Nur 30 Kilometer von Proschim entfernt, im sächsischen Teil der Lausitz, liegt der Ort Mühlrose. Das Dorf ist akut von der Umsiedlung für den Braunkohletagebau bedroht. Doch waren viele Anwohner anscheinend auch erleichtert, als sie Ende März erfuhren, dass sie ihre Häuser verlassen müssen. Pia Rauschenberger hat die Menschen in Mühlrose besucht, um herauszufinden, was sie hoffen und fürchten. Die Reportage ist Teil des Audios, das wir diesem Beitrag verknüpft haben.
Die Braunkohle entzweit das Dorf
18:58 Minuten
Der brandenburgische Ort Proschim könnte bald dem Tagebau weichen. Die Bevölkerung ist gespalten: in jene, die nicht gehen wollen und solche, die auf Arbeitsplätze hoffen. Einig sind sich die Menschen nur darin, dass bald eine Entscheidung her muss.
"Kommen Sie rein, es ist kalt!" sagt Edith Penk. Fünf Kilometer nördlich von Mühlrose, gerade noch in Sachsen, steht ihr Haus. Edith Penk ist 81 Jahre alt. Wenn es harte Jahre waren, dann haben sie keine sichtbaren Spuren hinterlassen.
"81 Jahre. Geboren und auch alt geworden hier."
Widerstand gegen Umweltzerstörung
Sie sei im Wald aufgewachsen, erzählt sie: "Meine Mutter hat Beeren und Pilze gesammelt. Ja, wo kann man das heute noch?"
Das sei auch der Grund, warum sich Edith Penk irgendwann gegen den Braunkohletagebau gewehrt habe, der langsam die Natur um ihr Elternhaus aufzufressen drohte.
Sie ist in mehreren Bündnissen in der Lausitz aktiv. Hat sich gegen die Umsiedlung von Mühlrose eingesetzt und ist mit Tagebaugegnern aus Proschim vernetzt. "Nach dem Motto: einen Finger kann man kleinhalten, eine ganze Hand nicht. Also das Vernetzen ist ganz wichtig."
Penk ist bekannt in der Lausitz, ein Protesturgestein. Eine, die laut ist, wenn andere still bleiben:
"Man muss damit fertig werden, dass man ausgegrenzt wird, dass man beschimpft wird. Ich habe mich damit abgefunden. Und wenn einer sagt, 'Ach die ist schon wieder in der Zeitung.' Oder: 'Da hat das Blatt gar nicht ausgereicht, um die zu bespucken.' Joa. Das geht an mir vorbei."
Drohungen gegen Tagebaugegnerinnen
Ihr Haus gehört zur Ortschaft Rohne. Da sie nicht von der Umsiedlung betroffen ist, kann sie nur von außen mobilisieren. Wer mit dem Auto von Rohne nach Proschim fährt, kommt nach ein paar Minuten an der Spinnerei vorbei: ein Verein für Naturbildung in zwei alten Industriebauten. Hier wohnen und arbeiten Adrian Rinnert und Friederike Böttcher, die seit 2012 in der Lausitz leben.
"Genau, wenn hier ein bisschen was rüber zieht, das wie Brennesseljauche duftet. Es ist Brennesseljauche."
Die beiden Mittdreißiger kennen Penk, waren Sprecher eines Bündnisses von Tagebaugegnern, das sie mit gegründet haben. Auch sie können davon berichten, welche Folgen solch eine Rolle für ihr Leben hat:
"Gesprengter Briefkasten, faule Eier im Briefkasten, Drohungen vor Einwohnerversammlungen. ‚Wenn ihr kommt, machen wir euch fertig.‘ Lautes Hupen zu Nachtzeiten. Am Grundstück langsames Langfahren. Anonyme Drohungen. Ich könnte die Liste weiterführen. Also, wenn man hier öffentlich ausspricht, dass man gegen den Tagebau ist, dann kann man sich ein ruhiges Leben abschminken, dann wird man angefeindet."
Auf den Einzelnen kommt es an
Als Braunkohlegegner in die Öffentlichkeit zu treten, koste viel Kraft, erzählt Friederike Böttcher. Sie glaubt, dass einzelne, starke Charaktere eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob ein Dorf wie Proschim sich wehrt – oder eben nicht. Besonders in kleinen Dörfern beobachte sie das.
