Tag der Menschenrechte

"Wir haben ausreichend Sicherheitsgesetze"

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer © dpa picture alliance/ Daniel Naupold
Christoph Strässer im Gespräch mit Nana Brink |
Im Kampf gegen den Terror dürfen Freiheitsrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht aufs Spiel setzt werden, warnt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Christoph Strässer.
Nach Ansicht des Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Christoph Strässer, stehen die Menschenrechte in der deutschen Außenpolitik immer mit auf der Tagesordnung. Die Politik der Bundesregierung bestehe dabei nicht nur aus öffentlichen Erklärungen, sondern auch aus stiller Diplomatie, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Beides sei "wichtig und richtig". Vieles sehe man auch nicht. Aber gerade wenn es um Einzelfälle gehe, sei es nicht immer für die Betroffenen gut, wenn man sich laut für sie einsetze, betonte Strässer. In Bezug auf die Menschenrechte habe es allerdings international 2015 "gravierende Rückschritte" gegeben, so der Beauftragte. Strässer bezog sich dabei vor allem auf Syrien, den Islamischen Staat und den Terror von Paris. Dennoch sprach er sich deutlich gegen neue Sicherheitsgesetze aus.

Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Gestern war ja Antikorruptionstag, heute ist der Tag der Menschenrechte. Die UN hat viele solcher Tage, und wir scheuen uns nicht zu sagen, dass sie immer willkommener Anlass sind, just auf diese Themen noch mal genauer zu blicken. Das haben wir ja gestern getan und erfahren, dass Korruption sehr wohl ein Thema in Deutschland ist – können Sie bei uns gern noch mal im Internet nachlesen unter deutschlandradiokultur.de – und die Menschenrechte beziehungsweise ihr Schutz ist ja eines der zentralen Anliegen deutscher Außenpolitik, zumindest wird das immer wieder betont.
Am 10. Dezember 1948 – und ich habe jetzt mittlerweile mal gerechnet – vor 67 Jahren hat ja die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Erklärung der Menschenrechte verabschiedet, natürlich noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs. Und in ihrer Präambel steht: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren." Christoph Strässer ist Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. Schönen guten Morgen, Herr Strässer!
Christoph Strässer: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: 2015 wird uns ja in Erinnerung bleiben, und ich sage nur ein paar Stichworte: Syrien, Islamischer Staat, "Charlie Hebdo", die Anschläge von Paris – ein schwarzes Jahr für die Menschenrechte?
2015 hat es "gravierende Rückschritte" bei den Menschenrechten gegeben
Strässer: Man kann schon feststellen, dass es in vielen Punkten ganz gravierende Rückschritte gegeben hat. Sie haben die sogenannten Hotspots angesprochen.
Aber es gibt natürlich auch immer wieder positive Entwicklungen. Wir haben Wahlprozesse in Teilen Afrikas, zum Beispiel in Burkina Faso, wo etwas abgewendet worden ist, was dramatisch uns erschien. Und von daher ist es immer gut und wichtig, dass man sich rückbesinnt auch an solchen Tagen. Das sind nicht nur irgendwelche Gedenktage, die man hat, sondern es sind Tage, Bilanz zu ziehen. Und ich glaube, in diesem Jahr ist es ganz besonders wichtig.
Brink: Haben wir denn so einen eurozentrischen Blick?
Strässer: Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Das war ja der Kern eigentlich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948, dass wir gesagt haben, die Menschenrechte gelten universell, und deshalb haben wir nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, genau hinzuschauen, was passiert auf der Welt, in anderen Regionen, aber natürlich auch bei uns in Europa.
Sie haben "Charlie Hebdo" angesprochen. Das sind ja Dinge, die passieren mitten in Europa, und sie werden auch nicht von Terroristen aus dem Ausland begangen, sondern das sind Menschen, die die Pässe europäischer Staaten haben.
Brink: Nun ist es eine Deklaration, all das ist ja nicht bindend. Das muss man vielleicht an dieser Stelle auch wieder noch mal sagen, und ich möchte auf einen Artikel doch zu sprechen kommen, der Artikel III nämlich. Da steht: "Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person." Haben wir damit nicht ein Problem in diesen Zeiten, also Freiheit und Sicherheit in Einklang zu bringen?
Es wird oft ein Gegensatz zwischen Freiheit und Sicherheit konstruiert
Strässer: Ich glaube, das ist ein uraltes Problem, ein uraltes Thema. Und wenn Sie sagen, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist unverbindlich, stimmt das natürlich. Aber aufbauend auf ihr sind ja die großen menschenrechtlichen Verträge, auch der Vertrag über bürgerliche und politische Rechte, und da ist es in der Tat so, dass man Gegensätze konstruiert zwischen Freiheit und Sicherheit.
