Tage von Wut und Zorn

Von Susanne El Khafif |
Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit - mit diesen Forderungen jagten Millionen Ägypter vor zwei Jahren den diktatorisch regierenden Präsidenten Mubarak aus dem Amt. Doch auch heute steht es schlecht um Ägypten. Die Wirtschaft liegt am Boden, von sozialer Gerechtigkeit kann die Mehrheit nur träumen.
Kairo Innenstadt, vor dem Amt des Premierministers. Arbeiter einer Baumwollfabrik aus Minya haben sich auf den weiten Weg in die Hauptstadt gemacht. Umtost vom Verkehrslärm sitzen sie seit Tagen auf dem kahlen Boden, halten Plakate in Händen, auf denen sie ihre Forderungen formuliert haben. Muhammad Khalifa, ein Mann mit offenem, zugänglichem Gesicht:

"Wir haben seit Monaten keinen Lohn bekommen. Der Besitzer der Fabrik will keine Kompromisse schließen. Als wir nach Geld gefragt haben, hat er ein paar von uns hinausgeworfen. Dabei gibt es ein Gerichtsurteil, das besagt, dass das Unternehmen wieder zum Staat gehört. Doch das Urteil ist nie vollzogen worden."

Die Männer sind sauber und ordentlich gekleidet, doch man merkt ihnen an, dass es ihnen finanziell nicht gut geht. Sie wirken niedergeschlagen, manch einer ist verzweifelt. So wie der junge, hochgewachsene Abd al-Salam:

"Ich brauche meinen Lohn! Ich habe seit elf Monaten kein Geld bekommen. Wie soll ich meine Kinder versorgen? Dauernd muss ich mir Geld leihen. Was soll ich tun? Betteln gehen? Wir kommen jetzt schon zum achten Mal zum Premierminister, aber keiner will uns mehr zuhören. Sie haben versprochen, dass wir unseren Lohn bekommen, aber nichts ist passiert. Lügen sie uns alle an?"

Proteste und Streiks im ganzen Land
Die Arbeiter aus dem südlichen Minya sind nicht die einzigen, die sich Luft verschaffen. Im ganzen Land gibt es seit Beginn der Revolution Proteste und Streiks. In diesen Tagen haben sie deutlich zugenommen. Der Grund: Der Jahrestag rückt näher, am 25. Januar vor zwei Jahren haben die Demonstrationen gegen Ex-Diktaktor Mubarak ihren Anfang genommen.

Verschiedene Berufsgruppen erheben ihre Stimme: Lehrer, Ärzte, Studenten, Busfahrer, Hafenarbeiter, Bauern – Beschäftigte im öffentlichen wie im privaten Sektor – sie blockieren Straßen, versammeln sich zu Kundgebungen, legen ihre Arbeit nieder, wollen auf die Missstände in ihrem Land aufmerksam machen: Die dürftige Versorgung in staatlichen Krankenhäusern, die schlechte Ausstattung von Bildungseinrichtungen, die Energieengpässe und die mangelhafte Wasserqualität, die geringe Bezahlung. Ägypten ist in diesen Zeiten von einer Streikwelle erfasst, die die ohnehin taumelnde Wirtschaft zusätzlich schwächt.

Die starke Zunahme der Streiks ist nicht verwunderlich. Weitaus mehr Menschen als zuvor sind heute politisiert, wissen mehr von ihre Rechten – und: Sie erleben seit Ende der Militärdiktatur eine nie geahnte gesellschaftliche Freiheit. Eine Freiheit, die auch Medien anders berichten lässt. Sie bringen Missstände, die über Jahrzehnte unter den Teppich gekehrt wurden, ans Tageslicht - ohne dass die Politik auf die Schnelle eine Antwort finden kann. Verständnis und Geduld der Menschen aber schwinden - in dem Maße, in dem der Alltag für eine Mehrheit immer schwieriger wird. Der Unmut wächst. Auch gegenüber dem ersten demokratisch gewählten neuen Präsidenten Mursi und seine Regierung. Viele unterstellen dem Präsidenten heute, dass er lediglich die Interessen seiner Muslimbruderschaft vertritt. Und dass er nach sechs Jahrzehnten Militärdiktatur eine Diktatur von Islamisten errichten will.

