"Täuschung an jeder Ecke"
Der Großteil der Informationen auf einer Lebensmittelverpackung bestehe aus irreführender Werbung, konstatiert der Leiter der Verbraucherorganisation foodwatch. In seinem Buch "Die Essensfälscher" prangert er Konzerne und Produkte an.
Britta Bürger: "Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen" – so hat Thilo Bode, der Leiter der Verbraucherorganisation foodwatch, sein neues Buch überschrieben. Er führt uns damit zu jenen Produkten der Supermärkte, die sich weit entfernt haben von dem, was man sich unter gesunder Nahrung vorstellt, obwohl genau das auf dem Etikett versprochen wird, nämlich leichte, ursprüngliche und oft auch kindergerechte Nahrung. Herr Bode, herzlich willkommen!
Thilo Bode: Guten Tag!
Bürger: Schaut man sich um, gibt es mittlerweile doch sehr viele Leute, die meinen bewusst einzukaufen, indem sie zu leichten, zu fettreduzierten Lebensmitteln greifen. Warum sind solche Produkte kein Garant für gesunde Nahrung?
Bode: Das ist eine Illusion, weil die Information und die Werbung, die mit dem Produkt mitverkauft werden, führen den Verbraucher in die Irre, und zwar vorsätzlich. Bei uns kann sich heute jeder satt essen in Deutschland und die Nahrungsmittelkonzerne haben ein Problem, die müssen immer was Neues erfinden, neue Wachstumsnischen erschließen. Und da sind sie eben auf Scheininnovationen verfallen, die scheinbar neue, besonders gute Produkte anbieten, aber letztlich schlechter sind und auch noch teurer sind.
Bürger: Vor allem dem versteckten Zucker geben Sie viel Raum in dem Buch, denn anscheinend weiß die Lebensmittelindustrie genau, in welchem Maß wir Europäer den Amerikanern in unserem Zuckerverbrauch hinterherhinken, dass der Markt hier also noch nicht ausgereizt ist. Wie wird denn versucht, uns zu noch mehr Zuckerkonsum zu verführen, obwohl jeder weiß, dass Zucker schädlich ist?
Bode: Das ist eine Werbestrategie, die sich tragischerweise vornehmlich an Kinder richtet. Wir haben ja das grassierende Problem von Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern, Altersdiabetes Typ 2 taucht immer mehr bei Kindern auf. Und Zucker ist ein Geschmacksträger, die Kinder essen süß – was bei Süßigkeiten ja okay ist, aber nicht bei Frühstückszerealien, die dann mit Vollkorngarantie beworben werden, und dort kann man auch noch Spielzeug gewinnen oder Sportgerät. Das ist genau das Thema, dass hier die Menschen, die Kinder glauben, sie essen was Gesundes, werden aber immer dicker.
Bürger: Sie haben sich entschlossen, in dem neuen Buch ganz konkret Namen zu nennen von Konzernen und Produkten. Warum?
Bode: Ich glaube, nur so wird sich was ändern, denn bei den Produkten findet sich jeder Verbraucher selber wieder. Die Produkte gibt es ja mittlerweile in ganz Europa, wir haben einen globalisierten Nahrungsmittelmarkt und die Konzerne sollen bewusst herausgefordert werden, damit sie sich dieser Diskussion stellen. Sie erfüllen ihren Daseinszweck nicht mehr, sie versorgen die Menschen nicht mehr mit guten und ehrlichen Lebensmitteln, sondern mit Scheinlebensmitteln. Und das muss sich ändern und dazu muss erst mal eine Debatte in Gang kommen, und diese Debatte möchte dieses Buch anstoßen.
Bürger: Wer sind denn Ihrer Ansicht nach die größten Essensfälscher?
Bode: Na ja, da gibt es die großen Lebensmittelkonzerne, die toppen sich alle gegenseitig. Nestlé natürlich vorneweg, Kraft Foods, Unilever, aber es gibt natürlich auch Mittelständler wie Dr. Oetker, die ja einen puren Schokoladenpudding verkaufen, wo nur ein Prozent Kakao drin ist, auch das gibt es.
