Jan Bazuin: "Tagebuch eines Zwangsarbeiters"
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Paul-Moritz Rabe und Illustrationen
von Barbara Yelin
Aus dem Niederländischen von Marianne Holberg
Verlag C.H. Beck, 2022
159 Seiten, 20 Euro
"Tagebuch eines Zwangsarbeiters"
Das "Tagebuch eines Zwangsarbeiters" erzählt die Geschichte eines Jugendlichen aus Rotterdam, der während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurde. © C.H. Beck
Dem Schrecken Bilder geben
11:34 Minuten
Jan Bazuin war 1945 als Zwangsarbeiter in Deutschland. Gesprochen hat der Niederländer nie darüber, auch nicht über sein Tagebuch aus dieser Zeit. Nach seinem Tod gelangte es an die Öffenlichkeit. Ein Glücksfall. Denn so ist daraus ein bewegendes Buch geworden.
Es gibt viele Zeitzeugendokumente von Überlebenden des Holocaust. Sie wurden in Ghettos oder Konzentrationslagern versteckt, von dort herausgeschmuggelt oder erst Jahre später gefunden.
Zugänglich sind auch literarische Berichte, etwa von Ruth Klüger, Jorge Semprun, oder Primo Levi, die Zeugnis von Verfolgung, Misshandlung und Haft ablegen. Wenig zeitgenössische Dokumente gibt es hingegen von Menschen, die während der NS-Zeit als Zwangsarbeiterin und Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt wurden.
Wertvoller Fund
Solche Berichte sind also ein wertvoller Fund. Das Tagebuch des Niederländers Jan Hendrik Bazuin, das jetzt als illustriertes Buch für jugendlliche, aber durchaus auch für erwachsene Leserinnen und Leser im Verlag C.H. Beck veröffentlicht wurde, gehört dazu. "Tagebuch eines Zwangsarbeiters" lautet der schlichte Titel.
Als Jugendlicher war Badzuin Anfang 1945 aus Rotterdam zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert worden, wo ihm später aus dem Ausländerlager in München-Neuaubing auf abenteuerliche Weise die Flucht gelang.
Anschauliches Zeitdokument
Seine Eindrücke, Gefühle und die Lebensumstände im Lager hatte er als Tagebuch in drei Heften festhalten. Die Aufzeichnungen gelangten mehr als ein halbes Jahrhundert später über den Sohn des damals bereits verstorbenen Bazuin zum NS-Dokumentationszentrum München.
Im Auftrag der wissenschaftlichen Einrichtung hat die Zeichnerin Barbara Yelin die knappen, schnörkellosen Notizen einfühlsam für das Buch illustriert und macht so das Geschehen auf unmittelbare Weise präsent.
In Zusammenarbeit mit dem für das Dokumentationszentrum tätigen Historiker Paul-Moritz Rabe, der ein umfangreiches Nachwort und Glossar verfasst hat, ist so ein eindrückliches Buch entstanden. Es dürfte unter anderem für Schulklassen eine interessante und anschauliche Lektüre sein.
Das Schweiger der Zwangsarbeiter
Bazuin hatte zu Lebzeiten nicht einmal seiner eigenen Familie von seinen Erlebnissen als Zwangsarbeiter erzählt, geschweige denn von dem Tagebuch. Sein Sohn Leon hatte es erst 2001 entdeckt.
Dieses Schweigen sei nicht ungewöhnlich und habe verschiedene Gründe, sagt Historiker Rabe: „Einer ist sicherlich der, dass Zwangsarbeiter in den Niederlanden, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern und insbesondere in der Sowjetunion als Kollaborateure galten und ihnen ein gewisses Misstrauen entgegengebracht wurde, weil sie während der NS-Zeit dem Feind durch ihre Arbeitskraft geholfen haben."
Die Tatsache, dass sie dazu gezwungen wurden, fand dagegen selten bis nie Eingang in die Erinnerungskultur. Generell sei über den Krieg viele Jahrzehnte lang wenig bis gar nicht geredet worden, sagt Rabe.
Umso mehr Fragen hatte die Ilustratorin Yelin an den Historiker Rabe bei ihrem anspruchsvollen Unterfangen, Bilder für die geschilderten Ereignisse zu finden.
Arbeit wie an einen Puzzle
Denn es gebe fast kein fotografisches Material von den damaligen Lebensumständen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, und wenn doch, dann vor allem aus der Täterperspektivem, sagt Yelin.
Ein Spagat: Zum einen wollte Yelin das innere Erleben Jan Bazuins abbilden, zum anderen sollten ihre Illustrationen aber auch historisch korrekt sein. Dabei habe die Zusammenarbeit mit Paul-Moritz Rabe sehr geholfen.
„Das ist wie ein Puzzle, mit Puzzleteilen aus allen möglichen Quellen, die ich bekommen kann“, erläutert Yelin ihr Vorgehen. Erste Skizzen habe sie dann mit dem Historiker besprochen und Fragen erörtert wie: „Wie sind die Menschen in den Räumen, wie ist die Situation, wie ist die Temperatur, wie geht es den Menschen? Denn es geht ja auch um Gefühle.“
Für Rabe war dieses Vorgehen aus Wissenschaftlersicht zunächst absolut ungewohnt; diese Tiefe der Zusammenarbeit habe er am Anfang so nicht einschätzen können, sagt er.
Man schreibt ja als Historiker auch sonst über Themen, die man nicht so genau weiß, einfach so hinweg, wenn man einen Text verfasst. Barbara Yelin hat mich dann mit Fragen konfrontiert, über die ich vorher so noch nicht nachgedacht habe und über die es auch nicht viele Quellen gibt.
Paul-Moritz Rabe, Historiker
Etwa über die Lichtverhältnisse in den Unterkünften, über die Zahl der Menschen, die dort untergebracht gewesen seien oder wie diese ausgesehen und welche Kleidungsstücke sie getragen hätten.
Für Barbara Yelin seien solche Informationen wichtig für ihre Arbeit gewesen, doch ihm hätten ihre Fragen klargemacht, „wie viele Leerstellen es in der Forschung gibt“.
(mkn)