Das "Four Seasons", direkt am Ufer des Nil gelegen. Es gilt als eine der besten Adressen. Entsprechend erlesen ist das Ambiente: dicke Teppiche, Kellner in Livree, das Buffet mit delikaten Häppchen, ein festlich geschmückter Saal. Alles wartet: auf Ägyptens Premierminister Hisham Qandil, der die Wirtschaftstagung eröffnen soll.

"Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit!"
Als der Premier mitsamt seiner Eskorte eilig den Saal betritt, erheben sich die Gäste aus dem In- und Ausland, um den Politiker zu begrüßen. Der ist kaum auszumachen zwischen seinen hochgewachsenen Begleitern. Qandil ist klein von Statur, eher unscheinbar, seine Stimme wirkt erstaunlich jung. Wie er da so vor seinem Plenum steht – entspannt und trotzdem noch ein wenig unbeholfen, in Anzug und roter Krawatte, mit ordentlich gestutztem Backenbart – könnte er als Sohn von Präsident Mursi durchgehen, zumindest aber als sein jüngerer Bruder. Freundlich spricht er sein Publikum an, kommt dann zum Thema:

"Lassen Sie uns von Ihrem Workshop sprechen. Der erfolgt gerade zur rechten Zeit statt und ist sehr wichtig. Denn er wird uns Ägyptern helfen, die Ziele der Revolution vom 25. Januar wahrzumachen. Die Menschen haben dreierlei gefordert: ‚Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit!’ Und deshalb müssen wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Wir tun das. Auf sehr aggressive Weise."

Immer wieder lässt der Premier das Wort "soziale Gerechtigkeit" fallen. Er stünde für diesen Kampf ein, sagt er, verspricht, für viele neue Jobs zu sorgen, auch die kleinen und mittleren Betriebe zu fördern ...

"Die vorangegangene Regierung hat nur die großen Industriebetriebe gefördert und gedacht, dass die Armen am Wohlstand teilhaben. Aber das ist nie geschehen. Wir wollen, dass diesmal beides geschieht, dass Wachstum und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen."

Die Wirtschaft liegt am Boden
Ägyptens Premier nennt die Dinge beim Namen - gleichwohl mit der Einschränkung, dass doch vieles Altlasten seien, die jetzt von seiner Regierung abgetragen werden müssten.

Fest steht: Die Wirtschaft liegt am Boden. Das ägyptische Pfund hat drastisch an Wert verloren. Und die Reserven an ausländischen Devisen haben sich seit Beginn der Revolution wegen der Einbrüche im Export- und Tourismussektor halbiert, sie belaufen sich heute auf nur 15 Milliarden US-Dollar. Ein paar Monate noch und die letzten Rücklagen dürften aufgebraucht sein: Wegen der Schuldendienste und wegen der Subventionen. Für den Premier gibt es daher kurzfristig nur eine Lösung: Kredite und finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland. Aus Qatar, Saudi-Arabien, der Türkei – aber auch von internationalen Geldgebern. Qandil redet deutliche Worte und will dabei vor allem eines: Zuversicht verbreiten:

"Wir hoffen, das Haushaltsdefizit in diesem und im nächsten Jahr zu reduzieren - mithilfe eines nationalen Finanz- und Wirtschaftsplanes, den wir aufgestellt haben. Wir haben ihn diskutiert, mit unseren Kollegen von der Afrikanischen Entwicklungsbank, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds. Wir werden bald Übereinstimmung finden und dann unterzeichnen. Das wird Geld ins Land bringen und helfen, unseren Plan zu verwirklichen."

Unter ägyptischen Fachleuten wird die Aufnahme von neuen Krediten kontrovers diskutiert. Auch Alia al-Mahdi, Wirtschaftsexpertin und Dekanin an der Kairo Universität, ist zwiegespalten. Sie sieht den finanziellen Engpass, doch wie viele andere fürchtet sie weitere Belastungen. Der Schuldendienst, sagt sie, stelle bereits heute ein Drittel der Staatsausgaben dar. Das sei eine Katastrophe, denn die Gelder würden dringend für den Aufbau der Infrastruktur gebraucht, für Straßen, Schulen, ein neues Abwassersystem. Präsident Mursi und die Muslimbrüder, meint sie dann achselzuckend, stünden heute unglaubwürdig da. Sie hätten im Wahlkampf viel erzählt, vom großen Reichtum im Land, von Mubarak und seinen Leuten, die dem Volk alles gestohlen hätten.

