Was wir vom Hund lernen können
Die Beziehung zwischen Mensch und Hund ist von ganz besonderer Natur, sagt der Philosoph und bekennende Hundefreund Andreas Weber: Sie beruhe auf dem Gefühl des Schenkens und Beschenktwerdens. Das könne auch zur Maxime für eine anderes Denken werden.
Der Philosoph und Biologe Andreas Weber beschreibt das Glück des Lebens mit einem Hund. Es bestehe aus einer ganz besonderen Beziehung, die auf dem Prinzip einer vorbehaltlosen, nicht Besitz ergreifenden Gegenseitigkeit beruhe, sagte er im Studio Deutschlandradio Kultur. Dort war er gemeinsam mit seinem Pudelterrier "Erbse" zu Gast:
"Wir wollen uns beide möglichst viele Gefallen tun. Und das ist eigentlich so das Gefühl eines ständigen Schenkens und Beschenktwerdens. Und insofern habe ich das Gefühl: Zu 'Erbse' habe ich eine nicht-toxische Beziehung. Und das versprüht einfach viel Lebensenergie."
Die Beziehungsfähigkeit des Hundes
Beim Hund handele es sich um eine ganz besondere Tierart, sagte Weber: Sie existiere in der biologischen Nische der menschlichen Familie:
"Den Hund gibt es nur mit dem Menschen gemeinsam. Insofern ist der Hund auch auf eine ganz besondere Weise beziehungsfähig. Das heißt, er kann auf den Menschen reagieren. Insofern braucht der Hund Menschen. Und er braucht vor allem das, was wir auch brauchen: Nämlich eine Beziehung auf Gegenseitigkeit. Das ist artgerecht."
Sein ohne Besitzen - der Hund als besserer Mensch
Aus evolutionshistorischer Sicht sei der Hund die erfolgreichste biologische Art, so die Einschätzung Webers: Weil er sich mit der ebenso erfolgreichen Art "Mensch" zusammengetan habe. Doch jenseits allen Erfolgsdenkens gebe es noch einen ganz besonderen "Charme des Hundes", der durchaus zur Maxime für ein anderes Denken werden könne:
"Dass er uns lehrt, das Sein ohne Besitzen auskommen kann oder sogar muss, wenn es wirklich echte Lebendigkeit sein soll. Das können wir vom Hund wirklich gut lernen. Das möchten wir auch, aber es fällt uns schwer, weil wir in anderen Strukturen aufgezogen worden sind. Weil unsere Welt – ich sage nur Wachstum, Effizienz, Optimierung und so weiter – ganz anders funktioniert."
An Wochenende vom 4./5. Juni 2016 findet mit zahlreichen Veranstaltungen der "Tag des Hundes" statt.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Nicht, dass ich mich ansonsten unwohl fühle, aber heute fühle ich mich besonders wohl hier im "Studio 9", denn Erbse ist zu Gast bei Deutschlandradio Kultur. Erbse ist eine ziemlich hinreißende Mischung aus Pudel und Terrier, und sie ist zu uns gekommen, weil an diesem Wochenende der Tag des Hundes begangen wird, mit vielen Aktionen, Infoveranstaltungen in Tierarztpraxen und gemeinsamem Gassi-Gehen. Und weil ein Interview mit Erbse allein womöglich so ausgeht wie bei Loriot, weil der Hund dann eben doch nicht sprechen kann, durfte Erbe ihr Herrchen mitbringen, den Philosophen und Biologen Andreas Weber. Guten Morgen!
Andreas Weber: Hallo, guten Morgen!
Welty: Was mögen Sie am Leben mit Erbse respektive am Leben mit Hunden?
Weber: Ja, danke, das ist eine tolle Frage. Aber erst mal muss ich sagen, ich freue mich sehr, dass ich die Ehre habe, diesmal Erbse zu begleiten als sozusagen Dolmetscher. Das ist eigentlich die richtige Reihenfolge auch. Was ich am Leben mag, ist, dass wir uns beide, glaube ich, möglichst viele Gefallen tun wollen, und dass es eigentlich so das Gefühl ist eines ständigen Schenkens und Beschenktwerdens. Und insofern habe ich das Gefühl, zu Erbse habe ich eine wirklich nicht giftige, nicht toxische Beziehung. Und das ist einfach Lebensenergie versprühend.
Auf den Hund gekommen: Das schöne Lebensgefühl
Welty: Gibt es neben Erbse auch Möhre, also gibt es mehrere Hunde?
