Angst und Misstrauen im Norden Sri Lankas
Sieben Jahre nach dem Ende des blutigen Bürgerkriegs in Sri Lanka sieht sich die tamilische Minderheit im Norden und Osten des Landes gedemütigt, überwacht und unterdrückt. Die Armee hält Teile ihres Ackerlandes besetzt. Viele leben bis heute in Vertriebenenlagern oder sogenannten Modelldörfern.
Fenster und Türen des lila-weiß gestrichenen Häuschens sind aus hellem Holz, sorgsam geschliffen und verziert mit Schnitzereien; auf der Mauerbrüstung unter dem säulengestützten Terrassendach steht ein Blumentopf neben dem anderen; durch Vorhänge aus Blüten und Blättern dringt diffus das Licht der Mittagssonne.
Die Gastgeberin stellt Gläser voll rot leuchtenden Papaya-Safts auf den Tisch und deutet lächelnd auf ein Büschel reifer Bananen - ein Idyll, säßen da nicht auf Plastikstühlen, in verwaschenen Saris, zwei verhärmt wirkende Frauen; die Haare streng nach hinten gebunden, den Blick nach innen gerichtet.
"An einem Morgen im August 2011 war mein Mann gerade heimgekommen vom Fischen, als drei Kriminalpolizisten auftauchten. Sie wollten ihn befragen, sagten sie; er solle mitkommen. Am Nachmittag rief mich ein Polizist an und sagte, ich solle Kleidung für meinen Mann bringen. Seitdem sitzt er im Gefängnis... und immer wieder hat er Termine vor Gericht."
"Monatelang floh ich mit meiner Tochter und meinem Sohn vor Granaten und Bomben. Als wir uns schließlich Anfang 2009 der Armee Sri Lankas ergaben, nahmen die Soldaten meinen Sohn fest, der damals 16 Jahre alt war. Ich schrieb dem Jungen zahllose Briefe ins Gefangenenlager, die aber alle ungeöffnet zurückkamen. Seit über sieben Jahren frage ich nun in allen Gefängnissen Sri Lankas nach ihm; ich habe hunderte Briefe geschrieben an alle möglichen Behörden – an das Rote Kreuz, an Büros der Vereinten Nationen. Aber niemand sagt mir, wo mein Sohn ist und ob er noch lebt. Wann sagen sie mir endlich die Wahrheit?"
Sieben Jahre nach dem Bürgerkrieg - und immer noch kein Frieden
Keppapilavu – eine Siedlung im Norden Sri Lankas, nahe der Stadt Mullaitivu. Häuschen, die einander ähneln wie ein Ei dem anderen; gebaut im Abstand von 20 Metern von singhalesischen Soldaten für tamilische Bauern und Fischer; von Siegern für Besiegte.
Auch sieben Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs herrscht kein Frieden in Sri Lanka. Bis heute sind zwei Drittel der Armee im Norden und Osten des Landes stationiert. Die Armee hat zahllosen tamilischen Bauern Land weggenommen. Hunderttausende Tamilen wurden zwangsweise umgesiedelt – unter ihnen die 250 Familien des Dorfs Keppapilavu.
Ihr eigentliches Dorf liege zwei Kilometer entfernt, sagt Bürgermeister Leonard Messiah, ein zugleich jovial und nachdenklich wirkender Mann im frisch gebügelten hellblauen Hemd. Messiah deutet auf einen Zaun am Horizont; er erzählt von Fischerhütten am Meer; von Gehöften inmitten von Mango- und Cashewnuss-Bäumen; von Kokospalmen, Reisfeldern und Rinderweiden. Alles verloren.
Jetzt ist das Dorf eine Armeebasis. Soldaten ernten das Obst der Bauern, bewirtschaften ihre Reisfelder, melken ihre Kühe. Als Ersatz hat die Armee den tamilischen Bauern und Fischern dieses so genannte Modelldorf gebaut. Ja, die Häuschen seien ordentlich, sagt der Bürgermeister. Es gebe Strom, fließendes Wasser und eine Gesundheitsstation. In den ordentlichen Häuschen des Modelldorfs jedoch lebten die Menschen von Keppapilavu als Bettler.
