"Extreme Überdüngung" in der Landwirtschaft stoppen
Anlässlich des Tags des Artenschutzes hat der Ökologe Josef H. Reichholf den Tierschutz in Deutschland als völlig unzureichend kritisiert. Die Naturschutzverordnungen seien "nicht in der Lage, den vorhandenen Artenreichtum zu erhalten", sagte er im Deutschlandradio Kultur.
Jörg Degenhardt: Sind Sie ein Naturliebhaber, ein Naturfreund? Kaum jemand wird diese Frage mit Nein beantworten, schon gar nicht heute, am Tag des Artenschutzes, der an bedrohte Tier- und Pflanzenarten erinnern soll. Und das eine hat ja sehr wohl mit dem anderen zu tun, möchte man meinen. Also, wer die Natur schützt, der tut auch etwas für das Blaukehlchen oder den Rotmilan. – Oder etwa nicht?
Josef H. Reichholf eilt der Ruf voraus, einer der profiliertesten Biologen Deutschlands zu sein. Er lehrt Naturschutz an der TU München, ich habe mit ihm gesprochen. Herr Reichholf, Sie sagen: Ein Mehr an Naturschutzflächen bedeutet nicht automatisch ein Mehr an Artenvielfalt. Warum nicht?
Josef H. Reichholf: Weil in der Regel bei uns die Naturschutzverordnungen nicht in der Lage sind, den vorhandenen Artenreichtum zu erhalten, also jenen Schutz zu gewährleisten, den die Bevölkerung eigentlich mit dem Begriff des Naturschutzes verbindet. Denn es sind ja die Naturnutzer in aller Regel ausgenommen, sodass im Wesentlichen im deutschen Naturschutz die Naturfreunde eingeschränkt und ausgesperrt werden.
Degenhardt: Worauf kommt es denn an bei den Naturschutzflächen?
Reichholf: Es kommt auf zwei zentrale Punkte an. Der erste Punkt ist: Wenn es sich um ein Schutzgebiet für Tiere handelt, die eben vor Verfolgungen, vor Nachstellungen geschützt werden sollten, dann müsste die Jagd eingestellt oder in Einzelfällen den Artenschutzzielen untergeordnet werden. Und das Zweite ist, dass die Entwicklungen, die insbesondere von der Landwirtschaft ausgehen, auf die meisten geschützten Flächen einwirken und diese in relativ kurzer Zeit so sehr verändern, dass sie dem ursprünglichen Schutzziel nicht mehr entsprechen. Also müssen Managementmaßnahmen vorgenommen werden, die die Zielrichtung optimieren. Und das ist in der Regel nicht mit Aussperren von interessierten Naturfreunden zu erreichen, sondern mit konkreten Maßnahmen, die auch entsprechend kommuniziert werden müssen.
Degenhardt: Ist für Sie die Landwirtschaft, so wie sie hier in Deutschland betrieben wird, der größte Feind der Artenvielfalt?
Landwirtschaft muss eingeschränkt werden
Reichholf: Mit Abstand. Der weitaus größte Teil der Rückgänge und der Verluste von Arten geht auf das Konto der Landwirtschaft. Alle übrigen Einflussgrößen, insbesondere die viel bekämpften Naturfeinde – unter Anführungsstrichen – wie Industrie, Straßenverkehr, Bau- und Siedlungstätigkeit fallen demgemäß, was die Landwirtschaft anrichtet, fast unter ferner liefen, also in dem Bereich der Unsicherheitsgrößenordnungen. Aber die Landwirtschaft ist ja freigestellt von den Einschränkungen, die die Naturschutzgesetze und -verordnungen vorsehen, oder nur unwesentlich an einigen wenigen Flächen ein bisschen eingeschränkt. Und dadurch ist die Zielsetzung des Artenschutzes bei uns solange nicht zu erreichen, solange die Landwirtschaft keine entsprechenden Einschränkungen auferlegt bekommt.
Degenhardt: Ich hätte jetzt noch an den Klimawandel gedacht als ein Killer von Artenvielfalt?
Reichholf: Ach, den können wir völlig vergessen. Das ist also ein total unnötig aufgebauschtes Phänomen. Der Klimawandel kann nichts mehr vernichten, was vorher bereits durch die Eingriffe insbesondere eben seitens der Landwirtschaft vernichtet wurde. Das ist die perfekte Ausrede insbesondere auch für die Politiker, dass alles, was sich verändert, dann möglichst schnell und gleich auf den Klimawandel geschoben wird, obwohl wir – was kaum jemand öffentlich sagt – also zum Beispiel hier in Süddeutschland in den letzten zehn Jahren einen Rückgang der Temperaturen hatten, aus welchen Gründen auch immer. Der große Anstieg, der in den 1990er-Jahren stattfand, ist vorüber. Also sollten die Arten ja auch, die angeblich vom Klimawandel bedroht sind, nicht mehr bedroht sein. Das ist alles Unfug. Da haben wir in anderen Regionen dieser Erde damit zu tun. Aber bei uns geht es darum, die Eingriffe, vor allen Dingen das extreme Ausmaß an Überdüngung herunterzufahren, wenn wir effizient Artenschutz betreiben wollen.