Bürger: Oft verstecken sich solche Zuckerbomben, das haben Sie eben schon so ein bisschen angedeutet, unter einer ganz anderen Überschrift, zum Beispiel im Joghurt, der die Verdauung fördern soll, oder im Fitnessdrink für zwischendurch. Aber sind die Verbraucher nicht auch selbst schuld, wenn sie solche Produkte kaufen? Also wenn ich das Kleingedruckte lese, dann sehe ich doch, wie viel Fett und Zucker und welche Zusatzstoffe in einem Produkt drin sind, selbst wenn da Begriffe wie leicht, gesund und fit drauf stehen?
Bode: Also die Produktinformationen, die mit dem Produkt geliefert werden, die erschließen sich dem Verbraucher nicht unmittelbar, und man will ja im Supermarkt auch schnell entscheiden. 85 Prozent einer Packung besteht aus irreführender Werbung und der Rest der Information ist erstens kaum lesbar, kaum verständlich und vor allen Dingen ermöglicht er nicht den Vergleich von Produkten. Man kauft immer ein, indem man mit anderen Produkten vergleicht, und das ist nicht möglich. Dahinter steht natürlich eigentlich der Kampf um das Verbraucherleitbild: Wollen wir den studierten Lebensmittelchemiker, Lebensmittelrechtler, der alles weiß und mit Gesetzestexten unterm Arm in den Supermarkt läuft? Oder wollen wir den Verbraucher, der Vertrauen hat in die Lebensmittelhersteller und sich schnell im Supermarkt anhand des Preises über die beste Qualität entscheiden kann? Das ist die Frage, und die Lebensmittelkonzerne setzen darauf, dass der Verbraucher ja hinschauen kann und alles legal ist. Das reicht aber nicht.
Bürger: Thilo Bode ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, der Chef der Verbraucherorganisation foodwatch. Er hat in seinem neuen Buch den Etikettenschwindel der Lebensmittelindustrie unter die Lupe genommen und seziert, was uns da alles auf die Teller gemogelt wird. Und es geht dabei ihm vor allem um Lebensmittel, die unsere Großmütter so noch gar nicht kannten: das sogenannte Functional Food und der ganze Bereich der Fertigprodukte. Neun von zehn Kindern, schreiben Sie, Herr Bode, essen mindestens jeden dritten Tag ein Fertiggericht. Woran kann ich denn erkennen, dass der Belag einer Tiefkühlpizza zum Beispiel gar nichts mehr mit dem zu tun hat, was ich unter echtem Schinken und richtigem Käse verstehe?
Bode: Weil Sie die Informationen, die mit dem Produkt geliefert werden, eigentlich überhaupt nicht durchblicken können. Also da gibt es ja mittlerweile jede Menge Zusatzstoffe, jede Menge Aromen, die Herkunft ist auch nicht klar beschrieben, alles ist ganz eng zusammengefasst und klein. Das ist sozusagen das Hauptproblem, dass Sie nicht unmittelbar erkennen können, was es ist, und selbst wenn Sie es erkennen könnten mittlerweile. Und unser Leben besteht nicht daraus, dass wir uns auf dem Bauernhof selber versorgen, sondern wir sind auf den Supermarkt angewiesen, und da finden Sie, Sie haben eigentlich im Grunde keine Ausweichmöglichkeiten mehr. Ihnen begegnet Täuschung an jeder Ecke. Nehmen Sie mal nur Light-Produkte, ja, Sie wollen abnehmen, nehmen Light-Produkte, ist weniger Fett drin, dafür ist es hoch versalzen, was schlecht für den Blutdruck ist. Das erschließt sich aber nicht unmittelbar, Sie wissen ja gar nicht, wie viel Salz gut oder schlecht für Sie ist. Und genau mit dieser Masche arbeitet die Industrie, und das kann nur beendet werden, wenn politische Regeln beschlossen werden. Sie können als Verbraucher dem nicht oder nur ganz gering selber ausweichen und alternativ einkaufen.