"Die Umsiedlung hierher hat uns das Leben sehr schwer gemacht. Wir können nicht mehr fischen, weil das Meer zu weit entfernt ist. Und die Soldaten haben die für uns wichtigste Straße gesperrt – aus Sicherheitsgründen angeblich. Zu dem bisschen Ackerland, das sie uns gelassen haben, fahren wir jetzt, statt wie früher einen Kilometer, acht Kilometer weit."
"Eine andere Arbeit gibt es hier nicht. Immer mehr Leute verdienen deshalb ihr Geld, indem sie illegal Schnaps brennen. Die Hälfte des Gewinns geben sie der Polizei – in Form von Geldstrafen. Mir als Bürgermeister macht Sorgen, dass immer mehr junge Leute trinken. Sie sind arbeitslos, haben Langeweile und keine Perspektive. Deshalb trinken sie."
Entwurzelt und desorientiert
Leonard Messiah erzählt von einer entwurzelten und desorientierten Gesellschaft: Singhalesische Soldaten und einheimische Männer besorgen sich Telefonnummern alleinstehender Kriegswitwen, belästigen die Frauen, vergewaltigen sie, schwängern sie. Die missbrauchten Witwen haben keine andere Wahl als zu schweigen – aus Angst vor Rache. Sie verlieren ihren guten Ruf, werden – mitsamt ihrer unehelichen Kinder - zu Aussätzigen im Dorf und büßen für das Unrecht, das ihnen angetan wurde.
Ein Vertriebenencamp in Jaffna, der größten Stadt im Norden Sri Lankas. Nur magere Hunde und eine gebeugt gehende alte Frau sind zu sehen in einer Gasse, gesäumt von Wellblechwänden.
Dahinter Verschläge für je zwei, drei Familien; öffentliche Wasseranschlüsse, öffentliche Toiletten. 32 solcher Vertriebenencamps gibt es bis heute in der Stadt – mit 20.000 Bewohnern. Seit 24 Jahren lebt dort Kirusa Judeson – eine Frau mit dem ungetrübten Blick derer, die sich nicht haben unterkriegen lassen.
Viele Menschen schlagen sich als Hilfsarbeiter auf dem Bau durch, erzählt sie. Manche kaufen Fisch auf dem Markt auf und verkaufen ihn von Hütte zu Hütte. Kirusa selbst handelt mit Getränken; in der Ecke des kleinen Hofs stehen Stapel von Cola-Kästen. "Viel Arbeit", sagt sie. Heute helfen die sechs Enkel und die 15jährige Tochter. Denn die haben schulfrei.
"Unsere politischen Führer haben für heute den "Hathal" ausgerufen – einen Protesttag, an dem niemand arbeitet. Wir protestieren dagegen, dass schon wieder ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet worden ist; und die singhalesischen Behörden tun absolut nichts. Im Gegenteil: Die Soldaten verteilen bei Sport- und Unterhaltungsveranstaltungen Freibier an unsere jungen Männer; und unter der Hand Drogen. So untergraben sie die Moral der Menschen. Ich habe inzwischen schon Angst, wenn ich meine Tochter mit der Motorrikscha zur Schule schicke. Wie kann ich wissen, dass der Fahrer nicht unter Drogen steht."
Sonntagsgottesdienst in der St. Mary‘s-Kathedrale, der größten katholischen Kirche in Jaffna.
Nicht weit entfernt von der Kathedrale hat der tamilische Pater Ravichandran sein Büro, der Referent der Diözese für Soziales. Ja, unter der seit 2015 amtierenden Regierung des Präsidenten Sirisena sei die Angst der Tamilen vor staatlicher Repression zurückgegangen, sagt der stämmig und robust wirkende Priester.
Geblieben sind den Tamilen Schmerz und Demütigung
Tamilische Zeitungen könnten heute nahezu schreiben, was sie wollten – abgesehen von Aufrufen zur Gewalt. Geblieben aber seien den Tamilen chronischer Schmerz und Demütigung – an die Tag für Tag jene protzigen Monumente erinnern, die den Sieg der singhalesischen Armee preisen – dort, wo einst Friedhöfe das Gedenken an tamilische Kämpfer wachhielten. Öffentliche Gedenkfeiern und Rituale für tamilische Kriegsopfer sind verboten.
