten Jobs und wenn, dann ist die Bezahlung beschissen."
Der westlich aussehende Reporter mit dem Mikrofon erregt die Aufmerksamkeit der umherstehenden Tagelöhner. Schnell hat sich eine Menschentraube gebildet, andere Arbeitssuchende mischen sich in das Gespräch ein.
"Nun hin und wieder gibt es schon was zu verdienen. Wenn man eine besondere Qualifikation hat, kann man bis zu 15 Euro am Tag verdienen. Viele von uns waren bis vor kurzem in Russland, doch man hat uns alle ausgewiesen."
Davon, dass einige tadschikische Gastarbeiter während ihrer Zeit in Russland bzw. Moskau auch von Agenten des Islamischen Staates angeworben worden seien, hätten sie gehört, es seien aber keine Bekannten von ihnen dabei:
"Nein, nein, das sind andere Leute. Die Menschen sind unterschiedlich. Warum sie sich dafür entschieden haben, für den IS zu arbeiten, lässt sich nur schwer erklären. Wahrscheinlich sind das Leute ohne Bildung."
Jemand anderes aus der Menge arbeitssuchender Männer meldet sich zu Wort:
"Vielleicht hat man ihnen auch einfach eine anständige Summe geboten, aber wer weiß schon, warum sie dorthin gegangen sind."
"Die Stimmung ist sehr negativ"
Rund 250 tadschikische IS-Kämpfer sind den Behörden namentlich bekannt – insgesamt bilden junge Frauen und Männer aus den zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken nach Europa und dem mittleren Osten das drittgrößte Kontingent ausländischer IS-Kämpfer. Häufig werden sie in Russland über die dortigen sozialen Netzwerke oder im Umfeld von Moscheen angeworben:
"In Russland kann man ordentlich verdienen, aber auch in die Hände von Terroristen geraten. Es gibt extremistische Stimmungen überall. Einige unserer Leute dort werden belogen von Dagestanern oder Tschetschenen, die als Agenten für den IS arbeiten."
... meint Saifullo Safarow, stellvertretender Direktor vom Zentrum für strategische Forschungen des tadjikischen Präsidenten. Die wirtschaftliche Lage des Landes ist schlecht, politisch ist kaum Bewegung in Sicht. Viele junge Menschen sehen keine Perspektive für sich in Tadschikistan. Ein potentiell idealer Nährboden für die Radikalisierung von Jugendlichen, so die Auffassung des Politologen Mulladschanow:
"Hier gibt es zwar keine vorrevolutionäre Situation, wie viele andere Experten behaupten, aber die Stimmung ist schon sehr negativ. Das lässt sich an der Wirtschaftskrise erkennen. Sehr viele unserer Gastarbeiter kehren zurück, die Zahl wird weiter steigen. Dazu die instabile Situation in Afghanistan und in der gesamten Region."
Chef einer Spezialeinheit kämpft jetzt für den IS
Zwar geht Mulladschanow nicht davon aus, dass die Taliban, sollte es ihnen gelingen, den Norden Afghanistans einzunehmen, Tadschikistan angreifen würden. Dennoch hätte dies einen negativen Effekt auf weite Teile Zentralasiens:
"Viele der Kämpfer der Taliban und des IS, die sich im Moment in Afghanistan aufhalten, stammen aus Zentralasien. Wenn es dem IS bzw. den Taliban gelingt, den Norden Afghanistans zu kontrollieren, dann könnten sie dort ein Aufmarschgebiet mit Trainingslagern und Basen für Kampftruppen schaffen. Dies würde der Stabilität in den Grenzregionen allmählich schaden. Sie würden zwar nicht gleich über die Grenze marschieren, aber dass sie kleinere Gruppen einschleusen, ist schon wahrscheinlich."
Und diese könnten sich dann anderen bereits vorhandenen radikalen Gruppen anschließen, glaubt Mulladschanow. Für Beunruhigung innerhalb der Regierung sorgt zudem der Fall eines Überläufers aus den Reihen der tadschikischen Sicherheitsorgane zum IS. Im Mai veröffentlichte der ehemalige Chef der tadschikischen Spezialeinheiten OMON Gulmurod Khalimow eine Videobotschaft, in der er mitteilte, dass er bereit sei, für den IS zu sterben.
Er drohte Russland und den USA mit Anschlägen. Die in Russland arbeitenden Tadschiken forderte er auf, sich gegen die Versklavung durch Ungläubige zu erheben. Der Islamische Staat kenne keine Nationalitäten, sondern nur den Islam. Safarow vom Zentrum für strategische Forschungen weist darauf hin, dass Khalimow eine gute Ausbildung in Russland und den USA erhalten habe.
