Adam Zagajewski: Die kleine Ewigkeit der Kunst
Tagebuch ohne Datum
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann und Renate Schmidgall
Edition Akzente. Hanser, München 2014
320 Seiten, 21,90 Euro
Eintauchen in die Welt der Kunst
Der polnische Lyriker und Essayist Adam Zagajewski nimmt uns in diesem Tagebuch mit auf einen langen Spaziergang durch sein Leben. Er schreibt über Begegnungen, Lektüren - und die Kraft der Kunst.
In einer der zahlreichen plastischen Szenen, an denen dieser ungewöhnliche Band reich ist, betrachtet der polnische Lyriker und Essayist Adam Zagajewski in einer Gemäldegalerie in Bologna mäßig interessiert Bilder von Raffael, Guido Reni und Annibale Carracci. Dann erregt ein Fenster seine Aufmerksamkeit. Draußen dunkelt es, und sein Blick fällt aus dem Museum in Wohnungen, in denen das Abendessen vorbereitet, ein Kind gestillt und am Computer gesurft wird. Es ist der Moment zwischen Hund und Wolf, wie die Franzosen sagen, erinnert sich Zagajewski. "Und da kam mir dieser Satz in den Sinn: 'Sie leben nur.'" Den nur Lebenden fühlt er sich weit überlegen und ist den Leinwänden mit einem Mal stärker zugetan.
Im nächsten Absatz bleibt es bei diesem Gefühl und Zagajewski genießt sein Unverständnis für die gewöhnlichen "Nullachtfünfzehn-Menschen". Obwohl er weiß, dass auch er bald Hunger verspüren wird, taucht er ein in die Welt der Kunst – und kehrt dann zurück zu den Menschen, "und wir aßen gemeinsam zu Abend." Vorbei ist die "Kleine Ewigkeit der Kunst", so der Titel des Buches.
Im nächsten Absatz bleibt es bei diesem Gefühl und Zagajewski genießt sein Unverständnis für die gewöhnlichen "Nullachtfünfzehn-Menschen". Obwohl er weiß, dass auch er bald Hunger verspüren wird, taucht er ein in die Welt der Kunst – und kehrt dann zurück zu den Menschen, "und wir aßen gemeinsam zu Abend." Vorbei ist die "Kleine Ewigkeit der Kunst", so der Titel des Buches.
Mystische Augenblicke mit der Kunst
Der Kunst traut Adam Zagajewski zu, den Menschen aus Verzweiflung, Einsamkeit und Depression zu befreien – Gefühle und Zustände, die der Pole, der 1976 aus politischen Gründen Publikationsverbot erhielt und mehr als 20 Jahre im Exil in Paris und den USA lebte, gut kennen dürfte. Allerdings erhebe die Kunst den Menschen nur kurzfristig. Auf die glücklichen, intensiven, enthusiastischen Augenblicke folge der Absturz, auf die Poesie die Epik, auf die Gemälde das Abendessen. Das Eine verleihe dem Anderen Sinn, aber Intensität, Glück, Enthusiasmus weilten nur kurz, in mystischen Augenblicken. In der Kunst sieht Zagajewski also keine Religion, keinen Zufluchtsort vor dem Leben, sondern einen sinnspendenden Widerpart.
So ließe sich – etwas vergröbert – die Konzeption zusammenfassen, die Zagajewskis Aufzeichnungen unauffällig leitet. Sie liegt auch den persönlichen Erinnerungen an seine Familie zugrunde, die aus Lemberg nach Gleiwitz vertrieben wurde, selbst denen an den inzwischen dementen Vater, einen Ingenieur, der den vielen Worten des Sohnes stets misstraute. Lemberg ist für die älteren Verwandten der Ort "vertikaler Sehnsüchte" – so wie für den 1945 Geborenen die Gedichte von Josef Brodsky, Gottfried Benn, Yehuda Amichai, Ossip Mandelstam und vielen anderen, so wie die Musik von Bach (Gott habe Bach gehört, heißt es einmal), Mozart und Brahms. Andere Künste faszinieren Zagajewski deutlicher weniger, die Popmusik hasst er.
Die Einträge des "Tagebuchs ohne Datum", wie der Untertitel lautet, enthalten übrigens nur drei, vier Gedichte von Kollegen. Meist erinnert sich Zagajewski an Begegnungen und Lektüren. Passen meine Favoriten, fragt er, zu meiner Auffassung von Poesie? Und wie gingen sie mit den Anforderungen der Wirklichkeit um? Opportunistisch wie der polnische Dichterstar Tuwim, zynisch wie E. M. Cioran, klassizistisch-verlogen wie Ernst Jünger? Angeregt von den "Cahiers" Ciorans, Simone Weils und Paul Valérys schenkt ein sehnsüchtiger Lesender, ein diskreter, im Umgang wohl zurückhaltender Dichter seinen Lesern einen langen Spaziergang durch sein Leben, durch seine Erfahrungen mit Büchern und seine Städte Lemberg, Krakau und Paris. Eigentlich sind es alles Unterhaltungen mit Freunden und Vertrauten, die zuweilen schon tot sind, aber nichtsdestotrotz präsent.
So ließe sich – etwas vergröbert – die Konzeption zusammenfassen, die Zagajewskis Aufzeichnungen unauffällig leitet. Sie liegt auch den persönlichen Erinnerungen an seine Familie zugrunde, die aus Lemberg nach Gleiwitz vertrieben wurde, selbst denen an den inzwischen dementen Vater, einen Ingenieur, der den vielen Worten des Sohnes stets misstraute. Lemberg ist für die älteren Verwandten der Ort "vertikaler Sehnsüchte" – so wie für den 1945 Geborenen die Gedichte von Josef Brodsky, Gottfried Benn, Yehuda Amichai, Ossip Mandelstam und vielen anderen, so wie die Musik von Bach (Gott habe Bach gehört, heißt es einmal), Mozart und Brahms. Andere Künste faszinieren Zagajewski deutlicher weniger, die Popmusik hasst er.
Die Einträge des "Tagebuchs ohne Datum", wie der Untertitel lautet, enthalten übrigens nur drei, vier Gedichte von Kollegen. Meist erinnert sich Zagajewski an Begegnungen und Lektüren. Passen meine Favoriten, fragt er, zu meiner Auffassung von Poesie? Und wie gingen sie mit den Anforderungen der Wirklichkeit um? Opportunistisch wie der polnische Dichterstar Tuwim, zynisch wie E. M. Cioran, klassizistisch-verlogen wie Ernst Jünger? Angeregt von den "Cahiers" Ciorans, Simone Weils und Paul Valérys schenkt ein sehnsüchtiger Lesender, ein diskreter, im Umgang wohl zurückhaltender Dichter seinen Lesern einen langen Spaziergang durch sein Leben, durch seine Erfahrungen mit Büchern und seine Städte Lemberg, Krakau und Paris. Eigentlich sind es alles Unterhaltungen mit Freunden und Vertrauten, die zuweilen schon tot sind, aber nichtsdestotrotz präsent.