Ich glaube allerdings, und das zeigen eigentlich die Ereignisse, auch die terroristischen Anschläge der letzten Jahre und vielleicht sogar Jahrzehnte, dass man das nicht gegeneinander ausspielen kann. Wer Freiheit aufs Spiel setzt dadurch, dass er glaubt, er kann absolute Sicherheit verschaffen, der wird beides verlieren. Das ist schon eine Erkenntnis, die hat schon Abraham Lincoln im 18. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten erkannt.
Brink: Aber trotzdem sehen wir doch einen Trend, auf mehr Sicherheit zu setzen und die Freiheit vielleicht hintenan zu stellen. Das kann man doch nicht leugnen.
Rebellen der sogenannten Freien Syrische Armee feuern selbstgebaute Bomben auf die Stadt Aleppo ab.
Krieg in Syrien: Rückschritt für die Menschenrechte© Imago
Strässer: Ja. Ich habe es gesagt, es gibt immer wieder die Ansätze, Gesetze zu verschärfen nach terroristischen Anschlägen, aber wir haben ja auch die Erkenntnis, dass, wenn man Freiheitsrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufs Spiel setzt, dass das genau das ist, was die terroristischen Anschläge bewirken wollen.
Und deshalb bleibe ich dabei: Wir haben ausreichend aus meiner Sicht Sicherheitsgesetze. Wir müssen sie konsequent einsetzen, das ist völlig klar. Aber immer wieder neue Gesetze zur vermeintlichen Sicherheit zu schaffen, wird letztendlich beides gefährden, Sicherheit und Freiheit.
Brink: Heute ist noch ein anderer bedeutender Tag, wenn wir nach Oslo blicken. Da wird nämlich der Friedensnobelpreis verliehen.
Die Namen sind ja schon bekannt, heute wird er nun verliehen. Der Friedensnobelpreis geht ja an das nationale Dialogquartett in Tunesien, dem Land, in dem der Arabische Frühling ja begonnen hat, der Aufstand gegen die langjährigen Diktatoren. Ist dann Tunesien auch mit diesem Nobelpreis jetzt so was wie ein Lichtblick in der ja nicht recht guten Bilanz der Arabellion?
Der Friedensnobelpreis ist ein Signal an die tunesische Gesellschaft
Strässer: Ja, ich sehe das genauso. Und ich bin auch sehr froh darüber, weil der Friedensnobelpreis ja in den letzten Jahren durch den einen oder anderen Preisträger auch ein wenig in die Kritik geraten ist.
Ich glaube, in diesem Jahr ist das an das Dialogquartett ein ganz wichtiges Signal, nämlich ein Signal, dass nach einem solchen Aufbruch, der, wie Sie zu Recht sagen, nicht in allen Regionen des Arabischen Frühlings auch das gebracht hat, was viele erwartet und auch erhofft haben, ist ein wirklich wichtiges Signal, gerade auch jetzt, weil ja in Tunesien auch wieder Unruhen entstehen, weil es nicht schnell genug geht, weil es nicht gründlich genug geht.
Ich hoffe, dass dieser Nobelpreis noch mal auch für die tunesische Gesellschaft ein klares Signal ist. Sie ist auf dem richtigen Weg, und die internationale Gemeinschaft sieht das und solidarisiert sich auch mit diesen Bewegungen.
Brink: Wie ist denn da zum Beispiel die Bundesregierung in der Pflicht? Das steht ja immer ganz oben: Menschenrechte. Das ist ja natürlich auch nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ein wichtiger Punkt, einer der wichtigen Punkte deutscher Außenpolitik.
Strässer: Ja, das steht auch bei allem, was deutsche Außenpolitik ausmacht, immer mit auf der Tagesordnung. Das sind natürlich unterschiedliche Ansätze: Macht man das mit Diplomatie, macht man es mit lauten Erklärungen? Wir machen beides. Und ich glaube, beides ist auch wichtig und richtig.
Brink: Was war denn eine laute Erklärung nach Ihrer Einschätzung?
In Sachen Menschenrechte hilft stille Diplomatie manchmal besser
Strässer: Wir hatten zum Beispiel an vielen Stellen, zum Beispiel auch in Saudi-Arabien, die Kritik geübt, sehr laut und sehr deutlich, an dem Urteil gegen einen Blogger, der tausend Peitschenhieben ausgesetzt ist. Das sind alles Dinge, die passieren, und wir erarbeiten zum Teil – das ist im Moment eben eine ganz wichtige Geschichte – einen sogenannten "Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte", in dem noch mal die menschenrechtliche Verantwortung auch im Handel niedergelegt wird, auch als staatliche Aufgabe. Also, da ist eine Menge, und vieles sieht man auch nicht. Das ist auch immer wieder in der Kritik, ich weiß das. Aber ich glaube schon, dass man sagen kann, die menschenrechtliche Bilanz der Bundesregierung insgesamt ist doch sehr gut.
Brink: Und warum sieht man es nicht? Wird das nicht rausgestellt?
Strässer: Weil man eben auch sich die Frage stellen muss, gerade wenn es um Einzelfälle geht, was nutzt eigentlich demjenigen, der in einem Staat, in China oder jetzt in Aserbaidschan in Haft sitzt, was können wir tun, um Leben zu retten, was können wir tun, um auch Zugänge zu verschaffen? Und da ist es nicht immer für die Betroffenen gut, wenn man das sehr laut macht, sondern, wie gesagt, da gibt es auch das, was man "stille Diplomatie" nennt. Und wir haben gerade auch in den letzten Tagen, wie ich finde, zwei sehr positive Ereignisse in den beiden Ländern, die ich angesprochen habe, und auch das wirkt.
Brink: Herzlichen Dank, Christoph Strässer. Er ist Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe. Vielen Dank, Herr Strässer, für das Gespräch.
Strässer: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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