"Umso weniger du hast Menschen, desto wichtiger ist wirklich der Einzelne. Und wenn das dann wegfällt und es in Mühlrose es zufällig vielleicht nicht den Mut, die Stärke gibt, diese Kraft aufzubringen, nach außen in Erscheinung zu treten, dann erscheint es so, als gäbe es dort keine Leute, die nicht umgesiedelt werden wollen."
25 Autominuten weiter auf der Brandenburger Seite der Lausitz liegt Proschim. In dem 300-Einwohner-Dorf sind die Töne, die die Menschen auf der Straße anschlagen, etwas zurückhaltender als in Mühlrose.
Proschim ist in Gefahr
"Also Streit gibt es nicht", sagt Anja, die nur ihren Vornamen nennt. Sie ist 34 und wohnt seit sechs Jahren hier.
"Es gibt verschiedene Ansichten im Ort. Die einen sind für den Tagebau, die anderen sind nicht für den Tagebau. Es spaltet ein bisschen die Meinungen, aber Streit gibt es nicht."
Für Anja ist Proschim Heimat geworden. Obwohl sie weiß, dass der Ort noch abgebaggert werden könnte. Ob es eine Umsiedlung geben wird, will die Braunkohlegesellschaft Leag aber erst in einem Jahr entscheiden.
Der Tagebau ist ein wichtiger Arbeitgeber
"Dass so ein Tagebau ein Dorf wegbaggert, ist natürlich nicht schön. Das finde ich nicht in Ordnung. Aber der Tagebau ist natürlich für uns in der Region ein wichtiger Arbeitgeber. Und die Stromversorgung wird durch den Tagebau gesichert."
Ein paar Straßen weiter steht Heribert Gosdschan in seinem Vorgarten und mäht den Rasen.
"Ein Leben lang, seit ich aus der Schule raus bin, war ich in der Kohle gewesen."
Inzwischen ist er Rentner. Er wehrt sich – aber nicht gegen den Tagebau, sondern gegen das Bild, ganz Proschim sei gegen den Tagebau.
Die Bewohner wünschen sich eine Perspektive
"Das ist nicht ‚Wir Proschimer‘. Das ist ein Teil. Ein Teil ist dafür, ein Teil dagegen."
Heribert Gosdschan würde umsiedeln, wenn es sein muss. Er wünscht sich vor allem eine klare Perspektive.
Die wünscht sich Erhard Lehmann auch. Aber eine, die ihn hier bleiben lässt. Er ist einer der Proschimer, die als Tagebaugegner in der Öffentlichkeit stehen. Einfach sei das nicht.
"Du durftest keine andere Meinung haben. Die Kohle ist hier, ich will nicht sagen, schlimmer als der Gott, aber die wird hier vergöttert."
Der Bürgermeister kämpft für Erhalt von Proschim
Lehmann war früher Bürgermeister, und hat auch 15 Jahre lang im Tagebau gearbeitet. Wäre es nach seinem damaligen Chef aus der Braunkohle gegangen, hätte er schon in den 90er-Jahren für die Umsiedlung Proschims stimmen sollen.
"Er hat gesagt: 'Also Erhard, wenn du den Ort Proschim freigibst für die Abbaggerung, dann beschäftigen wir dich weiter.' Ich sage: 'Nee, nee das mache ich nicht.' Ja, meinte er, 'dann müssen wir uns Ende des Jahres von dir trennen.' Dann war ich raus."
Lehmann sagt, auch in Proschim gebe es Streit. Aber auch noch Hoffnung. Vielleicht liegt das daran, dass Proschim noch nicht von den Tagebauen der Braunkohle umzingelt ist wie Mühlrose. Oder an dem Landwirtschaftsbetrieb, der etwa 80 Leuten Arbeit bietet.
Oder an Charakteren wie Erhard Lehmann, der beides in sich vereint: ehemaliger Braunkohlearbeiter und – inzwischen – Braunkohlekritiker. Möglicherweise ist all das ein Grund, weshalb Proschim – im Gegensatz zu Mühlrose – noch gute Chancen hat, nicht umgesiedelt zu werden. Und, dass aus Proschim nicht Neu-Proschim wird.