Bürger: Aber es gibt ja in Deutschland ein Ernährungs- und Verbraucherministerium, es gibt die Lebensmittelüberwachung der Bundesländer, jede Menge Regeln und Gesetze und Siegel und Labels. Warum greifen die nicht weit genug?
Bode: Hier kommt zum Tragen, dass die Lebensmittelindustrie ähnlich wie die Finanzindustrie globalisiert ist. Es gibt einen europäischen Lebensmittelmarkt, der müsste politisch reguliert werden. Es gibt genug Regeln, ja, das ist ein wahnsinnig bürokratischer Markt, aber es sind die falschen Regeln. Die Politik wird nur dann intervenieren, wenn die Verbraucher sauer werden und sich beschweren. Das hilft auch ein bisschen. Dazu ist auch das Buch da, dieses Bewusstsein zu schaffen, unser Verbraucherministerium ist ja im Grunde ein Landwirtschaftsministerium, also ein Bauernministerium, damit ein Klientelministerium, mit anderen Worten: Unsere Verbraucherministerin Ilse Aigner agiert mehr als Dienstleisterin der Lebensmittelwirtschaft als als Anwältin der Verbraucher.
Bürger: Gibt es denn Beispiele dafür, dass sich so ein Protest von Verbrauchern lohnt?
Bode: Ja, das lohnt sich unbedingt. Die Firma Carlsberg hatte einen Drink, noch dazu einen Bio-Drink mit dem offiziellen Bio-Siegel, das hieß "Beo Heimat Apfel-Birne". Das ist ein Getränk, das hat weder ein Apfel noch eine Birne gesehen und selbst die Aromen sind nicht aus Apfel oder Birne, sondern aus Abfällen hergestellt. Dieses Getränk nimmt der Konzern Carlsberg jetzt vom Markt, weil sehr viele Verbraucher unsere Internetaktion mitgemacht haben und sich das nicht mehr gefallen haben lassen. Aber wie gesagt, das sind Einzelfälle, es müssen sich schon die Regeln ändern. Aber das sind natürlich gute Warnschüsse für die Konzerne, und die sind ja stumm, die haben überhaupt noch nicht auf die inhaltliche Kritik des Buches reagiert. Ich möchte mal wissen, ob die damit durchkommen, sozusagen die Sache aussitzen zu wollen.
Bürger: Sie haben das Stichwort Bio eben genannt. Viele Leute denken ja, dass sie den Problemen entgehen, wenn sie im Bio-Supermarkt einkaufen. Aber auch das entlarven Sie in dem Buch als Trugschluss. Warum stehen wir denn da vor einem ähnlichen Dilemma?
Bode: Bei Bio muss man ja unterscheiden zwischen den Rohstoffen, also wenn Sie einen Apfel kaufen oder Gemüse oder Kartoffeln, das wird ökologisch hergestellt, also ohne Dünger und ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, aber im verarbeiteten Sektor haben wir ähnliche Missstände, etwas weniger, aber ähnlich. Stellen Sie sich vor, Bio-Actimel anstatt Actimel. Actimel ist eine richtige Verbrauchertäuschung, weil es schützt nicht vor Erkältungen, wie die Werbung suggeriert, und ein Bio-Actimel wäre auch nicht besser. Es wäre sozusagen die ökologische Variante dieser Verbrauchertäuschung, weil ökologisch hergestellte Milch drin wäre.
Bürger: Die Lebensmittelindustrie will immer weiter wachsen, obwohl die meisten Menschen, Sie haben es gesagt, hierzulande längst genug zu essen haben. Insofern wird sehr, sehr viel Geld in die Werbung gesteckt, wohl mehr Geld als die Autoindustrie für Werbung investiert. In was für Dimensionen bewegt sich das denn?