"Und was ist daraus geworden? Aus all dem Gerede? Warum holen sie sich das Geld nicht zurück? Die meisten sitzen doch heute im Gefängnis. Warum müssen wir uns vom Währungsfond abhängig machen? Ich denke, wir sollten uns davon lösen. Wenn wir es schaffen, unser Land besser zu organisieren, können wir uns auf eigene Füße stellen."

Erneuerung und Wohltätigkeit
Ihr Urteil über die Arbeit der neuen Regierung ist vernichtend:

"Ich glaube nicht, dass es wirklich ein Wirtschaftsprogramm gibt. Wir haben viel davon gehört, ja, von der sogenannten 'nahda', dem Projekt der 'Erneuerung'. Aber obwohl der Präsident seit einem halben Jahr im Amt ist, habe ich noch nichts Konkretes von diesem Programm mitbekommen, und auch nicht gesehen, dass etwas geschieht."

Premierminister Qandil hat er verkündet, dass er gegen soziale Missstände vorgehe. Und in den Medien ist immer wieder die Rede von der Einführung islamischer Wirtschaftsprinzipien, die auch vom Gedanken der Wohltätigkeit geprägt seien. Der kürzlich ernannte Finanzminister gilt als Mann der Muslimbrüder. Alia al-Mahdi ordnet die Islamisten wirtschaftspolitisch anders ein:
"Sie sind extrem liberal, noch weiter rechts als rechts. Ja, sie sind wirtschaftspolitisch sogar noch liberaler als die frühere Nationaldemokratische Partei Mubaraks. Ich glaube, sie folgen ihnen. Als hätten sie deren Schubladen aufgemacht und die alten Papiere herausgenommen. Sie haben keine eigenen Ideen, keine eigene Vision - zumindest ist davon noch nichts öffentlich geworden. Auch dass sie sich für ‚soziale Gerechtigkeit’ engagieren, kann ich nicht erkennen, also dass sie mehr ‚soziale Gleichheit’ wollen. Nein, sie sind extrem liberal – ohne dass sie sich dabei Grenzen gesetzt hätten."

Der Shuunplatz in Mahalla al-Kubra. Obwohl Mahalla die viertgrößte Stadt des Landes ist, geht es hier - auf dem zentralen Platz der Stadt – ausgesprochen ländlich zu. Wo man hinschaut Schlaglöcher und Schlamm, der vom Unwetter der letzten Nacht auf den Asphalt gespült wurde; zwischen Autos, Bussen und Lastwagen bahnen sich Pferde mitsamt Karren mühsam ihren Weg; am Rand haben Händler ihre Obst- und Gemüsestände aufgebaut, hier und da steht ein Esel oder ein Wasserbüffel herum; weiter hinten donnert ein Zug vorüber.

Hort des Widerstands
Mahalla ist Ägyptens viertgrößte Stadt und zugleich Zentrum der ägyptischen Textilindustrie: Etwa 120 Kilometer nördlich von Kairo und mitten im Nildelta gelegen - umgeben von Provinzen, in denen seit fast 200 Jahren die langfaserige, hochwertige Baumwolle angebaut wird. Eine Welt für sich, ganz anders als das urbane Kairo mit seinen Gegensätzen, seinem gutbürgerlichen Flair vergangener Zeiten und den Vierteln und Vorstädten, in denen viel Elend zuhause ist.

Nein, Mahalla ist anders, ländlich und zugleich industriell geprägt, mit Menschen, die seit Generationen eine eigene, sehr eigenständige Identität entwickelt haben: Die Stadt gilt als Hort des Widerstands, erst vor wenigen Wochen sind hier – auf dem Schuunplatz – Tausende zusammengekommen, um die "Unabhängigkeit" Mahallas auszurufen. Auch Ala’a al-Bahlawaan, ein freundlicher älterer Herr, hat die Kundge-bung mitorganisiert:

"Uns geht es nicht um staatliche Unabhängigkeit. Nein, es war ein symbolischer Akt. Wir wollen zeigen, dass wir gegen die Muslimbrüder sind und die Herrschaft, die sie überall errichten wollen. Aber natürlich sind wir Teil des ägyptischen Staates und werden es auch bleiben."

