Tagung
Deutsche Soldaten um 1914 vor einem Feldpostamt - Auf dem 50. Deutschen Historikertag steht der Erste Weltkrieg wieder mit auf dem Programm. © picture alliance / ZB / Stefan Sauer
Ein bisschen Tratsch und viel Geschichte
Der Deutsche Historikertag gehört zu den wichtigsten geisteswissenschaftlichen Fachkongressen in Europa. Für die Art und Weise, wie deutsche Historiker ihre Erkenntnisse vermitteln, gibt es aber Kritik. Es sei zu unverständlich.
Ein harmloses Familientreffen sei der Deutsche Historikertag, sagen die einen. Eine hochkarätig besetzte Fachkonferenz, sagen die anderen. Wenn Matthias Berg von der Veranstaltung erzählt, leuchten seine Augen. Er war 2004 das erste Mal dabei.
"Als Student damals, noch Tagungsbericht schreibend, war das sehr neu und aufregend, und man guckte nach bekannteren Namen, die man so aus den Büchern kannte, und jetzt als selbst Beteiligter, als Mitveranstalter einer Sektion hat man doch einen nüchternen, vielleicht auch angespannteren Blick auf die Arbeit, die zu leisten ist."
Heute ist Matthias Berg Historiker an der Berliner Humboldt-Universität. Er arbeitet in einem Forschungsprojekt zur Geschichte des Verbandes der Deutschen Historiker, des VDH. Die Gründe, warum der Historikertag für viele immer noch so reizvoll sei, sagt er, hätten sich in den vergangenen 121 Jahren kaum geändert.
"Für den Historiker selber ist es zunächst einmal die fachliche Debatte und der Austausch und die Präsentation eigener Thesen, eigener Ergebnisse, ich vermute, für den historisch Interessierten ist die Teilnahme an solchen Debatten, die in kleineren und geschlossenen Konferenzen gar nicht so leicht möglich ist, ist die Wahrnehmung einer historischen Debatte auf einem vielleicht auch wissenschaftlicheren Niveau als einem breiteren Publikum sonst geboten bekommt, ist sicher auch ein bisschen Interesse an Klatsch und Tratsch, bisschen Kontaktbörse, so ein Meet and greet allgemeiner Art."
Ort für zentrale Debatten der Geschichtswissenschaft
1893 fand der erste Deutsche Historikertag in München statt. Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Geschichtslehrern hatte sich zusammengetan, weil sie sich wehren wollte dagegen, dass der deutsche Kaiser die Geschichtswissenschaft für seine nationalistischen Zwecke instrumentalisierte. Das Dreiecksverhältnis von Geschichte, Politik und Pädagogik spielt seitdem eine zentrale Rolle.
"Zum einen läge es ja nahe zu vermuten, wenn sich die Disziplin gemeinsam versammelt, dass dann die großen Erkenntnisse nur so sprießen würden, zum anderen ist wissenschaftliche Erkenntnis ein mühseliger Prozess. Der sich selten auf einen Punkt, ein Datum, eine Ansprache, reduzieren lässt. Gleichwohl sind die Historikertage doch immer wieder auch Orte gewesen, um die zentralen Debatten der Geschichtswissenschaft zumindest kulminieren zu lassen. Beispielsweise die Fritz-Fischer-Debatte in den 60er-Jahren ist ja auf dem Berliner Historikertag 1964 sicher weder entstanden noch entschieden worden, aber doch breit und sehr öffentlich thematisiert worden."
Der Hamburger Historiker Fritz Fischer hatte die These vertreten, das Deutsche Kaiserreich sei für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges allein verantwortlich gewesen. Und hatte damit eine kontroverse Debatte entfacht, die bis heute andauert. Auch in Göttingen 2014 steht der Erste Weltkrieg natürlich wieder auf dem Tagungsprogramm.
Deutsche Historiker sind schlechte Vermittler
Das Beispiel Fischer zeigt: Nicht oft, aber immer wieder ist und war der Historikertag Schauplatz geschichts- und gesellschaftspolitischer Debatten. Und immer wieder beschäftigt er sich mit der Frage der Geschichtsvermittlung. 1978 stellte der Hamburger Historiker Bernd Jürgen Wendt in einem Telefoninterview mit dem RIAS fest:
"Man sagt dem deutschen Historiker mit Recht nach: Er scheut sich ein bisschen, verständlich zu schreiben. Also das ist ein Schuh, den wir uns durchaus anziehen müssen, die englischen Historiker sind ganz anders in der Lage, ihren Stoff auch zu vermitteln einer breiten Öffentlichkeit. Hier ist ein Defizit."
2006 widmete sich der 46. Historikertag in Konstanz diesem Thema. Unter dem Schlagwort "Histotainment", das ist das Vermitteln historischer Informationen mit Hilfe unterhaltender Elemente, hatte ZDF-Redakteur Guido Knopp gerade große Quotenerfolge gefeiert. Die nun von den Historikern eifrig diskutiert wurden. Rainer Wirtz von der Universität Konstanz.
"Die Historiker müssen sich fragen, ob die künftigen Geschichtsbilder von Steven Spielberg und Guido Knopp gemacht werden oder von Hans Mommsen oder Ian Kershaw. Und sie haben ein Problem im Umgang mit der massenwirksamen Mediatisierung von Geschichte."
Und Peter Funke, damals vor acht Jahren Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Historiker.
"Ich habe kürzlich gelesen, dass bei der Premiere des Napola-Films von Dennis Gansel Schüler befragt wurden, was sie bevorzugten, warum sie gerne in solche Filme hineingingen, und die Antwort war, dass man lieber einen Spielfilm mit historischer Thematik sich anschaut als eine Dokumentation, und zwar aus dem Grund, weil eine Dokumentation unecht wirke. Und das macht sehr deutlich, wie heute der Umgang mit solchen Medien ist, und da haben wir eine große, ich darf das Wort mal benutzen: aufklärerische Aufgabe."
Zu viel Routine und gepflegte Langeweile?
Geschichte so anschaulich wie möglich machen, dabei so seriös wie nötig sein: Ein hehrer Anspruch, den der Deutsche Historikertag an sich selbst stellt. Und dabei hagelt es immer wieder Kritik, die Veranstaltungen erstarrten "in routiniertem Repetieren und gepflegter Langeweile". Noch einmal Matthias Berg, Historiker an der Berliner Humboldt-Uni:
"Immer wieder gibt es die Diskussion ja darüber, ob es nicht noch mehr Streit geben sollte, ob die Historikertage nicht zu einvernehmlich wären, das ist aber auch so ein Wiedergänger der Debatten, dass man Angst hätte, man würde an Relevanz verlieren, wenn die Debatten nicht hitzig genug sind"
Unter dem Strich steht: der Deutsche Historikertag mit seinen etwa 3.500 Teilnehmern ist einer der größten geisteswissenschaftlichen Kongresse Europas.