Bode: Ja, um diesen ganzen Schrott auch loszubringen, setzt die Lebensmittelindustrie 3,8 Milliarden Euro für die Werbung jährlich in Deutschland ein. Die Automobilindustrie, die ja auch nicht als werbeschwach bekannt ist, verwendet eine Milliarde weniger, also 2,8 Milliarden. Das zeigt, freiwillig würden die Leute das nicht kaufen, nur indem man diese Lebensmittel, sogenannten Lebensmittel, mit einem unglaublich hohen Werbebudget den Leuten andreht. Und das zeigt genau die Wachstumsfalle, in der sich die Lebensmittelindustrie befindet, und da kommt sie eigentlich nur wieder raus, wenn sie ehrliche Lebensmittel anbietet.
Bürger: Sie schauen in dem Buch auch über den Tellerrand hinaus, nennen Dänemark als ein positives Beispiel. Dort hat man in Geschäften, Restaurants und Kantinen ein sogenanntes Smiley-System eingeführt. Hat das denn dort tatsächlich bei der Lebensmittelindustrie auch zu spürbaren Einschnitten geführt?
Bode: Das Smiley-System bezieht sich weniger auf die Werbelügen und Täuschungen bei verarbeiteten Lebensmitteln, ist aber nichtsdestoweniger auch sehr wichtig, weil es zeigt eine andere Haltung gegenüber den Verbrauchern, die ist viel verbraucherfreundlicher. In Dänemark werden an Restaurants zum Beispiel lachende oder weinende Smileys sichtbar angebracht je nachdem, wie die Hygienekontrollen ausgefallen sind. Das ist sehr wirksam, jeder kann sich darüber informieren. Das führt dazu, dass präventiv die Leute nicht mehr mogeln, das wäre natürlich auch gut für, wer zum Beispiel Gel-Schinken oder sogenannten Imitatkäse verwendet. In Deutschland gibt es das Amtsgeheimnis, was wirklich davor zurückschreckt, die Daten von schwarzen Schafen zu veröffentlichen. Das ist auch noch ein ganz wichtiges Element, was im Verbraucherrecht passieren muss: Wir müssen eine Informationsrechtübersetzung haben, die es ermöglicht, die Namen schwarzer Schafe zu veröffentlichen. Das wäre schon ein wesentlicher Schritt hin zu einer besseren und ehrlicheren Lebensmittelindustrie.
Bürger: Foodwatch-Chef Thilo Bode wirft den Lebensmittelkonzernen Verbrauchertäuschung vor. "Die Essensfälscher" heißt sein neues Buch, "Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen". Erschienen ist es im S. Fischer Verlag. Herr Bode, ich danke Ihnen sehr für den Besuch im Studio!
Bode: Danke Ihnen auch!
Thilo Bode: Guten Tag!
Bürger: Schaut man sich um, gibt es mittlerweile doch sehr viele Leute, die meinen bewusst einzukaufen, indem sie zu leichten, zu fettreduzierten Lebensmitteln greifen. Warum sind solche Produkte kein Garant für gesunde Nahrung?
Bode: Das ist eine Illusion, weil die Information und die Werbung, die mit dem Produkt mitverkauft werden, führen den Verbraucher in die Irre, und zwar vorsätzlich. Bei uns kann sich heute jeder satt essen in Deutschland und die Nahrungsmittelkonzerne haben ein Problem, die müssen immer was Neues erfinden, neue Wachstumsnischen erschließen. Und da sind sie eben auf Scheininnovationen verfallen, die scheinbar neue, besonders gute Produkte anbieten, aber letztlich schlechter sind und auch noch teurer sind.
Bürger: Vor allem dem versteckten Zucker geben Sie viel Raum in dem Buch, denn anscheinend weiß die Lebensmittelindustrie genau, in welchem Maß wir Europäer den Amerikanern in unserem Zuckerverbrauch hinterherhinken, dass der Markt hier also noch nicht ausgereizt ist. Wie wird denn versucht, uns zu noch mehr Zuckerkonsum zu verführen, obwohl jeder weiß, dass Zucker schädlich ist?