"Früher hatten die Menschen hier ein Ziel. Sie kämpften als Tamilen für ihre kollektiven Rechte. Der Verlust dieses Ziels hat die Menschen demotiviert und demoralisiert; er hat zu gesellschaftlichem Verfall geführt. Uralte Differenzen zwischen den Kasten, um die sich während des gemeinsamen Kampfes niemand kümmerte, treten wieder zutage; desgleichen die traditionelle Hierarchie in der Familie. Männer schlagen nun wieder häufiger ihre Frauen."
Nüchtern schildert der katholische Priester das Zerbrechen von Familien durch Flucht und Auswanderung, den Kollaps des tamilischen Schulsystems, das früher besser war als das der Singhalesen, das Vordringen von Drogen und Gewaltkriminalität. Frauen hätten inzwischen Angst, durch die Straßen von Jaffna zu gehen; weil ihnen Jugendliche, von Mopeds herab, Ketten vom Hals reißen. Jugendliche, die Geld bräuchten – für Drogen, für das neueste Smartphone.
"Viele junge Leute sind verrückt nach Motorrädern und Autos. Sie leihen sich Geld von Verwandten, die im Ausland leben, verschulden sich bei Kredithaien und können dann oft die Raten nicht bezahlen. Manchmal endet das im Selbstmord. Schlimm ist auch der um sich greifende Statuswettbewerb zwischen Familien. Die eine Familie kauft ein Auto; die andere will mithalten. Die eine Familie veranstaltet ein großes Fest; die andere verschuldet sich, um mit einem mindestens ebenso großen Fest zu protzen."
Konsumbedürfnisse. Ersatz für jene nationalen Ideale, für die die Tamilen jahrzehntelang härteste Entbehrungen auf sich nahmen. Jobs allerdings, die solche Konsumbedürfnisse finanzieren könnte, sind außer Reichweite. Die Regierung hat nach dem Krieg zwar Straßen und Eisenbahnen gebaut, die den Norden mit dem Süden verbinden; sie hat aber kaum Industrie angesiedelt, kaum Arbeitsplätze.
Die neuen Geschäfte, Einkaufszentren und Hotels in der Innenstadt von Jaffna gehören überwiegend Unternehmen aus dem Süden. Ihre singhalesischen Arbeitskräfte haben viele gleich mitgebracht. Die Entwicklung Sri Lankas werde nicht funktionieren, wenn das Volk der Tamilen am Boden liege – sagt auf der Terrasse seiner Residenz Justin Ganapragasam, der katholische Bischof von Jaffna. Dabei brauche das Land Frieden und Versöhnung. Dazu müssten auch die im Krieg begangenen Verbrechen aufgearbeitet werden. Die Verbrechen der singhalesischen Streitkräfte wie die der tamilischen Rebellen.
"Die Menschen warten darauf, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt. Und es verbittert sie, dass dies mit allen möglichen Tricks verhindert wird. Dabei würde ein offener Umgang mit der Wahrheit viele Wunden heilen. So viele Eltern wollen wissen, ob ihr verschwundener Sohn tot ist oder in den Händen der Armee. Das Schicksal der Verschwundenen belastet die Menschen hier am meisten. Und nur, wenn Kommissionen gleich welcher Art die Schuldigen feststellen, werden die Menschen inneren Frieden finden."
Die buddhistischen Singhalesen verteidigen ihre Macht
Der Bischof sieht Anzeichen dafür, dass die Regierung Untersuchungskommissionen mit internationaler Beteiligung einsetzen will – so, wie es auch die Vereinten Nationen fordern. Eine starke singhalesisch-buddhistische Opposition allerdings läuft Sturm gegen jede Untersuchung staatlicher Kriegsverbrechen.
Buddhisten haben den Ruf, überaus friedliche Zeitgenossen zu sein. Im Westen gilt der buddhistische als Mönch in sich ruhende Figur. In Sri Lanka trifft das nur begrenzt zu, weil ethnische und religiöse Identität der buddhistischen Singhalesen unauflösbar miteinander verbunden sind.
Die Singhalesen verstehen sich bis heute als belagerte Minderheit im südindischen Raum. Und viele buddhistische Mönche sehen ihre wichtigste Aufgabe darin, die Verteidigung buddhistisch-singhalesischer Identität und singhalesischer Herrschaft in Sri Lanka ideologisch zu untermauern.