Ala’a erklärt, warum er von einer wachsenden Dominanz der Islamisten spricht. In der Hauptstadt, sagt er, hätte sich Präsident Mursi kurzzeitig alle Macht genommen, um eine Verfassung durchzudrücken, die jetzt islamistische Züge trage. Und was in Mahalla geschehe, geschehe im ganzen Land: Mehr und mehr Posten würden von Religiösen besetzt, und wenn dann Protest käme, würden sie aufmarschieren. Wie am 4. Dezember, als Arbeiter und Muslimbrüder hier auf dem Platz aneinandergerieten. Mehr als 300 Leute seien verletzt worden. Dass Kairo das Streikrecht einschränken und Truppen schicken könnte, um den Widerstand zu brechen, bereitet Ala’a keine Sorgen.

"Wir haben immer protestiert, friedlich und niemals gewalttätig – wie am 6. April 2008, als hier der große Generalstreik war. Das war der Vorläufer der Revolution vom 25. Januar. Hier hat alles angefangen. Mahalla ist überall dafür bekannt: Dass es Widerstand leistet, gegen Tyrannei und Unterdrückung. Nein, ich habe keine Angst."

Mahalla kennt viele Probleme
Doch warum gerade Mahalla? Warum hat sich gerade hier eine solche Protestkultur entwickelt ...

Mahalla kennt viele Probleme. In der hier ansässigen Textilindustrie gibt es etwa 1000 Fabriken und Betriebe, private, vor allem aber große staatliche Unternehmen mit bis zu 30.000 Arbeitern. Viele haben in den letzten Monaten ihre Arbeit eingestellt. Weil die Anlagen veraltet sind und die Produkte überholt. Weil seit Jahrzehnten keine Gelder fließen, um die Staatsbetriebe zu modernisieren. Weil diese chronisch übersetzt sind, ein Relikt aus alter Zeit - unter dem Sozialisten Gamal Abd el-Nasir. Die Folge: viele haben ihre Jobs verloren oder bekommen nur wenig Lohn. Die Arbeiter gingen in den Streik. Doch je mehr Widerstand es in Mahallas Betrieben gab, desto mehr betrachtete Kairo die ganze Stadt als "ungeliebtes Kind" und kümmerte sich wenig. Für alle Bewohner sind die Lebensbedingungen seitdem schlechter geworden, es gibt Probleme mit dem Wasser, der Energie, den Straßen. Was die Menschen aus den Dörfern jedoch nicht davon abhält, weiter in die Stadt zu drängen.

Unterwegs mit Kamal Muhammad Fayoumi und seinem Freund Atef. Beide Männer sind Arbeiterführer, sind seit Jahrzehnten in einer der größten staatlichen Textilfabriken beschäftigt, so wie es auch der Vater und Großvater waren. Bei der Rundfahrt im Auto zeigen sie, was ihnen ans Herz gewachsen ist: ihre Arbeiterstadt. Eine Stadt inmitten einer anderen, umgeben von einer hohen Mauer aus Backstein, die vom Lärm des Umfeldes abschirmt. Das Innere wirkt erstaunlich einladend: breite Straßen, Bäume, Grünanlagen, ein Schwimmbad, Kino und Krankenhaus, eine Bäckerei. Dahinter die Wohnblocks und Fabrikhallen.

Das Land säubern und in Stand setzen
Die Anlage sei speziell für die Arbeiter und ihre Familien geschaffen worden, erzählen die Männer, und stamme noch aus der Gründungszeit in den 20iger Jahren. All das sei nicht den britischen Kolonialherren sondern dem ägyptischen Unternehmer Tala’at Harb zu verdanken.