Bode: Das ist eine Werbestrategie, die sich tragischerweise vornehmlich an Kinder richtet. Wir haben ja das grassierende Problem von Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern, Altersdiabetes Typ 2 taucht immer mehr bei Kindern auf. Und Zucker ist ein Geschmacksträger, die Kinder essen süß – was bei Süßigkeiten ja okay ist, aber nicht bei Frühstückszerealien, die dann mit Vollkorngarantie beworben werden, und dort kann man auch noch Spielzeug gewinnen oder Sportgerät. Das ist genau das Thema, dass hier die Menschen, die Kinder glauben, sie essen was Gesundes, werden aber immer dicker.
Bürger: Sie haben sich entschlossen, in dem neuen Buch ganz konkret Namen zu nennen von Konzernen und Produkten. Warum?
Bode: Ich glaube, nur so wird sich was ändern, denn bei den Produkten findet sich jeder Verbraucher selber wieder. Die Produkte gibt es ja mittlerweile in ganz Europa, wir haben einen globalisierten Nahrungsmittelmarkt und die Konzerne sollen bewusst herausgefordert werden, damit sie sich dieser Diskussion stellen. Sie erfüllen ihren Daseinszweck nicht mehr, sie versorgen die Menschen nicht mehr mit guten und ehrlichen Lebensmitteln, sondern mit Scheinlebensmitteln. Und das muss sich ändern und dazu muss erst mal eine Debatte in Gang kommen, und diese Debatte möchte dieses Buch anstoßen.
Bürger: Wer sind denn Ihrer Ansicht nach die größten Essensfälscher?
Bode: Na ja, da gibt es die großen Lebensmittelkonzerne, die toppen sich alle gegenseitig. Nestlé natürlich vorneweg, Kraft Foods, Unilever, aber es gibt natürlich auch Mittelständler wie Dr. Oetker, die ja einen puren Schokoladenpudding verkaufen, wo nur ein Prozent Kakao drin ist, auch das gibt es.
Bürger: Oft verstecken sich solche Zuckerbomben, das haben Sie eben schon so ein bisschen angedeutet, unter einer ganz anderen Überschrift, zum Beispiel im Joghurt, der die Verdauung fördern soll, oder im Fitnessdrink für zwischendurch. Aber sind die Verbraucher nicht auch selbst schuld, wenn sie solche Produkte kaufen? Also wenn ich das Kleingedruckte lese, dann sehe ich doch, wie viel Fett und Zucker und welche Zusatzstoffe in einem Produkt drin sind, selbst wenn da Begriffe wie leicht, gesund und fit drauf stehen?
Bode: Also die Produktinformationen, die mit dem Produkt geliefert werden, die erschließen sich dem Verbraucher nicht unmittelbar, und man will ja im Supermarkt auch schnell entscheiden. 85 Prozent einer Packung besteht aus irreführender Werbung und der Rest der Information ist erstens kaum lesbar, kaum verständlich und vor allen Dingen ermöglicht er nicht den Vergleich von Produkten. Man kauft immer ein, indem man mit anderen Produkten vergleicht, und das ist nicht möglich. Dahinter steht natürlich eigentlich der Kampf um das Verbraucherleitbild: Wollen wir den studierten Lebensmittelchemiker, Lebensmittelrechtler, der alles weiß und mit Gesetzestexten unterm Arm in den Supermarkt läuft? Oder wollen wir den Verbraucher, der Vertrauen hat in die Lebensmittelhersteller und sich schnell im Supermarkt anhand des Preises über die beste Qualität entscheiden kann? Das ist die Frage, und die Lebensmittelkonzerne setzen darauf, dass der Verbraucher ja hinschauen kann und alles legal ist. Das reicht aber nicht.
Bürger: Thilo Bode ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, der Chef der Verbraucherorganisation foodwatch. Er hat in seinem neuen Buch den Etikettenschwindel der Lebensmittelindustrie unter die Lupe genommen und seziert, was uns da alles auf die Teller gemogelt wird. Und es geht dabei ihm vor allem um Lebensmittel, die unsere Großmütter so noch gar nicht kannten: das sogenannte Functional Food und der ganze Bereich der Fertigprodukte. Neun von zehn Kindern, schreiben Sie, Herr Bode, essen mindestens jeden dritten Tag ein Fertiggericht. Woran kann ich denn erkennen, dass der Belag einer Tiefkühlpizza zum Beispiel gar nichts mehr mit dem zu tun hat, was ich unter echtem Schinken und richtigem Käse verstehe?