Deshalb gründeten 2012 radikale Mönche die Organisation "Bodu Bala Sena". Sie soll die Macht der buddhistischen Singhalesen mit allen Mitteln verteidigen – gegen die Tamilen, gegen das Vordringen des Christentums und vor allem gegen den auch in Sri Lanka zunehmend militant-missionarisch auftretenden Islam.
Mehrfach haben in den letzten Jahren gewalttätige Mobs Moscheen gestürmt – aufgestachelt von buddhistischen Mönchen. Andere Mönche allerdings verurteilen solche Aufwiegelei als politischen Extremismus – Meegahajandure Sirivimala Thero, etwa, der noch relativ junge leitende Mönch im "Sri Naga Vihara"-Tempel in Jaffna.
"Buddha hat stets Liebe und Frieden gepredigt – nicht Hass und Gewalt. Wie Jesus hat er gesagt: "Du sollst deine Feinde lieben." Und ich bin traurig darüber, dass etliche Mönche hier in Sri Lanka als extremistische Politiker Gewalt zwischen den Volksgruppen schüren. So schaffen sie keinen Frieden, sondern nur Leid unter den Menschen. Diese Mönche, deren Verhalten zu tief greifenden Konflikten in unseren Klöstern geführt hat, sind keine Buddhisten. Sie tun das genaue Gegenteil dessen, was Buddha predigte."
Die alte Königsstadt Kandy, gelegen in den Bergen Zentral-Sri Lankas, ist das Zentrum des singhalesischen Buddhismus. Hier wird in einem Tempel, streng bewacht, ein Zahn aufbewahrt, der der Legende nach Gautama Buddha gehörte. Einige Singhalesen treffen sich regelmäßig in einer kleinen Schule. Auf dem Rasen davor entspinnen sich, unter der milden Nachmittagssonne des Berglands, lebhafte Diskussionen.
Frieden? - Ja, aber nur fernab des heimatlichen Bodens
"Frieden gibt es nur für uns hier im Süden, nicht aber für die Menschen im Norden und Osten. Die haben so viele Angehörige verloren, soviel Land, Schulen und ihre komplette Verwaltung. Sie haben fast nichts mehr. Um tatsächlich Frieden und Versöhnung zu erreichen, müssen wir den Menschen im Norden und Osten helfen, ein Leben wie wir führen zu können. Und wir dürfen nicht nur reden über gleiche Rechte für alle; wir müssen diese Rechte auch allen Bürgern Sri Lankas zugestehen."
Ein älterer Mann, der offenbar hohen Respekt genießt, schüttelt nachdenklich den Kopf.
"Am wichtigsten ist, dass wir die Einstellung der Menschen Sri Lankas zueinander verändern. Während des Kriegs haben die Terroristen Gehirnwäsche betrieben mit den Menschen im Norden; und das gleiche haben die Politiker hier mit uns Singhalesen getan. Sie haben unsere Seelen vergiftet und uns gezwungen, in allen Tamilen Feinde zu sehen. Diese Einstellungen sind bis heute vorhanden. Und ändern können wir sie nur, wenn wir Ältere den jungen Leuten die richtigen Werte vermitteln."
Im Dorf Keppapilavu bei Mullaitivu hat Gastgeberin Mohan Alagárasa schließlich sehr Persönliches erzählt. Nachts, so Mohan, wache sie bisweilen schweißgebadet auf – gepeinigt von in ihr Gedächtnis gebrannten Bildern und Gefühlen: Von Sprengkörpern, die ihren Mann zerfetzten; von panischer Angst um die Kinder inmitten von Granathagel und Maschinengewehrfeuer. Was heißt für Mohan Alagárasa "Frieden"?
"Frieden gibt es für mich erst dann, wenn meine Kinder und ich wieder auf unserem Land leben, im Schatten unserer Bäume, sicher und geborgen in der Gemeinschaft unserer Familie. Ich will wieder Obst von meinen eigenen Bäumen essen und selbst angebautes Gemüse; ich will frische Milch von meinen Kühen trinken. Ich will zurückkehren dorthin, wo meine Wurzeln liegen. Nur dann finde ich Frieden."