Degenhardt: Haben Sie darüber schon mal mit Landwirten gesprochen?
Reichholf: Ja sicher, aber die Landwirte als Menschen, als Personen sind ja eingebunden in das EU-Agrarsystem. Dem können die wenigsten entkommen. Der geringe Anteil der Bio-Landwirte, wenn wir von dem absehen, die sind ja in etwas besserer Situation, aber nicht finanziell. Sodass das System geändert werden müsste. Es müsste sich lohnen für die Landwirte, etwas für die Erhaltung der Natur, für das Landschaftsbild, für die Artenvielfalt zu tun. So lohnt es sich aber, Mais anzubauen, Biomasse zu produzieren. Und das ist der Tod unserer Artenvielfalt.
Degenhardt: Stehen Sie denn mit Ihrer Meinung alleine da oder gibt es auch andere Kollegen, die diese Meinung teilen?
Reichholf: Ach, das wissen alle …
Degenhardt: Weil, Ihnen eilt ja so ein bisschen der Ruf voraus, Sie seien ein Querdenker?
Naturschutzbünde wagen nicht, sich zu äußern
Reichholf: Die Naturschutzverbände wissen das, sie wagen das so nicht zu sagen, weil sie natürlich auch abhängig sind von Subventionen, von öffentlichen Geldmitteln. Aber wenn Sie im Fachkollegenkreis nachfragen, dann werde Sie übereinstimmend diese klare Feststellung getroffen finden. Wir haben das Hauptproblem im Artenschutz bei uns in der Landwirtschaft und in der Tatsache, dass die Öffentlichkeit immer weniger Interesse an der Natur entwickelt, weil sie zu sehr ferngehalten wird, ausgesperrt von der Natur.
Degenhardt: Ohne jetzt auf die Politik einzuschlagen, möchte ich dann doch noch mal da anknüpfen und fragen: Wie kann man denn dann das Interesse am Naturschutz – dazu gehört ja dann auch die Bewahrung der Artenvielfalt –, wie kann man dieses Interesse denn fördern? Denn offensichtlich ist ja da bisher einiges falsch gemacht worden!
Reichholf: Ja sicher, es sind so viele Bestimmungen im Artenschutz im Speziellen, aber im Naturschutz ganz allgemein, die es den Naturfreunden erschweren, den Kontakt zur Natur aufzunehmen. Es ist ein grober Unfug, wenn Mauserfedern von Vögeln, nur weil sie als Singvögel geschützt sind, von Kindern, Jugendlichen oder auch interessierten Erwachsenen nicht gesammelt werden dürfen, sondern eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung dafür notwendig ist. Wenn hier mal wirklich grundsätzlich gestrichen würde, was nichts gebracht hat, außer dass Naturfreunde abgehalten worden sind, sich mit der Natur zu beschäftigen, dann kämen wir voran. In Deutschland ist gegenwärtig die Situation die: Wer sich ernsthaft mit der Natur befassen möchte, braucht eine Ausnahmegenehmigung. Das ist doch völlig absurd!
Degenhardt: Das klingt jetzt ziemlich deprimierend. Und da wir heute diesen Tag des Artenschutzes haben, möchte ich nicht aus unserem Gespräch gehen, Herr Reichholf, ohne eine Anmerkung Ihrerseits, die uns vielleicht ein bisschen Hoffnung macht! Also, was macht Ihnen zum Beispiel Hoffnung, dass sich in dieser Frage Naturschutz etwas ändert in Deutschland?
Die Naturschutzverbände wären stark genug
Reichholf: Dass die Naturfreunde, die sogenannte interessierte Öffentlichkeit das immer stärker realisiert und – das ist meine große Hoffnung, und da bin ich Optimist – auch den nötigen politischen Druck entwickeln wird. Die Naturschutzverbände wären stark genug. Wenn sie mitziehen, dann lassen sich unsinnige Bestimmungen zurechtbiegen oder aufheben, die dem Artenschutz nicht genützt haben. Und dann wird über den verbesserten Kontakt zur Natur auch besser eingewirkt werden können auf die wirklich ganz wesentlichen Einflussgrößen, die von der Landwirtschaft in allererster Linie ausgehen, aber auch was die Jagd betrifft.
Degenhardt: Der 3. März ist der Tag des Artenschutzes. Das war der Anlass für das Gespräch mit Josef H. Reichholf, Ökologe von der Technischen Universität München. Herr Reichholf, vielen Dank für das Gespräch!
Reichholf: Ich danke für das Interview!
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