Tagung in Berlin

Ethik-Standards für die Forschung

Zwei Hände fassen eine Petrischale mit Bakterienkulturen zur Genvermehrung.
Sind weltweite Ethik-Standards in der Forschung realisierbar? © dpa / picture alliance / Michael Rosenfeld
Christiane Woopen im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Nach Meinung der Medizinethikerin Christiane Woopen gibt es etliche Wissenschaftsgebiete, auf denen Ethik-Standards zwingend erforderlich sind - etwa in der Embryonenforschung. Auf einer Tagung des Deutschen Ethikrates wird das derzeit diskutiert.
Wissenschaft findet zunehmend global vernetzt in internationalen Forschungsverbünden statt. Dabei entfaltet nicht nur die Wissenschaft ihr Potenzial zur Globalisierung, sondern die Globalisierung fordert die Wissenschaft heraus. Unterschiedliche rechtliche Regulierungen und Standards sowie kulturelle Hintergründe sind für die Forscher kaum zu überschauen. Zudem treiben Global Player die Kommerzialisierung von Forschung voran.

Programmtipp: 12:38 Uhr, Studio 9, Lebende Schöpfungen: Brauchen wir neue Begriffe für Genverändertes? Interview mit Nicole Karafyllis, Philosophin und Biologin, Inhaberin des Lehrstuhls für Wissenschafts- und Technikphilosophie an der TU Braunschweig.

Sollte und kann es weltweite Standards für die Forschung geben? Ja, lautet die klare Meinung der Medizinethikerin Christiane Woopen, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates:
"Wir müssen diese Debatte deswegen führen, weil es in bestimmten Anwendungsbereichen unbedingt weltweit einheitliche Standards geben muss. Ich denke da beispielsweise an Eingriffe in die Keimbahn des Menschen, also in die Embryonen, sodass dann auch genetische Veränderungen an nächste Generationen vererbt werden würden. Ich denke an den Schutz von Probanden, die an klinischen Studien teilnehmen und natürlich, wenn die Versuche in Afrika oder in Südamerika, in Asien durchgeführt werden, genauso geschützt sein sollten wie die Probanden in Europa."
Der Deutsche Ethikrat möchte im Verlauf einer gemeinsam mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina veranstalteten Tagung genauer beleuchten, welche besonderen Möglichkeiten und Herausforderungen sich durch die Globalisierung für die Wissenschaft ergeben und was dies für eine Globalisierung der Ethik bedeutet. Das Ringen um Standards lohne sich in jedem Fall, sagt Woopen, die Professorin an der Universität Köln ist: "Wenn wir uns noch nicht mal darum bemühen, dann haben wir von vornherein aufgeben."


Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: In einer global vernetzten Welt, da ist auch Forschung etwas, das global stattfindet, ganz klar, da braucht es Regeln, die global gelten. Aber lassen sich solche ethischen Regeln eigentlich auch durchsetzen, sind sie überhaupt wünschenswert? Die Frage nach der globalen, für alle Wissenschaft geltenden Ethik wird heute gestellt während einer Tagung in Berlin. "Globale Wissenschaft – Globale Ethik?", fragt sie, veranstaltet vom Deutschen Ethikrat und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Und Christiane Woopen ist Medizinethikerin und Philosophin und Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Uni Köln, und sie ist Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Schönen guten Morgen, Frau Woopen!
Christiane Woopen: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Auf die Frage, ob global tätige Wissenschaft auch eine globale Ethik braucht, würde man wahrscheinlich spontan "Ja!" rufen. Bloß wissen wir ja, wie verdammt schwierig es ist, solche Standards über Grenzen, Kulturen und Traditionen oder Religionen sogar hinweg durchzusetzen. Wir müssen ja nur an die Stammzellenforschung denken oder das Aussehen genveränderter Pflanzen. Warum sagen Sie trotzdem, wir müssen diese Debatte führen?
Woopen: Wir müssen diese Debatte deswegen führen, weil es in bestimmten Anwendungsbereichen unbedingt weltweit einheitliche Standards geben muss. Ich denke da beispielsweise an Eingriffe in die Keimbahn des Menschen, also in die Embryonen, sodass dann auch genetische Veränderungen an nächste Generationen vererbt werden würden. Ich denke an den Schutz von Probanden, die an klinischen Studien teilnehmen und natürlich, wenn die Versuche in Afrika oder in Südamerika, in Asien durchgeführt werden, genauso geschützt sein sollten wie die Probanden in Europa. Und über diese Fragen muss man sich verständigen.
Natürlich gibt es immer wieder auch kulturelle Unterschiede und die sind berechtigt, die sind in manchen Bereichen sogar wünschenswert, aber Basisstandards eines ethischen Schutzes sollten weltweit gelten.
Es hat sich viel getan in den zurückliegenden Jahren
von Billerbeck: Kommt dieses Bedürfnis nach Debatte auch aus der Wissenschaft selbst? Es gab ja in diesem Jahr eine Diskussion um die neue Technik CRISPR/Cas9, das ist eine Methode, mit der sich im Labor einfacher denn je das Genom von lebenden Zellen und Tieren verändern lässt, und man könnte da irgendwann auch in die DNA eines menschlichen Embryos eingreifen und deshalb haben bekannte Forscher ein Moratorium gefordert, zwei Jahre soll man diese Methode nur zur Grundlagenforschung anwenden und die Zeit nutzen, um sich ethisch zu verständigen. Bewegt sich da was, werden solche Fragen also intensiver in der Wissenschaft diskutiert?
Woopen: Ja, über die letzten Jahre und Jahrzehnte hat sich da sehr viel getan. Denn die Wissenschaft war ursprünglich mal davon ausgegangen, dass sie ja quasi wertfrei unterwegs ist und dann die Ergebnisse von der Gesellschaft diskutiert werden müssen, aber die Wissenschaft selber nicht von Anfang an schon eine Verantwortung hätte. Das hat sich geändert und das ist, so wie Sie sagen, ganz augenfällig jetzt bei dieser CRISPR/Cas9-Technologie. Da haben zwei Gruppen von Forschern von vornherein gesagt, stopp, wir können das im Pflanzenbereich, im Tierbereich einsetzen, vielleicht auch bei der Therapie am erwachsenen Menschen, aber bei den Eingriffen bei der Keimbahn, also beim Embryo, da sollten wir uns zurückhalten, bis eine gesellschaftliche Debatte stattgefunden hat.
Jetzt findet dieser Tage in Washington ein Kongress statt und es haben noch weitere 150 Forscher und auch Gesundheitsexperten zu einem solchen Moratorium oder gar Verbot aufgerufen, aber da haben sich auch schon wieder Gegenstimmen zu Wort gemeldet und gesagt, dann vergeben wir uns Chancen zur Heilung, zur wirklichen Ausrottung von bestimmten Erbkrankheiten. Wir sehen also, dass diese ganz kontroverse Debatte auch innerhalb der Wissenschaft stattfindet, und das halte ich für einen großen Fortschritt.
von Billerbeck: Aber dazu kommt ja auch noch, es gibt ja auch, was Wissenschaft betrifft, immer wirtschaftliche Interessen globaler Konzerne, die ja bekanntlich auch Forschung mit viel Geld unterstützen und auch Einfluss ausüben auf dieses wissenschaftliche Handeln. Wird da nicht staatliches Handeln, Gesetzgebung, egal nun ob regional oder global, ohnehin immer nur den Fakten hinterherlaufen, während die einfach anderswo geschaffen werden?
Woopen: Das Verhältnis zwischen der akademischen Forschung, also an akademischen Einrichtungen, Universitäten, Max-Planck-Gesellschaften etc. ist im Verhältnis zu der kommerziell getriebenen Forschung tatsächlich ein Thema, das wir auch heute besprechen werden und müssen. Die wirtschaftliche Potenz, auch mit viel Geld bestimmte Forschungsfragen nach vorne zu bringen, dann eben auch die Mittel zu haben bei diesen sehr finanzintensiven Geräten, die dafür erforderlich sind, auch den Finanzen für viele Forscher, die dafür erforderlich sind, aufzubringen, ist in der Wirtschaft auch viel größer, jedenfalls bei manchen Fragestellungen.
Welche Forschungsfragen sind wichtig?
Und wir müssen uns überlegen, wo wir eigentlich welche Forschungshypothesen generieren wollen, welche Forschungsfragen wir besonders kraftvoll verfolgen werden und verfolgen möchten, zum Nutzen auch für die Gesellschaft, sodass wir uns in der Tat aufmerksam anschauen müssen, wo die, ich sage mal, Hoheit über das, was Forschung machen kann, tatsächlich aus den Händen der akademischen Einrichtungen genommen wird. Ich möchte das gar nicht in Konkurrenz oder ich möchte gar nicht sagen, dass ausschließlich die einen oder die anderen das machen sollen, aber es muss ein gutes Miteinander geben.
von Billerbeck: Und wer soll am Ende darüber entscheiden, was gelten soll über Staaten, über Kulturen, über Traditionen und Religionen hinweg?
Woopen: Das ist ein komplexes Geflecht aus den Bereichen, die man in nationaler Hoheit lassen kann, aus den Bereichen, die nur in internationalen oder auch europäischen, anderen Regionen Kooperationen stattfinden können, und solchen Basisstandards, die weltweit auf der Ebene der Vereinten Nationen, der Weltgesundheitsorganisation zu regulieren sind und auch nur dort zu bewältigen sind.
von Billerbeck: Meinen Sie denn, dass es wirklich am Ende solche realistischen ethischen Standards geben wird?
Woopen: Also, wenn wir uns noch nicht mal darum bemühen, dann haben wir von vornherein aufgeben. Es gibt ja mittlerweile auch einige UN-Deklarationen zu Menschenrechten im Bereich der Bioethik, im Bereich des menschlichen Genoms. Und das tatsächlich zu verfolgen, dann aber auch Institutionen zu haben, die diese Standards durchsetzen können, also bei Verstößen tatsächlich auch dagegen vorgehen können, Sanktionen verhängen können, da müssen wir uns noch weiterentwickeln. Aber man kann nicht sagen, dass wir gar nichts hätten schon.
von Billerbeck: Das sagt die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Christiane Woopen. Ich danke Ihnen und wünsche eine interessante Tagung!
Woopen: Herzlichen Dank, die werden wir haben!
von Billerbeck: Und heute Mittag im "Studio 9" sprechen wir noch mal über dieses Thema, und zwar: Lebende Schöpfungen – brauchen wir neue Begriffe für Genverändertes? Und dann ist Nicole Karafyllis Gesprächspartnerin, Philosophin und Biologin von der Uni Braunschweig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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