"Man dachte, er könne nützlich sein, dass er andere besser ausbilden und managen könne. Aber man sah die Schwäche des Mannes nicht. Dass er wie von einer Krankheit infiziert worden war."
Khalimow war zuvor durch radikale Äußerungen aufgefallen und zwischenzeitlich sogar vom Innenministerium entlassen worden. Anfang September sorgte ein weiterer Prominenter aus den Reihen der Regierung für einen Paukenschlag. Der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister Nasarsoda soll Angriffe von Rebelllen auf eine Polizeistation und das Verteidigungsministerium in Duschanbe organisiert haben. Große Mengen Waffen und Munition wurden dabei erbeutet. Bei darauf folgenden Gefechten zwischen Sicherheitskräften, Streitkräften und bewaffneten Kämpfern wurde Nasarsoda getötet. Insgesamt starben auf beiden Seiten über 40 Menschen. Westliche Beobachter deuten den Vorfall als Zeichen für einen immer härter werdenden Verteilungskampf um Macht und Geld im Umfeld des Präsidenten. Die tadschikische Regierung sieht sich hingegen nach außen in ihrer These von einer wachsender Gefahr durch islamistische Extremisten bestätigt.
Regierung verbietet Oppositionspartei
General Nasarsoda hatte der Partei der islamischen Wiedergeburt, der wichtigsten Oppositionskraft angehört. Obwohl sich die Partei umgehend von den Vorfällen distanzierte, wurde sie jetzt endgültig verboten. Dass es dazu kommen würde, hatte sich in der zurückliegenden Zeit bereits angedeutet. Präsident Rahmon hatte die Partei immer wieder in die Nähe von Extremisten gerückt. Beobachter halten das Verbot für übertrieben – die Partei der islamischen Wiedergeburt sei keineswegs extremistisch, ihre Parteiführung eher moderat. Für den Politologen Mulladschanow ist offensichtlich, dass die Regierung nur auf einen Anlass gewartet hatte, gegen die Oppositionspartei vorzugehen:
"Die Regierung versucht momentan wegen dieses Aufstands, die Partei der islamischen Wiedergeburt mit Extremisten gleichzusetzen. Also kann nun die Verfolgung von deren Parteimitgliedern beginnen."
Während ihr Parteiführer Kabiri schon im Juni wegen drohender Verfolgung in der Türkei um politisches Asyl gebeten hat, erwartet Dutzende führender Parteikollegen nun der Prozess. Sie müssen sich wegen des Vorwurfs des Extremismus verantworten. Der Vorsitzende der Vereinigung unabhängiger Medien Tadschikistans Nuriddin Kaschibajew beklagt, dass auch Journalisten, die über die Partei der islamischen Wiedergeburt Tadschikistans berichtet hatten, ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten sind und zu Verhören geladen wurden. Der Druck auf die letzten unabhängigen Journalisten würde immer größer, dabei sei deren Arbeit so wichtig, gerade auch im Hinblick auf den Kampf gegen den Islamismus. Der Staat müsse nach den Ursachen der Radikalisierung suchen, so Kaschibajew, statt moderate islamische Kräfte zu verfolgen:
"Warum folgen Menschen religiösen Aktivisten? Warum werden Jugendliche radikaler? Warum schließen sie sich dem Islamischen Staat an? Man muss hier ganz deutlich die Ursachen und Folgen erkennen. Es macht keinen Sinn, eine Partei zu beschuldigen, sie hätte angeblich Jugendliche aufgerufen, eine Staatsrevolte zu veranstalten, sie sei gewalttätig, extremistisch usw."
"Jeder entscheidet selbst woran er glaubt"
Im Alltagsbild ist der Islam nicht so allgegenwärtig, wie man es vielleicht vermuten könnte. Viele Mädchen oder Frauen tragen keine Kopfbedeckung. In den Kneipen oder Restaurants von Dushanbe sieht man viele Männer, die ganz selbstverständlich in der Öffentlichkeit Bier oder Wodka trinken. In der Nähe der Haji Yakoub Moschee, der Zentralmoschee von Duschanbe, befindet sich die staatliche Universität für Islamstudien. Dort studieren Sarina und Sybil. Sarina trägt keine Kopfbedeckung im Gegensatz zu ihrer Studienkollegin Sybil, die den Hidjab trägt. Kopfhaar und Halspartie sind komplett verhüllt. Für die beiden sind die unterschiedlichen Vorstellungen davon, was nach ihrem Glauben angemessene Kleiderordnung ist, kein Problem.