Bleibt die Frage, warum all das, was Tala’at Harb einst so weitsichtig für die Arbeiter geschaffen hatte, heute vernachlässigt aussieht ... Das wiederum sei wohl Präsident Mursi zu verdanken, der habe schon im Wahlkampf erklärt, das Land säubern und in Stand setzen zu wollen. Aber nichts davon sei geschehen, alles ginge den Bach hinunter. Seine Partei hätte ohnehin die falsche Auffassung von Islam. Sie redeten immer nur, anstatt zu arbeiten - ‚kalam fadi’ sei das, ‚leeres Geschwätz’. Die Männer lachen. Immerhin: Der Galgenhumor ist ihnen geblieben.

Wenig später treffen sich die beiden mit Kollegen im Arbeiterclub. Sie sitzen draußen auf Rattanstühlen rund um einen Tisch versammelt und frösteln. Im Gespräch geht es wie so oft um die niedrigen Löhne der Arbeiter und die guten Gehälter in der Chefetage. Dann kritisieren die Männer die Gewerkschaften, die wenig ausrichteten. Sie fragen sich, warum die Firmenleitung ihre Vorschläge zur Verbesserung der Produkte nicht aufgreift, um zu verhindern, dass auswärtige Ware ihre eigene vom Markt drängt.

‚China’, sagen sie, ‚produziert heute unsere traditionellen Gewänder, und wir kaufen sie - das sollten wir eigentlich besser hinbekommen!’ Sie sagen: ‚Wir wollen arbeiten, nur das Management und der Staat wollen keine Veränderung!’ Doch als es um die drohende Privatisierung ihrer Unternehmen geht, ist ihnen die Abwehr anzumerken. Das sei keine Lösung, dann würden die meisten von ihnen arbeitslos. ‚Wir können nur streiken’, sagen sie, ‚und demonstrieren. In Mahalla und in Kairo. Wir werden dort sein. Auf dem Tahrir. Am 25. Januar. Und dann erzählen sie, dass sie sich seit Monaten auf diesen Tag vorbereiten.

Privatisierung als Lösung
Anders als die Arbeiter in Mahalla sieht die Professorin al-Mahdi nur eine Lösung für die staatlichen Betriebe: die Privatisierung. Das hätte schon vor Jahrzehnten geschehen müssen, sagt sie, und verweist auf viele private Textilunternehmen, die erfolgreich arbeiteten. Den Zustand der Staatsbetriebe in Mahalla vergleicht sie mit denen in der ehemaligen DDR:

"Die Fabriken dort waren alt, vergleichsweise primitiv zu denen in Westdeutschland. Sie mussten für Peanuts verkauft werden, damit die Investoren alles neu aufbauen konnten. In Mahalla ist es ähnlich. Die Betriebe müssen neu ausgestattet werden, all die alten Maschinen müssen raus, erst dann kann eine moderne Textilindustrie entstehen. Natürlich müssen auch unsere Arbeiter geschult werden, aber sie sind sehr gut, sie sind geschickt und verstehen etwas von der Produktion. Am Ende werden sie wirklich professionell sein."

Und dann kommt sie zum eigentlichen Problem: Der Kluft zwischen Islamisten und säkularen Muslimen. Einer Kluft, die es so ausgeprägt, so tief in diesem Land nie zuvor gegeben hat. Wir leben in einer Zeit sehr schwieriger Umbrüche, sagt al-Mahdi, wir müssen zusammenhalten und gemeinsam für den Aufbau arbeiten. Präsident Mursi muss sich endlich auf seine Rolle besinnen, er darf kein Parteigänger sein, er muss den Hardlinern den Riegel vorschieben und die Menschen miteinander versöhnen. Sonst wird es zu mehr Unruhen, zu mehr Elend kommen - nicht nur unter den Ärmsten der Armen.

"Gestern hatte ich in der Stadt zu tun und war auf den Straßen unterwegs. Da begegneten mir Frauen. Sie waren anständig und ordentlich gekleidet und wirkten gebildet. Aber sie bettelten. Ich war geschockt. Es hätten Akademikerinnen sein können, Frauen aus der Mittelschicht, die wir für den Aufbau dringend brauchen. Ich fürchte, wenn der Präsident nichts für die politische Stabilität tut, dann werden wir dunklen Tagen entgegengehen."