"Die Menschen werden wieder aufbegehren"
Vor fünf Jahren war auf dem Kairoer Tahir-Platz der "Tag des Zorns", Demonstranten wehrten sich lautstark gegen das Mubarak-Regime. Der arabische Frühling ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst. Dennoch hat der Aktivist Belabbes Benkredda Hoffnung.
Die Enttäuschung sei groß und sitze sehr tief, sagt Belabbes Benkredda, Gründer des Debattenforums Munathara, mit Blick auf die heutigen politischen Verhältnisse in Ägypten. Um die Meinungsfreiheit sei es schlechter bestellt als unter Mubarak, 40.000 politische Gefangene säßen im Gefängnis. Weitere Aktivisten und Intellektuelle seien ins Exil gegangen, berichtet Benkredda – es gebe einen "tragischen Brain Drain", der kulturellen Elite werde die Luft abgedreht. Dennoch hat der Aktivist Hoffnung. Der Geist des arabischen Frühlings sei immer noch vorhanden – "wenn auch hinter verschlossenen Türen".
Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: 25. Januar 2011, der Tahir-Platz in Kairo, tausende demonstrieren und skandieren vor allem diesen Satz immer wieder: "Das Volk will den Sturz des Regimes." Heute vor fünf Jahren war der "Tag des Zorns", ein ganz wichtiger Meilenstein im Arabischen Frühling, und was das Volk, das da zusammenkam, wollte, das passierte auch kurze Zeit später: Dauerdiktator Mubarak musste zurücktreten.
Belabbès Benkredda hat Euphorie und die dann bald folgende Enttäuschung erlebt, er hat 2012 ein Debattenforum gegründet, das über das Internet, aber auch über das Fernsehen zum Beispiel bei "Al Jazeera" verbreitet wird, "Munathara" heißt dieses Forum. Es will, Zitat, "denjenigen eine Stimme geben, die den Wandel im Arabischen Frühling gefördert haben und deren Stimmen man heute am wenigsten hört". Seine Stimme hören Sie jetzt hier im Deutschlandradio Kultur – Belabbès Benkredda, guten Morgen!
Belabbès Benkredda: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Wenn Sie zurückdenken an Tage wie diese vor fünf Jahren, wie groß ist Ihre Enttäuschung über das, was vom Arabischen Frühling übriggeblieben ist?
Der Geist des Arabischen Frühlings muss wiedererweckt werden
Benkredda: Die Enttäuschung ist natürlich groß, und insbesondere in Ägypten ist die Enttäuschung sehr, sehr tief, aber zugleich ist es natürlich ein langfristiges Projekt. Der Arabische Frühling, wie ähnlich auch andere Revolutionen in der Geschichte ... es war klar, dass nicht innerhalb von zwei, drei Jahren oder vier, fünf Jahren Verhältnisse herrschen würden wie bei uns in Europa, und insofern muss man abwarten und diesen Geist, den man damals gesehen hat, auch wiederwecken.
Frenzel: Sie sagen abwarten – was machen denn die vielen jungen Menschen, die damals auch zusammenkamen in Ägypten und drum herum, wie sieht dieses Abwarten aus? Haben sich da viele zurückgezogen, haben sie andere Sachen gemacht, konzentrieren sie sich vielleicht auf den Beruf, sind sie im Exil gelandet? Sie haben ja Kontakte über Ihr Forum, was wissen Sie über die Aktivisten von damals?
Benkredda: In Ägypten haben sie natürlich wie gesagt eine ganz besonders schwierige Situation. Es steht um die Meinungsfreiheit schlechter noch als unter Mubarak. Andersdenkende werden systematisch eingeschüchtert, verfolgt, verhaftet, im schlimmsten Fall sogar zum Tode verurteilt. Ich glaube, wir haben aktuell 40.000 politische Gefangene, das sind unbekannte Dimensionen selbst im Vergleich zur Mubarak-Ära, und insofern haben sie natürlich auch einen Effekt auf die Szene der Demokratieaktivisten. Alaa Abd El-Fatah zum Beispiel ist im Gefängnis eine ganz wichtige und zentrale Figur.
Die Jugendbewegung des 6. April, auch da sind die Kernfiguren im Gefängnis, und andere sind ins Exil gegangen, denken Sie an Wael Ghonim, der inzwischen in den USA lebt oder andere wichtige Figuren der Revolution, die vielleicht nicht im engeren Sinne Aktivisten sind, aber auch kulturell wichtige Figuren und Meinungsführer wie zum Beispiel der Komiker Bassem Youssef oder der einflussreiche Intellektuelle Amr Hamzawi oder eine Mona Eltahawy. All diese Leute leben inzwischen im Exil, was natürlich auch einen tragischen Brain-Drain dem Land bringt, wenn der kulturellen Elite die Luft abgedreht wird.