Weber: Nein, nein, es gibt nur diesen einen Hund, und den Namen hat meine Tochter erfunden, als sie noch sehr klein war. Es gibt nur diesen Hund, sonst nur Menschen.
Welty: Kommt in der Beschreibung Ihrer Beziehung zu Erbse das Wort "besitzen" vor?
Weber: Nein. Deswegen würde ich auch niemals sagen, das ist mein Hund im Sinne wie das ist mein Auto oder mein I-Phone. Sondern sie ist meine beste Freundin vielleicht, so in der Richtung, so ist das Lebensgefühl. Das hat ja auch nichts mit Besitzen zu tun, sondern das hat was mit Jemand-anderem-etwas-Ermöglichen zu tun. Jemand anderen so lebendig wie möglich sein lassen und dadurch selbst lebendig werden.
Und wenn Sie meine Tochter fragen – das könnten Sie jetzt immer noch tun –, wenn Sie hier wäre, dann würde sie sagen: Erbse ist meine Schwester. Also auch sie hat nicht das Gefühl von Besitz, sondern sie hat das Gefühl, sie sind eben Geschwister. Und es passt nicht ganz damit zusammen, dass Erbse meine beste Freundin ist, aber da ist auch so ein Gefühl von Gegenseitigkeit enthalten.
Existenz in der biologischen Nische des Menschen
Welty: Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon Armeen von Tierschützern auf die Barrikaden gehen, die sagen, um Himmels willen, dieser Mann vermenschlicht den Hund.
Weber: Ja, also der Hund ist ja eine ganz besondere Tierart, denn sie existiert in der biologischen Nische der menschlichen Familie. Sie ist eben kein Wildtier, dass man nur artgerecht halten kann, wenn es wild ist, wie fast alle anderen Tiere und wie alle Zootiere natürlich. Den Hund gibt es nur mit Mensch, und insofern ist der Hund auch auf ein ganz besondere Art und Weise beziehungsfähig. Das heißt, er kann auf den Menschen reagieren. Hunde schauen einen ja auch an, das tun ihre nächsten Verwandten – die Wölfe - ja nicht. Oder wenn, dann wird es ein bisschen heikel.
Insofern braucht der Hund Menschen. Und er braucht vor allen Dingen das, was wir auch brauchen, nämlich eine Beziehung auf Gegenseitigkeit. Das ist artgerecht. Man könnte sogar sagen, dann erst ist der Hund in seiner eigenen Wildheit, so wie auch wir selber, wenn wir in einer gut ausbalancierten Beziehung sind.
"Jede gelingende Beziehung ist ein Spiel"
Welty: So wie der Mensch ganz Mensch ist, wenn er spielt, ist der Hund ganz Hund, wenn er beim Menschen ist?
Weber: Ja, ich würde sagen, der Hund ist auch ganz Hund, wenn er spielt, denn jede gelingende Beziehung ist ja eigentlich ein Spiel. Das ist ja eigentlich eine Gestaltung von etwas Notwendigem, aber mit der Grazie und mit der Begeisterung und mit den Schnörkeln der Freiheit. Das ist ja das Schöne daran. Ein Beispiel dafür: Meine Tochter erfindet jeden Morgen einen neuen Namen für den Hund, und den textet sie mir dann, und ich erfinde einen zurück. Also auch wenn sie nicht bei mir übernachtet hat, dann kriege ich so einen Namen. Also es ist sozusagen ein zärtliches Spiel. Und wenn der Hund da ist, dann kriegt er den Namen natürlich ins Ohr geflüstert und –
Welty: … merkt ihn sich dann auch und kann ihn am Abend auswendig …
Weber: Er merkt ihn sich auf jeden Fall. Alle vergessen diesen Namen nach fünf Minuten schon wieder, außer den drei oder vier Hauptnamen, die es gibt. Nein, der Hund merkt sich nur die Namen seiner Liebhaber in Italien, die weiß er alle noch. Also, der weiß jeden Namen jedes Hundes, der ihm was bedeutet hat und der einen Namen hatte, den ich mal ausgesprochen habe.
Der besondere Charme des Hundes
Welty: Was können denn Menschen von Hunden lernen, auch und vor allem, was die Entwicklungsperspektive angeht? Denn im Gegensatz – nein, ich muss es anders formulieren: Es gibt ja durchaus entscheidend mehr Hunde als Wölfe beispielsweise. Von daher muss ja etwas in dieser Entwicklung passiert sein, was dieses Tier ausgesprochen erfolgreich macht, was die Evolution angeht.
