Ruf nach Entlastung
Zum heutigen "Tag der Pflegenden" hat der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner, gefordert, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und insgesamt 100.000 neue Stellen in der Altenpflege und in den Krankenhäusern zu schaffen.
"Wir haben heute eine Situation, wo viel zu wenig Pflegende für viel zu viele Bewohnerinnen und Bewohner, Patientinnen und Patienten zuständig sind", kritisierte der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner, im Deutschlandfunk Kultur die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen. "Sie sind chronisch überlastet, sie müssen oft im Dienst einspringen, sie können nicht so pflegen, wie eigentlich die Menschen gepflegt werden müssten und auch gepflegt werden wolle", sagte er. Deshalb werde mehr Personal benötigt.
Entlastung als Anreiz
Wagner räumte ein, dass diese Forderung paradox klinge, wenn man schon jetzt freie Stellen nicht besetzen könne. "Aber wir sind davon überzeugt, dass dieser Mangel, den wir im Moment haben, vor allem daran liegt, dass eben die Arbeitsbelastung so hoch ist, dass viele Menschen aus dem Beruf aussteigen." Andere arbeiteten nur in Teilzeit, weil dies der einzige Weg sei, die Belastung auszuhalten. "Wenn wir tatsächlich spürbar mehr Stellen hätten, würden wir auch erreichen, dass die Menschen wieder in den Beruf zurückkehren", sagte er.
Regierungspläne reichen nicht aus
Wagner nannte die Pläne der Bundesregierung, 8000 neue Pflegestellen zu schaffen völlig unzureichend. "Das reicht hinten und vorne nicht", sagte er und verwies auf die bundesweit 13.500 Altenheime. Damit könnten noch nicht einmal die vorhandenen Überstunden abgebaut werden. Stattdessen würden mindestens 50.000 Stellen in der Altenpflege und 50.000 in den Krankenhäusern benötigt. "Dann würde sich tatsächlich für die Pflegenden, für die Menschen, die dort arbeiten, spürbar etwas verbessern." (gem)
Das Interview im Wortlaut:
Thomas Jaedicke: Die Menschen in Deutschland werden immer älter. Viele von uns werden wahrscheinlich auf Pflege angewiesen sein. Arbeitskräfte in der Pflege werden also in der Zukunft noch stärker gebraucht. Aber schon jetzt sind sie knapp. Heute am "Tag der Pflegenden" haben Gewerkschaften, Sozial- und Pflegeverbände nochmals mit Nachdruck auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Was kann getan werden, um die Lage zu verbessern. Das habe ich Franz Wagner gefragt, den Präsidenten des Deutschen Pflegerats.
Franz Wagner: Also wir müssen auf jeden Fall die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern. Wir haben heute eine Situation, wo viel zu wenig Pflegende für viel zu viele Bewohnerinnen und Bewohner, Patientinnen und Patienten zuständig sind. Das heißt, sie sind chronisch überlastet, sie müssen oft im Dienst einspringen, sie können nicht so pflegen, wie eigentlich die Menschen gepflegt werden müssten und auch gepflegt werden wollen. Also das heißt, bessere Arbeitsbedingungen heißt zum einen, mehr Personal.
Das klingt zwar paradox in Zeiten, wo man vorhandene Stellen oft nicht besetzen kann, aber wir sind davon überzeugt, dass dieser Mangel, den wir im Moment haben, vor allem daran liegt, dass die Arbeitsbelastung so hoch ist, dass viele Menschen aus dem Beruf aussteigen oder nur in Teilzeit arbeiten, weil das der einzige Weg ist, die Belastung auszuhalten. Also wenn wir tatsächlich spürbar mehr Stellen hätten, würden wir auch erreichen, dass die Menschen wieder in den Beruf zurückkehren möglicherweise, dass wieder mehr Stunden pro Woche gearbeitet werden und dass auch Menschen, die zweifeln im Moment, den Beruf zu ergreifen, tatsächlich eine Chance hätten, da wieder reinzukommen. Das ist nur ein Aspekt.
