Tango und seine jüdischen Wurzeln

Von Jonathan Scheiner |
Unter Tango stellen sich die meisten eng umschlungene Paare im erotischen Wiegeschritt vor. Doch seit das Gotan Project diese Musik mit elektronischen Beats gemischt hat, wird auch auf den Dancefloors der europäischen Clubs Tango getanzt.
Der Name Gotan Project ist ein Wortspiel wie es ganz üblich ist für Argentinien. Umgedreht bedeutet Gotan nämlich nichts anderes als Tango. Die argentinische Nationalmusik wurde vor rund zehn Jahren von drei Männern mit elektronischer Musik und tanzbaren Beats vermischt. Dadurch wurde ein ganz neues Genre geschaffen: der Tango Eléctrico. Diese Musik hat sich bald wie ein Virus über die Tanzflächen in der nördlichen Hemisphäre verbreitet. Vor kurzem ist nun das dritte Album der Band erschienen. Es trägt den simplen Namen Tango 3.0.

Die drei Gründer des Gotan Projects stammen aus ganz unterschiedlichen Himmelsrichtungen. Philippe Cohen Solal lebt in Paris, Eduardo Makaroff in Buenos Aires und Christoph Müller kommt aus der Schweiz. Und doch haben die drei Männer gemeinsame Wurzeln, die sich nicht nur auf die Liebe zum Tango beschränken. Die sefardischen Vorfahren Cohen Solals haben im Mittelalter noch auf Mallorca gelebt und sind dann irgendwann in Frankreich gestrandet. Und Eduardo Makaroffs aschkenasische Großeltern stammen aus Kiew und Odessa. Sie waren wie viele andere jüdische Einwanderer vor Hunger und Pogromen nach Argentinien geflohen. Eduardo Makaroff erzählt, dass es einst sogar die zionistische Idee gab, Israel dort in der fernen Pampa zu gründen. Es habe viele "Gauchos judíos", also jüdische Gauchos, gegeben, die - wie die US-amerikanischen Cowboys - als Kuhhirten gelebt haben.

"Argentinien ist ein Einwanderungsland. Viele Juden aus Osteuropa kamen hierher. Das moderne Argentinien ist das Resultat der italienischen, spanischen, europäischen und jüdischen Immigration. Die jüdische Gemeinde ist sehr bedeutend in Argentinien. Es ist die zweit- oder drittgrößte in der Welt, glaube ich. Der Tango ist sehr jüdisch, das Feeling von Tango ist dem des Klesmer und des jiddischen Liedes sehr ähnlich. In den Anfangszeiten wurde Tango noch mit der Klarinette gespielt und nicht wie heutzutage meist mit dem Bandoneon. Trotzdem gibt es manchmal auch heute noch die Klarinette im Tango. Und auch die Geige haben die osteuropäischen Juden mit in den Tango mitgebracht."

Einer der Studiomusiker auf dem Album ist tatsächlich ein direkter Nachfahre einer dieser Gauchos judíos, nämlich der Pianist Gustavo Beytelmann. Auch Beytelmann lebt in Paris, wohin viele argentinische Intellektuelle während der Militärdiktatur Perons geflohen waren. Dazu zählt auch der Schriftsteller Júlio Cortazar, dessen Roman "La Rayuela" Weltruhm genießt. "Rayuela", das ist eigentlich ein Kinderspiel, das auf deutsch "Himmel und Hölle" heißt oder auch Hickepeter.