Tana French: "Der dunkle Garten"
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2018
656 Seiten, 16,99 Euro
Im Dunkel der Erinnerung
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Mord begangen – und können sich nicht daran erinnern: Die irische Schriftstellerin Tana French zerlegt in ihrem Kriminalroman "Der dunkle Garten" das Selbstbewusstsein eines jungen Mannes.
"Eigentlich habe ich mich immer für ein Glückskind gehalten", behauptet Toby, der selbstzufriedene Marketingleiter einer angesagten Dubliner Kunstgalerie zu Beginn von Tana Frenchs neuen Roman "Der dunkle Garten". Und das stimmt: Seine Freunde sind tolle Kumpels, die Freundin ist einfühlsam und liebevoll, das Geld stimmt, der Chef mag ihn – bis Toby in einer Mischung aus Gutmütigkeit und Erfolgskitzel in der Galerie einen Betrug vertuscht. Kurz darauf schlagen Einbrecher ihm in seiner Wohnung den Schädel ein. Von da an ist er ein Krüppel. Wie nach einem Schlaganfall kann er Füße und Hände nur noch bedingt kontrollieren. Schlimmer noch: Konzentration und Erinnerungsvermögen funktionieren nicht mehr richtig.
Zwischen Wirklichkeit und Trug
Konzentration und Erinnerungsvermögen braucht Toby aber dringender denn je. Er ist zu seinem Onkel Hugo in das Haus seiner Kindheit gezogen, um den an einem Gehirntumor Erkrankten in den letzten Wochen seines Lebens zu unterstützen. Nachdem im hohlen Stamm einer Ulme das Skelett eines ehemaligen Mitschülers gefunden wird, deuten alle Zeichen auf Mord.
In den polizeilichen Vernehmungen, die in ihrem leisen Sadismus John le Carrés besten Verhören gleichkommen, wird der bereits verunsicherte Toby bis ins Mark erschüttert. Außerdem scheinen sein schwuler Cousin Leon und mehr noch seine smarte Cousine Susanna subtil Beweise gegen ihn aufzuhäufen – bis er zuletzt befürchtet, er selbst könne vor zehn Jahren den Klassenrüpel Dominic erwürgt und in die Ulme gestopft haben, ohne sich daran erinnern zu können.
Eine Achterbahnfahrt ins Ungewisse
In "Der dunkle Garten" nimmt Tana French ihre Leser mit auf eine Achterbahnfahrt ins Ungewisse. Eine kleine moralische Verfehlung, verstärkt durch einen Schlag auf den Kopf, genügt, um Tobys Gebäude der Selbstgewissheit zum Einsturz zu bringen. French ist auf den 650 Seiten des Romans manchmal etwas zu detailverliebt, aber das ändert nichts an der Eindringlichkeit ihrer spannenden Erzählung: Gibt es ein Glücksgefühl, das nicht auf Verleugnung der Realität beruht?