100.000 Stellen mehr nötig
Jaedicke: Aber Herr Wagner, die Große Koalition hat ja gerade 8000 neue Pflegestellen beschlossen. Reicht das nicht aus?
Wagner: Das reicht hinten und vorne nicht, denn wenn Sie 8000 Stellen nehmen und die auf 13.500 Altenheime verteilen, dann sind das 0,6 Planstellen pro Pflegeheim. Das sind nicht mal genügend Planstellen, um zum Beispiel angelaufene Überstunden abzubauen. Also das ist viel zu wenig. Wir sind der Meinung, wir bräuchten in der Altenpflege mindestens 50.000 Stellen mehr und im Krankenhaus genauso 50.000 Stellen mehr. Dann würde es sich tatsächlich für die Pflegenden, für die Menschen, die dort arbeiten, spürbar etwas verbessern.
Jaedicke: Aber warum wissen das nicht die Spezialisten in der Politik? Ist das so ein Geheimnis oder hätte man das vorher nicht berechnen können?
Wagner: Wir haben seit Jahren darauf hingewiesen. Wenn es Hochrechnungen gab in der Vergangenheit, waren die vor allem in einer Langzeitperspektive, also Zahlen bis 2030, bis 2050, und die sind dann immer im sechsstelligen Bereich. Da hatten wir oft den Eindruck, na ja, da kapituliert man ein Stück weit auch vor dieser großen Zahl und auch der Komplexität der Situation, und andererseits gibt es einfach auch zum Teil ja immer noch andere Vorgaben.
Wenn Sie den Krankenhausbereich nehmen, dort zählt vor allem die Ökonomie. Also am Ende des Wirtschaftsjahres ist wichtig, was in der Bilanz steht. Wenn aber dann parallel dazu zum Beispiel die Länder ihre Investitionskosten nicht übernehmen, dann muss gespart werden. Da hat man häufig am Pflegepersonal gespart.
In den Pflegeheimen hat sich sehr viel am Grad der Pflegebedürftigkeit, also am Umfang der Unterstützung verändert, man hat aber Personal nicht angepasst entsprechend. Also man hat immer noch die fortgeschrittenen alten Schlüssel. Im Endeffekt ging es dabei aber auch immer um Geld, denn wenn man spürbar was verbessern möchte, muss ich deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, und das sind Milliarden pro Jahr, und dafür war bisher das Geld nicht da.
Zuwanderung kann helfen
Jaedicke: Wenn die Politik jetzt umdenkt und das Problem erkennt und mehr Geld für die Pflege ausgeben möchte, hat man andererseits ja immer noch den Fachkräftemangel. Könnte das geplante Einwanderungsgesetz, das die Kanzlerin angekündigt hat, das spätestens in zwei Jahren kommen soll, ein richtiges Instrument sein, um hier eventuell auch Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen?
Wagner: Also Zuwanderung ist sicherlich eine Option. Allerdings wird sie in der Gesamtmenge her, glaube ich, nicht spürbar etwas verändern, denn wir haben weltweiten Mangel an Pflegefachpersonal, und in fast allen anderen entwickelten Ländern der Welt, auch um uns herum, in vielen Ländern ist die Situation in der Pflege deutlich besser, und wenn ich eine Fremdsprache schon lernen muss, denn die wenigsten werden Deutsch können, dann lerne ich vielleicht gleich lieber Niederländisch oder Schwedisch oder Norwegisch, weil ich dann dort deutlich bessere Arbeitsbedingungen vorfinden werde und auch mehr Karrieremöglichkeiten habe, mehr verdiene als in Deutschland.
Also von daher, wir werden sicherlich Menschen gewinnen, und wenn das gut gemacht wird, also wir den vergleichbaren Ausbildungsstand haben und auch die Sprache gut beherrschen, spricht ja gar nichts dagegen, aber es wird nicht die Lösung für unser Problem sein, sondern nur eine Facette von vielen anderen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.