Bode: Weil Sie die Informationen, die mit dem Produkt geliefert werden, eigentlich überhaupt nicht durchblicken können. Also da gibt es ja mittlerweile jede Menge Zusatzstoffe, jede Menge Aromen, die Herkunft ist auch nicht klar beschrieben, alles ist ganz eng zusammengefasst und klein. Das ist sozusagen das Hauptproblem, dass Sie nicht unmittelbar erkennen können, was es ist, und selbst wenn Sie es erkennen könnten mittlerweile. Und unser Leben besteht nicht daraus, dass wir uns auf dem Bauernhof selber versorgen, sondern wir sind auf den Supermarkt angewiesen, und da finden Sie, Sie haben eigentlich im Grunde keine Ausweichmöglichkeiten mehr. Ihnen begegnet Täuschung an jeder Ecke. Nehmen Sie mal nur Light-Produkte, ja, Sie wollen abnehmen, nehmen Light-Produkte, ist weniger Fett drin, dafür ist es hoch versalzen, was schlecht für den Blutdruck ist. Das erschließt sich aber nicht unmittelbar, Sie wissen ja gar nicht, wie viel Salz gut oder schlecht für Sie ist. Und genau mit dieser Masche arbeitet die Industrie, und das kann nur beendet werden, wenn politische Regeln beschlossen werden. Sie können als Verbraucher dem nicht oder nur ganz gering selber ausweichen und alternativ einkaufen.
Bürger: Aber es gibt ja in Deutschland ein Ernährungs- und Verbraucherministerium, es gibt die Lebensmittelüberwachung der Bundesländer, jede Menge Regeln und Gesetze und Siegel und Labels. Warum greifen die nicht weit genug?
Bode: Hier kommt zum Tragen, dass die Lebensmittelindustrie ähnlich wie die Finanzindustrie globalisiert ist. Es gibt einen europäischen Lebensmittelmarkt, der müsste politisch reguliert werden. Es gibt genug Regeln, ja, das ist ein wahnsinnig bürokratischer Markt, aber es sind die falschen Regeln. Die Politik wird nur dann intervenieren, wenn die Verbraucher sauer werden und sich beschweren. Das hilft auch ein bisschen. Dazu ist auch das Buch da, dieses Bewusstsein zu schaffen, unser Verbraucherministerium ist ja im Grunde ein Landwirtschaftsministerium, also ein Bauernministerium, damit ein Klientelministerium, mit anderen Worten: Unsere Verbraucherministerin Ilse Aigner agiert mehr als Dienstleisterin der Lebensmittelwirtschaft als als Anwältin der Verbraucher.
Bürger: Gibt es denn Beispiele dafür, dass sich so ein Protest von Verbrauchern lohnt?
Bode: Ja, das lohnt sich unbedingt. Die Firma Carlsberg hatte einen Drink, noch dazu einen Bio-Drink mit dem offiziellen Bio-Siegel, das hieß "Beo Heimat Apfel-Birne". Das ist ein Getränk, das hat weder ein Apfel noch eine Birne gesehen und selbst die Aromen sind nicht aus Apfel oder Birne, sondern aus Abfällen hergestellt. Dieses Getränk nimmt der Konzern Carlsberg jetzt vom Markt, weil sehr viele Verbraucher unsere Internetaktion mitgemacht haben und sich das nicht mehr gefallen haben lassen. Aber wie gesagt, das sind Einzelfälle, es müssen sich schon die Regeln ändern. Aber das sind natürlich gute Warnschüsse für die Konzerne, und die sind ja stumm, die haben überhaupt noch nicht auf die inhaltliche Kritik des Buches reagiert. Ich möchte mal wissen, ob die damit durchkommen, sozusagen die Sache aussitzen zu wollen.
