Tamar Tandaschwili: "Als Medea Rache übte und die Liebe fand"
Aus dem Georgischen von Tamar Muskhelishvili
Residenzverlag,
144 Seiten, 18 Euro
Tamar Tandaschwili: "Als Medea Rache übte und die Liebe fand"
Wirbelte in Georgien ordentlich Staub auf: Tamar Tandaschwilis zweiter Roman "Als Medea Rache übte und die Liebe fand" © Deutschlandradio / Residenz Verlag
Grelle Farben, schnelle Schnitte
06:35 Minuten
In diesem temporeichen Roman von Tamar Tandaschwili begleiten wir Medea, eine Anwältin im Georgien unserer Tage, bei ihren Ermittlungen. Auch ihr eigener Eheman gerät als Mittäter von Sex-Sklaverei ins Visier. Eine schrille, provokante Abrechnung.
Der zweite Roman von Tamar Tandaschwili liest sich wie das Drehbuch für einen Film von Pedro Almodóvar. Das liegt nicht nur an einer Verbeugung vor dem spanischen Regisseur in Form des beiläufigen Satzes: "Transgender-Personen hatten sie bisher nur in Almodóvar-Filmen gesehen, und dort schien es in Ordnung zu sein."
In diesem Roman ist es deutlich mehr als in Ordnung: "Als Medea Rache übte und die Liebe fand" feiert eine schrille und selbstbewusste Versammlung von Andersartigkeit. Zahllose starke und unkonventionelle Frauen treten auf: die Krisenreporterin Tina, die Transgender-Frau Lascha, lesbische Nonnen im Kloster oder auch das sexwütige geistig behinderte Mädchen Likuna. Provokation und Zuspitzung kennzeichnen den reichlich überdrehten Plot, bis hin zu Splatter-Motiven: Auch ein Mann wird kastriert.
Permanente Szenenwechsel
Schnelle Schnitte und permanente Szenenwechsel – wir springen von Istanbul über Georgien bis nach Griechenland – mit diversen Nebenhandlungen prägen das schmale Buch auch formal filmästhetisch.
Hinzu kommen mehrere Rückblenden in die Kindheit und Jugend einzelner Protagonisten, was die Lektüre nicht ganz einfach macht. Ein Personenverzeichnis am Ende des Romans hilft, sich in einem komplexen Geflecht zurechtzufinden, in dem Teile des Personals unter diversen wechselnden Namen auftreten – so etwa die titelgebende Medea.
Ihr folgen wir sowohl in ihre Zeit als Nonne Barbare im Kloster als auch zu ihrem Job als Anwältin. Hier ist sie Leiterin der "Abteilung für Schwerverbrechen" und ermittelt im Fall eines Teenagermädchens, das über Jahre als Sex-Sklavin missbraucht wurde. Weil der Fall 20 Jahre zurückliegt, droht Verjährung. Medea findet heraus, daß auch ihr eigener vermeintlich rechtschaffener Ehemann damals zu den Tätern gehörte.
Ein Bild der sexistischen georgischen Gesellschaft
In grellen Farben zeichnet die Autorin Lebensrealitäten einer patriarchalen, sexistischen und frauenfeindlichen georgischen Gesellschaft. Sie liefert eine Fülle an Beispielen diverser Personen und unterschiedlicher Milieus – ob im Kloster, in der "Ehehölle" oder in der Schule.
Tamar Tandaschwili, die als Psychologin und Aktivistin für sexuelle Minderheiten einen populären Blog in Georgien betreibt, zehrt in ihrem Roman offensichtlich aus einem reichen Erfahrungsschatz ihr bekannter Fälle. Eine Romanfigur bringt es drastisch auf den Punkt: "Sexuelle Gewalt an Frauen ist ein georgischer Nationalsport."
Setzt zu sehr auf schrille Effekte
Leider gelingt es der Autorin nicht, die Dringlichkeit und Relevanz dieses Themas wirklich nachhaltig in Form zu bringen. Zu sehr setzt sie auf schrille Effekte, burleske Elemente und Irritation. Die Handlung ist so abstrus, dass sie eher unfreiwillig komisch wirkt. Ganz plötzlich endet alles in schönstem Wohlgefallen – in der titelgebenden und rettenden Liebe, die zumindest Medea ereilt.
Doch immerhin hat das Buch in Georgien für viel Wirbel gesorgt: als eine provokante Abrechnung mit Homophobie und Misogynie in der georgischen Gesellschaft. Vermutlich dient es dort als wichtiger Impuls für eine stärkere Sichtbarmachung der queeren Szene – selbstbewusst und kämpferisch.