Tag der Tropenwälder

"Wir untergraben unsere eigene Existenz"

06:25 Minuten
Regenwald in Ecuador
Die Tropenwälder sind ein wichtiges biologisches und klimatisches System. Die Sorge um ihren Bestand wächst. © blickwinkel/picture-alliance
Karl Linsenmair im Gespräch mit Ute Welty |
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Vor 50 Jahren hielt der Biologe Karl Linsenmair schon erste Vorträge, in denen er vor der Gefahr für die Tropenwälder warnte. Es macht ihn ratlos, wie wenige Menschen begreifen, dass sie von den Regenwäldern abhängen.
Ute Welty: Der heutige Tag der Tropenwälder dürfte in diesem Jahr mehr Aufmerksamkeit als zuvor erhalten. Zum einen wird anlässlich der Brandrodungen in Brasilien und anderswo so intensiv wie selten über die Nutzung des Regenwalds diskutiert. Zum anderen wird ein berühmter Forscher 250 Jahre alt: Alexander von Humboldt. Er gilt als einer der ersten Umweltaktivisten überhaupt. Quasi in der Humboldt-Nachfolge steht Karl Linsenmair, seit langen Jahren lehrt und forscht der Biologe in Würzburg. Für ihn sind die Bilder der brennenden Tropen- und Regenwälder kaum zu ertragen.
Karl Linsenmair: Das ist absolut entsetzlich. Es wird Regenwald in großem Maßstab zerstört, das ist nicht nur im Amazonas, das ist in Südostasien genau das gleiche. Sie erinnern sich sicher an die Verhältnisse auf Sumatra, in Borneo, wo man zeitweilig keine fünf Meter weit sehen konnte, so dicht war alles mit Rauch zu. Dabei verlieren wir unendlich wichtige Komponenten sowohl aus dem biologischen System wie auch aus dem klimatischen System.
Welty: Welche Komponenten sind das?
Linsenmair: Bekanntermaßen sind die Tropenwälder, vor allem die feuchten Tropenwälder, die Senken für CO2 am Land. Und sie sind eben deshalb ganz besonders bedeutend, weil die feuchten Tropenwälder permanent aktiv sind; es gibt keine Trockenzeit, es gibt keinen Winter. Dadurch hat man im Kronenbereich der Wälder einen eigenen Lebensraum, der wohl der diverseste ist, den wir zumindest an Land haben.

Ringen mit Machtlosigkeit

Welty: Jetzt haben Sie Aufrufe unterzeichnet und Petitionen verabschiedet. Ab wann macht sich ein Gefühl der Machtlosigkeit breit?
Linsenmair: Mit dem kämpft man ein Leben lang. Das, was heute neu aus der Taufe gehoben wird, das hätten Sie bei mir schon vor 50 Jahren in den ersten Vorlesungen hören können.
Welty: Was machen Sie dann damit? Ich stelle mir gerade vor, wenn Sie seit 50 Jahren davon sprechen, dass es eine so große Gefahr gibt für die Regenwälder – und es wird nicht besser, es wird schlimmer.
Linsenmair: Ja, man kann verzweifeln. Das hat nur keinen Wert. Insofern versucht man zu retten, was irgendwie zu retten ist, und eben immer wieder Sturm zu laufen und den Leuten klarzumachen, dass unsere Existenz davon abhängt. Das ist etwas, was ich überhaupt nicht kapieren kann, dass offensichtlich mit der grundsätzlichen biologischen Unbildung und der Unbildung auch, was den eigenen Körper, die eigenen Bedürfnisse anbelangt, da sind wir furchtbar, da sind wir schlechter als die Steinzeit mit Sicherheit.
Im brasilianischen Regenwald brennt es.
Die Feuer im Regenwald waren dieses Jahr noch dramatischer als sonst. © Gabriela Biro/Agencia Estado/picture alliance / Photoshot
Welty: Wälder insgesamt und vor allem Tropen- und Regenwälder lassen sich nicht von heute auf morgen aufforsten. Was empfehlen Sie aber, was gleich morgen oder besser noch heute passieren müsste?
Linsenmair: Wir müssten versuchen, alle Quellen zu verstopfen, aus denen CO2, Methan und ähnliches in unglaublicher Menge fließt. Das ist das Einzige, was wir wirklich schnell machen können. Ansonsten ist Wiederaufforstung natürlich ein sehr gutes Mittel. Aber da habe ich auch meine Erfahrungen, was Wiederaufforstung in vielen Ländern bedeutet: Es wird gemacht, die kleinen Pflänzchen stehen da für zwei, drei Jahre und spätestens dann kommen die Ziegen und die Schafe drüber und das Ganze geht zum Teufel.
Man muss sehr viel langfristig investieren. Schauen Sie, es sind Milliarden, zig Milliarden, Hunderte von Milliarden verdient worden mit Tropenholz, aber man hat es nicht fertig gebracht, irgendwo wirklich gute Experimentalgebiete zu reservieren, in denen wissenschaftlich gründlich gearbeitet werden kann und aufgeklärt werden kann, was man überhaupt mit dem Regenwald machen kann. In vielen Bereichen, gerade im Amazons, sind die Böden so, dass, wenn sie ausgeräumt worden sind, wenn die lebende Biomasse entfernt worden ist, dann sind die in kürzester Frist tot.

Später Weckreiz

Welty: Jetzt offenbart sich im Konflikt von Mensch und Regenwald der Konflikt von Mensch und Natur insgesamt. Musst das so sein oder lässt sich da Ihrer Meinung nach doch eine Kompromisslinie erkennen?
Linsenmair: Ich hoffe, dass eine Kompromisslinie erkennbar ist. Ich frage mich allerdings auch ziemlich verzweifelt, warum 70 Prozent unserer Insekten und 55 Prozent unser Vogelarten und Vogelindividuen erst mal verschwinden müssen, bevor irgendwie ein Weckreiz kommt, der über das fachlich informierte Klientel herausgeht.
Der Stern von Madagaskar (Angraecum sesquipedale) wächst am Baumstamm im Regenwald, in Ost-Madagaskar. 
Die Schönheiten des Regenwaldes gehen mehr und mehr verloren.© imageBroker/picture-alliance
Welty: Wir feiern heute nicht nur den Tag der Tropenwälder, sondern auch den Geburtstag von Alexander von Humboldt. War der auch in Ihren Augen einer der ersten Umweltaktivisten, als den ihn viele inzwischen bezeichnen?
Linsenmair: Ich denke, man bezeichnet ihn zu Recht als solchen. Er hat diese ganzheitliche Sicht zum ersten Mal gebracht und er hat sehr viel zur Aufklärung der Verhältnisse in den Tropen getan. Wissenschaftliches Verständnis ist, was wir heute brauchen, was ich bei den ganzen derzeitigen Aktionen eben fürchte, ist, dass sie Eintagsfeuer werden, auch wenn sie vielleicht ein paar Monate flackern, aber dann doch man wieder zur allgemeinen Geschäftsordnung übergeht und die Wälder mal wieder vergisst – beziehungsweise die Natur insgesamt vergisst. Dabei versündigen wir uns irgendwann so weit, dass wir unsere eigene Existenz untergraben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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