Bürger: Sie haben das Stichwort Bio eben genannt. Viele Leute denken ja, dass sie den Problemen entgehen, wenn sie im Bio-Supermarkt einkaufen. Aber auch das entlarven Sie in dem Buch als Trugschluss. Warum stehen wir denn da vor einem ähnlichen Dilemma?
Bode: Bei Bio muss man ja unterscheiden zwischen den Rohstoffen, also wenn Sie einen Apfel kaufen oder Gemüse oder Kartoffeln, das wird ökologisch hergestellt, also ohne Dünger und ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, aber im verarbeiteten Sektor haben wir ähnliche Missstände, etwas weniger, aber ähnlich. Stellen Sie sich vor, Bio-Actimel anstatt Actimel. Actimel ist eine richtige Verbrauchertäuschung, weil es schützt nicht vor Erkältungen, wie die Werbung suggeriert, und ein Bio-Actimel wäre auch nicht besser. Es wäre sozusagen die ökologische Variante dieser Verbrauchertäuschung, weil ökologisch hergestellte Milch drin wäre.
Bürger: Die Lebensmittelindustrie will immer weiter wachsen, obwohl die meisten Menschen, Sie haben es gesagt, hierzulande längst genug zu essen haben. Insofern wird sehr, sehr viel Geld in die Werbung gesteckt, wohl mehr Geld als die Autoindustrie für Werbung investiert. In was für Dimensionen bewegt sich das denn?
Bode: Ja, um diesen ganzen Schrott auch loszubringen, setzt die Lebensmittelindustrie 3,8 Milliarden Euro für die Werbung jährlich in Deutschland ein. Die Automobilindustrie, die ja auch nicht als werbeschwach bekannt ist, verwendet eine Milliarde weniger, also 2,8 Milliarden. Das zeigt, freiwillig würden die Leute das nicht kaufen, nur indem man diese Lebensmittel, sogenannten Lebensmittel, mit einem unglaublich hohen Werbebudget den Leuten andreht. Und das zeigt genau die Wachstumsfalle, in der sich die Lebensmittelindustrie befindet, und da kommt sie eigentlich nur wieder raus, wenn sie ehrliche Lebensmittel anbietet.
Bürger: Sie schauen in dem Buch auch über den Tellerrand hinaus, nennen Dänemark als ein positives Beispiel. Dort hat man in Geschäften, Restaurants und Kantinen ein sogenanntes Smiley-System eingeführt. Hat das denn dort tatsächlich bei der Lebensmittelindustrie auch zu spürbaren Einschnitten geführt?
Bode: Das Smiley-System bezieht sich weniger auf die Werbelügen und Täuschungen bei verarbeiteten Lebensmitteln, ist aber nichtsdestoweniger auch sehr wichtig, weil es zeigt eine andere Haltung gegenüber den Verbrauchern, die ist viel verbraucherfreundlicher. In Dänemark werden an Restaurants zum Beispiel lachende oder weinende Smileys sichtbar angebracht je nachdem, wie die Hygienekontrollen ausgefallen sind. Das ist sehr wirksam, jeder kann sich darüber informieren. Das führt dazu, dass präventiv die Leute nicht mehr mogeln, das wäre natürlich auch gut für, wer zum Beispiel Gel-Schinken oder sogenannten Imitatkäse verwendet. In Deutschland gibt es das Amtsgeheimnis, was wirklich davor zurückschreckt, die Daten von schwarzen Schafen zu veröffentlichen. Das ist auch noch ein ganz wichtiges Element, was im Verbraucherrecht passieren muss: Wir müssen eine Informationsrechtübersetzung haben, die es ermöglicht, die Namen schwarzer Schafe zu veröffentlichen. Das wäre schon ein wesentlicher Schritt hin zu einer besseren und ehrlicheren Lebensmittelindustrie.
Bürger: Foodwatch-Chef Thilo Bode wirft den Lebensmittelkonzernen Verbrauchertäuschung vor. "Die Essensfälscher" heißt sein neues Buch, "Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen". Erschienen ist es im S. Fischer Verlag. Herr Bode, ich danke Ihnen sehr für den Besuch im Studio!
Bode: Danke Ihnen auch!