"Das ist doch die Entscheidung eines jeden Einzelnen, ob er seinen Kopf bedecken will oder nicht."
Also sie stört das nicht?
"Nein, Nein. Jeder trägt Gott in sich. Jeder entscheidet selbst, woran er glaubt."
Sybil studiert unter anderem Arabisch und Englisch. Eines Tages möchte sie als Dolmetscherin arbeiten. Dass ihre Freundin Sarina keinen Hidjab trägt, ist für sie nebensächlich:
"Wir haben doch Demokratie, deswegen macht es für mich keinen Unterschied. Sie haben in ihrer Familie eine andere Tradition, ein anderes Verständnis. Das Wichtigste ist, dass alle Gott mit sich im Herzen tragen."
Fundamentalismus bekommt mehr Zulauf
Zum Stand der Demokratie in Tadschikistan gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das gesellschaftliche Klima habe sich verschärft – die Kräfte des islamischen Fundamentalismus bekämen immer mehr Zulauf, was sich auch im Alltag bemerkbar mache, meint Saifullo Safarow vom Zentrum für strategische Forschungen beim tadschikischen Präsidenten:
"In unseren Städten gibt es nun weniger weltliche Leute, das merkt man. Die einst weltlich gesonnenen Menschen schränken sich selbst in ihrem Verhalten ein, wenn sie religiös werden. Sie lassen ihre Töchter nicht studieren, lassen sie sehr früh heiraten und Hidjabs tragen."
Diese Leute seien zwar noch nicht in der Mehrheit, ihre Zahl wüchse aber beständig an und bildete bereits jetzt die Grundlage für Proteste gegen einen starken weltlichen Staat. Bislang ist Tadschikistan allerdings noch weit entfernt von Massenprotesten gegen Präsident Rahmon, der in der ehemaligen Sowjetrepublik seit der Erlangung der Unabhängigkeit an der Macht ist. Präsent ist immer noch der Bürgerkrieg aus den 90er-Jahren, bei dem weit über 100.000 Menschen getötet wurden.
"Sieben oder acht unserer Bergregionen waren damals in den Händen der Anhänger des politischen Islam. Sie saßen dort ziemlich fest, so dass wir sie lange nicht verdrängen konnten."
... erinnert sich der tadschikische Politologe Mamadasimow. Erst der 1997 erzielte Friedensschluss zwischen Regierung und Opposition, der unter anderem eine Regierungsbeteiligung islamischer Kräfte vorsah, brachte dem Land relative Ruhe und Stabilität. Doch mit der Begründung, sich gegen den wachsenden Einfluss von Islamisten zur Wehr setzen zu müssen, hat die tadschikische Regierung seit 2009 mehrere Gesetze erlassen, die nach Ansicht vieler Beobachter nicht nur die Religionsfreiheit einschränken, sondern auch viele Muslime kriminalisieren.
"Der Staat nutzt den Islam aus"
"In Tadschikistan bekennen sich weit über 90 Prozent der Bevölkerung zum Islam. Was bedeutet das? Islamisierung oder Säkularisierung? Natürlich gibt es den politischen Islam. Wenn es um den weltlichen Staat geht, sprechen wir über die Trennung von Staat und Kirche. Aber was schlecht ist und was wir manchmal beobachten, ist, dass der Staat mit dem Islam spielt. Er nutzt den Islam in seinem Interesse aus und wenn er religiöse Aktivisten nicht mehr braucht, erklärt er sie zu seinen Gegnern."
... meint der Journalist Kaschibajew von der Vereinigung unabhängiger Medien Tadschikistans. Menschenrechtler beklagen eine zunehmend feindliche Stimmung gegenüber strenggläubigen Muslimen. Tadschikische Medien hätten gegen Frauen, die sich verschleiern, Stimmung gemacht. Es gab mehrere Fälle, bei denen die tadschikische Polizei völlig willkürlich bärtige Männer festgenommen hatte, in der Annahme, es handele sich bei ihnen um Islamisten. Doch die Stigmatisierung von Muslimen als potentielle Extremisten und Gewalttäter und zuviel Druck der Regierung könnten gerade zu einem Teufelskreis führen, den es zu durchbrechen gilt: nämlich dass vor allem junge Menschen in die Hände von illegalen Gruppen getrieben werden und so erst recht eine Radikalisierung in Teilen der Bevölkerung stattfindet.