Tage- und Notizbücher
"Wiedergeboren" umfasst die Tage- und Notizbücher der jungen Susan Sontag vor ihrem Durchbruch zum Ruhm, der mit ihrem stilbildenden Essay "Notes on Camp" (1964) schlagartig einsetzte, als Sontag 31 Jahre alt war.
Die Journale beginnen mit einer Eintragung der 14-Jährigen ("Ich glaube, dass es keinen persönlichen Gott und kein Leben nach dem Tod gibt"), umfassen ihre Studienjahre, ihre frühe Ehe, - mit 17 Jahren heiratete sie ihren Professor, den Soziologen Philip Rieff -, ihre Flucht nach Oxford und Paris, ihre Scheidung, ihr Leben als Dozentin und Autorin mit ihrem kleinen Sohn David in New York, und sie enden mit dem Erscheinen des ersten Romans der 30-Jährigen: "Der Wohltäter" (1963). Ob Susan Sontag die Veröffentlichung dieser sehr privaten, ja intimen Notate gewünscht hätte, bleibt zweifelhaft. Sie sind jedenfalls nicht im Bewusstsein einer späteren Publikation geschrieben.
Im Vorwort, dem man die Zweifel und Schuldgefühle anmerkt, begründet David Rieff seine Entscheidung, die fast hundert Notizbücher, die seine Mutter in ihrem Kleiderschrank verborgen angesammelt hatte, öffentlich zu machen: Susan Sontag habe keine Anweisungen hinsichtlich ihrer Journale hinterlassen; da sie ihre Schriften, einschließlich der Tagebücher, an die Bibliothek der University of California verkauft habe, wollte der Sohn die Journale lieber selbst edieren, ehe jemand anders es täte.
"Die Tagebücher als Selbstentblößung zu bezeichnen wäre eine drastische Untertreibung", schreibt Rieff. Zu Recht. Diese Journale sind geeignet, das öffentliche Bild der glamourösen, selbstsicheren, alles beherrschenden Star-Intellektuellen zu verändern. Susan Sontag tritt uns hier als unsichere Jugendliche voller Selbstzweifel und als rastlose junge Frau auf der Suche nach ihrem wahren Selbst entgegen, zerrissen zwischen kulturellem und erotischem Heißhunger.
Unersättlichkeit ist das durchgängige Merkmal dieser Notate. Ein rabiater Bildungs- und Kunsteifer äußert sich in zahllosen Lektüre-Anmerkungen – "'Der Zauberberg' ist der beste Roman, den ich je gelesen habe", notiert die 15-Jährige – sowie in endlosen Bücherlisten, in denen sie ihr selbstverordnetes Lektüre- und Bildungsprogramm festhält. Über Seiten gehen auch die Titel-Listen der Filme, die sie in New York gesehen hat, oft drei Filme täglich.
Die 16-Jährige erlebt in San Francisco ihre lesbische Initiation. Zahlreich sind in der Folge die Eintragungen zu ihren meist turbulenten und oft unglücklichen Frauenbeziehungen, besonders in ihrem Jahr in Paris, das den endgültigen Bruch mit ihrer Ehe und ihrem Experiment mit der Heterosexualität markierte. Zu erkennen ist, mit welcher Entschlossenheit und nie erlahmender Lebens- und Wissensgier Susan Sontag sich zu der Gestalt bildet, die sie werden wollte.
Dem Leser bleibt die Rolle eines zudringlichen Voyeurs, der zudem über weite Strecken im Unklaren darüber gelassen wird, was er hier liest. David Rieff macht die Streichungen und Tilgungen, die er als Herausgeber vorgenommen hat, im Detail nicht kenntlich. Ein biographischer Abriss, der es ermöglichen würde, sich in diesen 16 Lebensjahren Sontags zu orientieren, fehlt. So hinterlässt "Wiedergeboren" nicht nur viele Fragen, sondern auch einen unguten Nachgeschmack.
Besprochen von Sigrid Löffler
Susan Sontag: Wiedergeboren. Tagebücher 1947-1963
Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum
Hrsg. von David Rieff
Hanser Verlag, München 2010
383 Seiten, 24,90 Euro
Im Vorwort, dem man die Zweifel und Schuldgefühle anmerkt, begründet David Rieff seine Entscheidung, die fast hundert Notizbücher, die seine Mutter in ihrem Kleiderschrank verborgen angesammelt hatte, öffentlich zu machen: Susan Sontag habe keine Anweisungen hinsichtlich ihrer Journale hinterlassen; da sie ihre Schriften, einschließlich der Tagebücher, an die Bibliothek der University of California verkauft habe, wollte der Sohn die Journale lieber selbst edieren, ehe jemand anders es täte.
"Die Tagebücher als Selbstentblößung zu bezeichnen wäre eine drastische Untertreibung", schreibt Rieff. Zu Recht. Diese Journale sind geeignet, das öffentliche Bild der glamourösen, selbstsicheren, alles beherrschenden Star-Intellektuellen zu verändern. Susan Sontag tritt uns hier als unsichere Jugendliche voller Selbstzweifel und als rastlose junge Frau auf der Suche nach ihrem wahren Selbst entgegen, zerrissen zwischen kulturellem und erotischem Heißhunger.
Unersättlichkeit ist das durchgängige Merkmal dieser Notate. Ein rabiater Bildungs- und Kunsteifer äußert sich in zahllosen Lektüre-Anmerkungen – "'Der Zauberberg' ist der beste Roman, den ich je gelesen habe", notiert die 15-Jährige – sowie in endlosen Bücherlisten, in denen sie ihr selbstverordnetes Lektüre- und Bildungsprogramm festhält. Über Seiten gehen auch die Titel-Listen der Filme, die sie in New York gesehen hat, oft drei Filme täglich.
Die 16-Jährige erlebt in San Francisco ihre lesbische Initiation. Zahlreich sind in der Folge die Eintragungen zu ihren meist turbulenten und oft unglücklichen Frauenbeziehungen, besonders in ihrem Jahr in Paris, das den endgültigen Bruch mit ihrer Ehe und ihrem Experiment mit der Heterosexualität markierte. Zu erkennen ist, mit welcher Entschlossenheit und nie erlahmender Lebens- und Wissensgier Susan Sontag sich zu der Gestalt bildet, die sie werden wollte.
Dem Leser bleibt die Rolle eines zudringlichen Voyeurs, der zudem über weite Strecken im Unklaren darüber gelassen wird, was er hier liest. David Rieff macht die Streichungen und Tilgungen, die er als Herausgeber vorgenommen hat, im Detail nicht kenntlich. Ein biographischer Abriss, der es ermöglichen würde, sich in diesen 16 Lebensjahren Sontags zu orientieren, fehlt. So hinterlässt "Wiedergeboren" nicht nur viele Fragen, sondern auch einen unguten Nachgeschmack.
Besprochen von Sigrid Löffler
Susan Sontag: Wiedergeboren. Tagebücher 1947-1963
Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum
Hrsg. von David Rieff
Hanser Verlag, München 2010
383 Seiten, 24,90 Euro