Weber: Ja, wenn man das aus der Perspektive betrachtet, dann ist der Hund vielleicht überhaupt die erfolgreichste biologische Art, weil sie sich mit der anderen so wahnsinnig erfolgreichen biologischen Art Mensch zusammengetan hat. Oder sagen wir, die erfolgreichste nicht menschliche biologische Art. Ich bin aber selbst auch als Biologe und Philosoph immer so uninspiriert, was diesen Erfolgsdiskurs angeht.
Ich glaube, dass tatsächlich im Grunde wir schon darüber gesprochen haben, was das Besondere, der Charme des Hundes ist, und das heißt, das ist eigentlich, dass er uns lehrt, dass Sein ohne Besitzen auskommen kann oder sogar muss, wenn es wirklich echte Lebendigkeit sein soll. Das können wir eigentlich vom Hund wirklich gut lernen, und das ist eigentlich etwas, was wir, glaube ich, für unsere Beziehungen lernen möchten, aber das fällt uns immer so wahnsinnig schwer. Weil wir in ganz anderen Strukturen aufgezogen werden, weil unsere Welt (so aussieht) – ich sage nur Wachstum, Effizienz, Optimierung et cetera.
Ich muss funktionieren. Und den Feierabend versüße ich mir dadurch, dass ich etwas habe – unsere menschliche Welt funktioniert ja ganz anders. Und dann ist da auf einmal so ein Tier, das nicht den Anspruch stellt, dass ich etwas getan haben muss dafür, geliebt zu werden. Ich werde also gesehen und gemocht und geschätzt ohne irgendetwas.
Welty: Wenn man mal davon absieht, dass Sie die Dose mit dem Futter aufmachen und den Kühlschrank – weil der Hund hat ja keine Daumen.
Weber: Das ist wahr, natürlich, und im Zweifelsfall die Welpen aufziehe. Das sind halt die Sachen, für die der Hund den Menschen braucht. Aber diese Verkettung, Hunde mögen nur die, die ihnen das Futter aufmachen, die stimmt natürlich nicht. Hunde mögen die, zu denen sie aus irgendeinem Grunde eine individuelle, enge Beziehung aufbauen. Hunde mögen natürlich auch immer Menschen, die ihnen Futter hinstellen. Das ist ja klar. Aber diese Verkürzung ist empirisch schon nach drei Minuten nicht haltbar.
Wenn Kinder sich einen Hund wünschen
Welty: Wir haben viel über den Hund gesprochen, wir haben auch viel über Ihre Tochter gesprochen. Ist das eine klassische Win-Win-Situation, Kind und Hund, Hund und Kind, wobei viele Eltern ja nichts mehr fürchten als den Satz: Mama und Papa, ich will einen Hund?
Weber: Schön – mir gefällt das, wie Sie das sagen. Genau das ist es. Es ist eine klassische Win-Win-Situation, oder, jetzt ein bisschen politischer oder philosophischer gesagt, das ist eine gelingende Allmende, ein Commons, eine Gemeingüterbeziehung, in der beide teilnehmen, in der beide etwas abgeben müssen und in der beiden dafür etwas dafür gegeben wird.
Nein, ich weiß natürlich, alle Eltern hören irgendwann – fast alle Eltern, es gibt natürlich manche, die springen irgendwie nicht an bei Hunden –, aber fast alle Eltern hören diesen Satz. Und die meisten Sätze, die die Eltern von ihren Kindern hören, sind die Äußerung von ganz natürlichen, gesunden Bedürfnissen. Und dieses Bedürfnis, das sitzt sehr tief, und das ist auch mit wahnsinnig vielen empirischen Studien nachgewiesen, wie gut Hunde Kindern tatsächlich tun, wie gut Tiere insgesamt Kindern tun.
Aber nun sind viele Tiere eben nicht so auf die menschliche Beziehung ausgerichtet wie der Hund. Viele Tiere vergewaltigt man ein bisschen, wenn man sie hält. Also noch das Kaninchen, würde ich sagen, das möchte eigentlich gern im Garten sich vergraben und dann selbst entscheiden, wann es rauskommt.
Aber Hunde haben eben diesen Gegenseitigkeitseffekt. Nein, nein, es wäre eigentlich gut, alle Kinder könnten mit Hunden in Kontakt kommen. Deswegen würde ich sagen, Hunde an die Schulen, Hunde in die Kitas. Hunde in die Radiostudios …
Welty: Hunde an die Macht! Ein Loblied auf den Hund von Andreas Weber, Philosoph und Biologe. Und ich kann mich diesem Wunsch nur anschließen. Herzlichen Dank für den Besuch in "Studio 9" und für das Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Weber: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.