Frenzel: Und dennoch, wenn ich an Ihre ersten Worte denke, haben Sie trotz der Situation eine Hoffnung, dass es besser werden kann?
Der "Sturz des Regimes" ist noch immer Twitter-Trend in Ägypten
Benkredda: Die Hoffnung ist auf jeden Fall da. Sie haben anfangs den "Ash-shab yurid isqat an-nizam", "das Volk will den Sturz des Regimes", diesen Spruch abgespielt. Noch vorgestern war das Nummer 1 als Twitter-Trend in Ägypten. Die Diskussionen und der Geist des Arabischen Frühlings sind weiterhin vorhanden, wenn auch hinter verschlossenen Türen. Insofern ist es eine Frage der Zeit bis die Leute wieder aufbegehren werden.
Frenzel: Ist es die Repression allein des neuen Regimes von as-Sisi oder ist es auch die Tatsache, dass das, was da skandiert wurde, letztendlich keinen Rückhalt hatte, keinen Rückhalt in der Mehrheit der Bevölkerung, also dieses freie, dieses demokratische, dieses ja irgendwie nach westlichem Vorbild gedachte Ägypten?
Benkredda: Es gab ja einerseits die liberalen Aktivisten, aber es gab natürlich auch Muslimbrüder, die unterdrückt waren, also moderate Islamisten, und insofern muss man diese Unterscheidung auch machen. Es gab nicht eine Stimme der Revolution, sondern durchaus verschiedene Strömungen, die mit dem Status quo unzufrieden waren, aber heutzutage unter Abd al-Fattah as-Sisi wurde ein wahrhaftiger Verfolgungsapparat aufgebaut, einen Polizeistaat, den es auch unter Mubarak in dieser Form nicht gab. Deswegen werden gleichermaßen Andersdenkende verfolgt.
Frenzel: Können Sie denn mit Ihrem Debattenforum Menschen in Ägypten dann wirklich erreichen angesichts all dieser Pressezensur und der Einschränkung?
Benkredda: Das Debattenforum ist ja so aufgebaut, dass man online teilnehmen kann, was natürlich ein großer Vorteil ist, das heißt, Sie können ein Video hochladen von bis zu 99 Sekunden. Dann gibt es einen Online-Debattenwettbewerb, und die Sieger werden dann eingeladen zu einer Live-TV-Debatte in einem arabischen Land. Das sind immer gesamtarabische Debatten und gesamtarabische Themen, vor allem Menschenrechtsherausforderungen und politische und soziale Themen.
Insofern ist es durchaus möglich, bei uns teilzunehmen. Wir haben auch sehr viele erfolgreiche ägyptische Teilnehmer. In Ägypten selbst können wir natürlich keine Debatten veranstalten, das ist jetzt nicht möglich, aber durch die Technologie ist es durchaus machbar, wir können sehr viele Ägypter einbinden. Wir haben auch darüber hinaus ein Trainingsprogramm, das in Ägypten operiert, das ist natürlich schwierig, aber es ist weiterhin sehr beliebt, und wir haben sehr großen Zulauf.
Frenzel: Wie stark sind denn auch die jungen Leute, die Sie da erreichen beeindruckt oder vielleicht auch eingeschüchtert von dieser Polarisierung, die wir erleben, also dass man einerseits sagt, es gibt den IS, es gibt den islamistischen Terror und dann auf der anderen Seite eigentlich nur die schützende starke autoritäre Hand des Staates?
Autoritärer Staat oder IS - das soll angeblich die Alternative sein
Benkredda: Richtig, also Sie treffen mit dieser Aussage oder mit dieser Frage den Kern der Sache: Es wird im Grunde ganz bewusst eine Erzählweise gefördert, die die Menschen vor eine vermeintliche Wahl stellt, nämlich entweder den starken Sicherheitsapparat und den repressiven Staat oder andererseits das totale Chaos und die Extremisten und den Islamischen Staat. Das ist, wenn Sie so wollen, ein Totschlagargument, mit dem tatsächlich viele Leute ruhiggehalten werden. Der Staat hat auch gezeigt, dass er nicht davor zurückschreckt, Demonstranten zu erschießen, unterscheidet auch inzwischen nicht mehr ... Also, es werden ja alle als Terroristen bezeichnet, die eine vom Regime abweichende Meinung haben, und insofern ist das ein sehr, sehr schwieriges Spiel, vor dem die Leute stehen.
Frenzel: Sagt Belabbès Benkredda, der Gründer des Debattenforums "Munathara", das die Debatten, die im Arabischen Frühling angestoßen wurden, lebendig halten will. Herr Benkredda, ich danke Ihnen für das Interview!
Benkredda: Herzlichen Dank, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.