"Wir brauchen dringend einen Digitalrat"
Die Medienexpertin Marlis Prinzing plädiert für die Einführung eines Digitalrats nach dem Vorbild des Presserats: Als Anlaufstelle für Probleme rund um die Digitalisierung. Das betreffe auch private Nutzer, die ebenso Verantwortung für publizierte Inhalte übernehmen sollten.
Liane von Billerbeck: Der 3. Mai, der heutige 3. Mai, ist der Tag der Pressefreiheit. Und Presse ist schon lange nicht mehr nur das papierne, das gedruckte Blatt. Die Inhalte werden digital längst über Plattformen im Netz verbreitet, ohne dass die Vertreiber der Nachrichten Mechanismen von Selbstregulierung oder Regulierung unterworfen sind. Die Rolle von Facebook, Twitter und Co. ist inzwischen längst eine andere: Sie sind Medienkonzerne, ohne aber der Regulierung von Konzernen, die Presse vertreiben, zu unterliegen. Und daran muss sich etwas ändern.
Am heutigen Tag der Pressefreiheit sprechen wir darüber mit Marlis Prinzing. Sie ist Professorin für Journalistik an der Macromedia-Hochschule in Köln und schlägt vor, ähnlich dem Presserat einen Digitalrat zu schaffen, um die Macht über die Medien nicht völlig den Plattformen und irgendwelchen Algorithmen zu überlassen. Frau Prinzing, schönen guten Morgen!
Marlis Prinzing: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Warum brauchen wir Ihrer Ansicht nach einen Digitalrat? Was wäre der Vorteil eines solchen Gremiums?
Prinzing: Es geht darum, dass wir dringend eine Anlaufstelle brauchen, die sich vor allen Dingen mit allen Themen rund um die Digitalisierung kompetent beschäftigt. Da wäre ein Digitalrat, in den jetzt beispielsweise das Publikum und damit die Zivilgesellschaft eingebunden wäre, in dem beispielsweise die Kommunikatoren, also die Onlinejournalisten eingebunden wären, in dem beispielsweise dann aber auch die Plattformbetreiber oder die Medienleute eingebunden wären, sicher eine sinnvolle Art von Anlaufstelle.
Ein Digitalrat als Selbstregulierungsgremium
von Billerbeck: Aber es geht ja schon damit los, dass sich die Plattformbetreiber, also Facebook, YouTube, Twitter gar nicht als Medienunternehmen sehen. Wie sollte man sie rechtlich zwingen können, sich daran zu beteiligen?
Prinzing: Rechtlich zwingen ist sicherlich eine schwierige Geschichte. Und das ist im Grunde genommen an der Stelle auch eine andere Ebene. Es würde bei einem Digitalrat darum gehen, ein Selbstregulierungsgremium zu schaffen, dass auf der Basis von Einsicht funktioniert, also nicht im Bereich des Verbotenen, wo das Recht funktioniert, sondern im Bereich des Gebotenen.
Und wir spüren da schon mindestens mal einiges an Bewegung, weil der öffentliche Druck auf die Plattformbetreiber natürlich auch beträchtlich wächst. Ein Beispiel: Als Mitte April stundenlang auf Facebook das Video eines Mörders aus Ohio kursierte, der gefilmt hat, wie er tötete, und dies dann eben auch gepostet hat, da hagelte es Proteste, und Facebook hat selbst Versäumnisse eingeräumt.
Und auch in seinem aktuellen Weißbuch gibt Facebook zu, dass sie selber während des US-Wahlkampfs Muster von Informationsfeldzügen entdeckt haben. Das heißt einfach, auf Seiten, beispielsweise von Facebook, ist durchaus jetzt etwas Bewegung. Und diese Bewegung sollte man nutzen, um hier Verantwortung klar zuzuweisen und beispielsweise Facebook da mit einzubinden in Form eines Digitalrats.
Die Grenzen der Pressefreiheit
von Billerbeck: Heute ist ja der Tag der Pressefreiheit, und es wird viel diskutiert über Meinungsfreiheit in digitalen Zeiten. Aber auch an dem Beispiel, das Sie eben gebracht haben, da fragt man sich, warum wir in Zeiten von Fake-News, Filterblasen und Algorithmen so wenig über die Zusammenhänge fragen und so wenig auch nach den Grenzen von Pressefreiheit.
Prinzing: Es gibt keine Freiheit, ohne dass es auch Einschränkungen gibt: Einschränkungen, was eben beispielsweise Jugendschutz anlangt, Einschränkungen, was auch ein Einverständnis bezogen auf eine spezielle Gesprächskultur anlangt. Und genau das gilt es zu diskutieren.
Und das ist wiederum ein Punkt, der dazu führt, dass man sagt, über einen Digitalrat kann man auch so ein Diskursforum dann haben, weil beispielsweise dieser Rat, ähnlich wie im Übrigen auch beispielsweise der Deutsche Presserat, oder auch, bezogen auf Werbung, der Deutsche Werberat, weil dieser Digitalrat auch eine Anlaufstelle sein kann für Beanstandungen, für Beschwerden, für Punkte, über die sich beispielsweise ein Publikum empört.
Und die Auseinandersetzung mit diesen Themen, über die man sich empört, die führt dann mittelbar auch dazu, dass man eine Art Kompass entwickelt und Gespür dafür entwickelt, was geht und aus welchen Gründen dies geht. Und damit entsteht dann eben auch so ein Gefühl für die Grenzen, die man nicht überschreiten möchte beim Publizieren, und für das, wo einfach auch ein Forum da sein muss, um seine Meinung, seine Position zu äußern.
Auch private Publizierer sollten im Digitalrat sein
von Billerbeck: Kurze Frage zum Schluss, Frau Prinzing: Viele Nutzer sind selbst Akteure, indem sie etwas posten oder verbreiten im Netz. Ist denen das eigentlich bewusst?
Prinzing: Denen muss dies bewusst werden, und einem Teil ist es auch bereits bewusst: Da geht es wirklich darum, dass diesem publizierenden Publikum genauso auch ein Kompass an die Hand gegeben wird, wie das beispielsweise dem professionellen Part durch den Presserat ja auch gegeben ist.
von Billerbeck: Das heißt, diese Publizierer, diese Verbreiter, diese Poster von Nachrichten im Netz müssen sich quasi als Medium verstehen und auch als solche kontrolliert und reguliert werden. Müssten dann also auch alle diese Privatmenschen eingebunden werden in den Digitalrat?
Prinzing: Das sollte ja eben gerade dadurch passieren, dass auch das Publikum neben eben den professionellen Kommunikatoren, neben den Plattformbetreibern und Medienhäusern, mit dabei ist. Es geht darum, dass wir alle einen Kompass uns verschaffen, der einem ein Gespür dafür gibt, was man zumuten kann, wer wofür verantwortlich ist. Jeder, der publiziert, ist verantwortlich für das, was er publiziert. Manches passiert da einfach relativ (unbedacht).
von Billerbeck: Unbedacht, ja. Marlis Prinzing war das, Journalistin, Professorin aus Köln. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Prinzing!
Prinzing: Ich danke Ihnen, Frau von Billerbeck!
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