Tagebuchschreiben als Obsession

Mit den nun vorliegenden Bänden "Tagebuch 1981-1998. Frankfurt am Main, Westberlin" und "Tagebuch 1999-2001. Berlin, Wien" findet die fünfbändige Edition der Tagebücher Einar Schleefs ihren Abschluss. In den Tagebüchern dokumentiert der Schriftsteller akribisch seinen Alltag sowie sein künstlerisches Schaffen.
Die insgesamt etwa 2500 Seiten der fünfbändigen Edition dokumentieren einen Zeitraum von fast 50 Jahren. Der 1944 in Sangerhausen geborene Schleef, den Elfriede Jelinek für das einzige Genie hält, das die DDR hervorgebracht hat, starb 2001 auf dem Höhepunkt seiner Kariere im Alter von nur 57 Jahren.

Mit neun Jahren beginnt Schleef Tagebuch zu schreiben. Das Vorhaben wird später zu einer Obsession. Was sein Leben tangiert, notiert Schleef, wobei intimste Details ebenso aufgeschrieben werden, wie Ereignisse, die seinem Theater- und Künstleralltag ausmachen. Zeitweise schreibt Schleef wie besessen, ohne abzuwägen oder zu kontrollieren, ob die Ereignisse, die er erlebt, es wert sind, erinnert zu werden. Da aber nichts in Vergessenheit geraten darf, sortiert er auch nichts aus.

Der Chronist, der dem eigenen Gedächtnis misstraut, macht das Tagebuch zu seinem Vertrauten. Mit ihm wird er in späteren Jahren in einen Dialog treten, wenn er nachträglich kommentiert, was er einst aufgeschrieben hat. Doch so ernst es Schleef mit dem Tagebuchschreiben auch ist, es gibt immer wieder Phasen, in denen er es nicht zur Hand nimmt und seinem Vorsatz untreu wird. Doch diese "Faulheit" verzeiht er sich am wenigsten: Schleef ist sein eigener unbestechlicher Zuchtmeister.

Einar Schleef wächst in Sangerhausen auf ("Tagebuch 1953-1963. Sangerhausen"). Später studiert er an der Hochschule für Bildende Kunst in Weißensee und inszeniert zusammen mit B. K. Tragelehn am Berliner Ensemble August Strindbergs "Fräulein Julie" und Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen". Gefeiert vom Publikum, werden die Arbeiten von den Parteioberen in der DDR mit Distanz betrachtet ("Tagebuch 1964-1976. Ostberlin"). Von einem Gastspiel in Wien kehrt Schleef nicht in die DDR zurück und studiert an der Film- und Fernsehakademie. Der erste Band seines Romans "Gertrud" erscheint ("Tagebuch 1977-1980. Wien, Frankfurt am Main, Westberlin"). Schleef inszeniert in Frankfurt am Main und bringt nach der Wende 1993 Rolf Hochhuts "Wessis in Weimar" im Berliner Ensemble auf die Bühne. In Schwerin wird 1995 sein Stück "Totentrompeten" uraufgeführt, 1997 erscheint sein Großessay "Droge Faust Parsifal" und er führt am Wiener Burgtheater Regie bei der Inszenierung von Elfriede Jelineks "Sportstück" ("Tagebuch 1981-1998. Frankfurt am Main, Westberlin"). In Frankfurt am Main hält er die Poetik-Vorlesung mit dem Titel "Deutscher Monolog" und im Mai 2000 zeigt das Deutsche Theater in Berlin Schleefs "Verratenes Volk" ("Tagebuch 1999-2001. Berlin, Wien").

Diese Lebensstationen werden in den Tagebüchern aufgerufen, wobei Schleef Einblicke in seinen Alltag und Auskünfte über sein künstlerisches Schaffen gibt. Dabei ist Sprache ein zentrales Thema, dem Schleefs Aufmerksamkeit gehört. Als Stotterer entwickelt Schleef ein sensibles Sprachempfinden. Er leidet an der Sprache und findet, wie es Johannes Windrich in seinem Nachwort für den letzten Band formuliert, eine "Sprache für das Leiden". Schleef hinterlässt mit den Tagebüchern ein Material, das es in seiner Einzigartigkeit erst noch zu erschließen gilt. Diese fünf Bände verweisen auf einen Schriftsteller, der zu den bedeutenden Erscheinungen der deutschen Nachkriegsliteratur zählt.

Besprochen von Michael Opitz

Einar Schleef: Tagebuch 1981-1998. Frankfurt am Main, Westberlin
Herausgegeben von Winfried Menninghaus u.a.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
459 Seiten, 30 Euro

Einar Schleef: Tagebuch 1999-2001. Berlin, Wien
Herausgegeben von Winfried Menninghaus u.a.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
491 Seiten, 30 Euro.