"Take Shelter - Ein Sturm zieht auf"

Von Hans-Ulrich Pönack |
Schon sein Regiedebüt "Shotgun Stories" wurde von Kritikern hoch gelobt, jetzt kommt Jeff Nichols zweiter Film in die Kinos. "Take Shelter" ist ein Psychodrama, das vordergründig die sozialen Unruhen der amerikanischen Mittelschicht behandelt - und hintergründig die Angst des Protagonisten, schizophren zu sein.
Mit seinem Debütfilm "Shotgun Stories" legte der am 7. Dezember 1978 in Little Rock, Arkansas geborene Schriftsteller, Drehbuch-Autor und Regisseur 2007 einen fulminanten, auf vielen internationalen Festivals gefeierten Leinwand-Start hin. Sein nunmehr zweites Werk ist ein ebensolches cinematographisches Kraftpaket, das auch bereits auf zahlreichen internationalen Festivals (Cannes, Deauville, Hamburg, Zürich) hofiert wurde und tief in die aktuelle amerikanische Seele hineinblickt, genauer: in die arg verunsicherte Seele einer ordentlichen amerikanischen Mittelstandsfamilie aus dem Mittelwesten der USA.

Die allgemeine, existenzielle Verunsicherung der Menschen ist überall zu spüren. Die harmonische Familie LaForche ist ein melancholisches Beispiel dafür. Bestehend aus Mann, Frau und kleiner, tauber Tochter. Demnächst soll Hannah operiert werden - über die bestehende Krankenversicherung, die Curtis LaForche dank eines großzügigen Arbeitgebers für die Familie besitzt. Curtis ist Bauarbeiter. Sein Leben beginnt sich gerade existenziell in richtig feste Bahnen zu entwickeln, als sich die Lebensbedingungen dieser kleinen familiären Zelle merklich zu verändern beginnen.

Der Grund sind diese seltsamen und zunehmenden nächtlichen Alpträume von Curtis, in denen außergewöhnliche, bedrohlich aufziehende Wolken und merkwürdiger Regen eine Rolle spielen. Genauso wie diese gewalttätigen anonymen Angreifer, die aus dem Nichts attackierend auftauchen. Curtis verändert sich, ohne sich seiner Frau zu erklären. Er vernachlässigt die Arbeit und beginnt, einen größeren Schutzbunker im Garten zu bauen - mit dem Geld, das eigentlich für die OP seiner Tochter gedacht war. Ehefrau Samantha fühlt sich schlimm übergangen, zumal sich Curtis - auch heimlich - zwischenzeitlich um psychologische Hilfe bemüht hat. Seine Angst: Seine Mutter ist schon mit Mitte 30 an paranoider Schizophrenie erkrankt und nun auf ständige Heimbetreuung angewiesen. Befindet sich in seinen Genen auch so etwas? Oder ist Curtis LaForche ein düsterer Prophet?

Die hypnotischen Bilder von Kamera-As Adam Stone signalisieren ergreifende apokalyptische Untergangsstimmung, ebenso wie die sensiblen Klänge von David Wingo.

"Take Shelter", also "Zuflucht", ist ein erstklassiges atmosphärisches Psychodrama und eine packende Filmmetapher für die vorhandene amerikanische Unruhe in der Mittelschicht. Ein grandioser Schauspieler-Film. Der 37-jährige Michael Shannon ist ja spätestens seit seinem fulminanten Auftritt als bekloppter Nachbar von Leonardo Di Caprio und Kate Winslet in "Zeiten des Aufruhrs" (2008, Oscar-Nominierung) ein Geheimtipp in Sachen gestörte/verstörte Typen im besseren US-Kino.

An seiner Seite entwickelt die derzeit vielbeschäftigte Jessica Chastain (Ehefrau von Brad Pitt im Cannes-Gewinner "The Tree of Life", kürzlich in "The Help") als Ehefrau Samantha fesselnde bodenständige Sogwirkung. Ein brillantes Darstellerpaar in einem wunderbar bewegenden wie suggestiven Zivilisationsdrama.

USA 2011. Originaltitel: Take Shelter. Regie: Jeff Nichols. Darsteller: Michael Shannon, Jessica Chastain, Tova Stewart, Shea Whigham, Katy Mixon, Kathy Baker, Ray McKinnon, Lisa Gay Hamilton, Robert Longstreet. Ab 12 Jahren. 120 Minuten.

Filmhomepage "Take Shelter"
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