Reden, schweigen, zoffen
Ein berührendes Alterswerk ist das neue Stück von Tankred Dorst "Das Blau in der Wand". Ein Paar durchlebt Debatten, Krisen, Höhepunkte und Streitereien − das warmherzige Endspiel mit Anklängen an Beckett und Sartre überzeugt bei den Ruhrfestspielen.
90 Jahre alt ist Tankred Dorst inzwischen. Mit seiner Lebenspartnerin und Mitarbeiterin Ursula Ehler hat er nun ein neues Stück geschrieben. "Das Blau in der Wand" ist wie viele frühere Werke Dorsts eine Parabel auf das Leben, philosophisch, heiter und tiefsinnig.
Eine Frau und ein Mann lernen sich kennen. Sie ist schwanger, der Junge in ihrem Bauch soll Ganymed heißen. Wie der Schönste unter den Sterblichen in der griechischen Mythologie. Von Anfang an ist eine Vertrautheit zwischen ihnen, als ob sie schon immer ein Paar wären. Tankred Dorsts neues Stück folgt den beiden durch ihr gemeinsames Leben: durch ihre Debatten, Krisen, Höhepunkte und Streitereien.
Gleichnisse und Gedichte
Schnell breitet sich ein typisches Dorst-Feeling aus. Zwischen einem philosophischen Gedanken und dem Alltagszoff liegt oft nicht mal ein Atemzug. Der Text schwebt in seiner eigenen Theatersphäre, kurze, pointierte Gleichnisse und Gedichte wechseln mit komödiantischen Elementen und Momenten des Schweigens. Der Mann war ein linker, engagierter Journalist und will nun einen Roman schreiben, die Frau langweilt sich schließlich und fühlt sich vernachlässigt. Als sie den Dialog verweigert, sagt er, Leben sei doch Reden.
Nicht nur in diesem Moment schimmern durch dieses Bühnenpaar die Autoren durch, der 90-jährige Tankred Dorst und seine Mitarbeiterin und Lebenspartnerin Ursula Ehler, für die der ganze Tag aus einem gemeinsamen Dialog besteht. Das Stück ist ein berührendes, kurzes, leuchtendes Alterswerk. Eine Kernfrage ist der Umgang mit Kultur und Tradition. Am Anfang fühlt sich der Mann durch all die Gebäude und Kunstwerke eingezwängt: "Abgenutzt sind unsere alten Kunstwerke, die alten Mauern riechen nach Moder und Verwesung."
Später ändert er seine Meinung. Da blitzt durch ein Loch in der Hauswand etwas Blaues hindurch. Anscheinend ist dahinter ein altes Gemälde verborgen. Er will es frei legen und sich daran erfreuen. Doch der Denkmalschutz lässt das Blau in der Wand wieder abdecken, das Kunstwerk könne Schaden nehmen. So bleibt es eine Ahnung, vor den Lebenden verborgen.
Explosive Frau, introvertierter Mann
Regisseur David Mouchtar-Samorai, der schon oft Stücke von Tankred Dorst inszeniert hat, vertraut dem feinsinnigen Text. Karin Pfammatter ist eine temperamentvolle Schauspielerin, die zu Explosionen neigt, Heikko Deutschmann zeigt einen eher introvertierten Mann. Das passt ausgezeichnet zu Dorsts behutsamem, vielschichtigem Text.
Als dritte Figur hat Mouchtar-Samorai einen "Spielmacher" eingeführt, den Tod in Gestalt eines alten Tänzers. Ralf Harster ist ein dienender, stiller Begleiter, der nur einmal elegante Posen präsentiert, als der Mann eine Lampe auf dem Boden zerschmettert.
In einem der für den Ausstatter Heinz Hauser typischen Bühnenbilder aus beweglichen hellen Gittern vor dunklem Hintergrund läuft ein warmherziges Lebens-Endspiel ab. Ein bisschen erinnert der Abend an Beckett, ein bisschen an Sartre – und ganz viel an Tankred Dorst, diesen wundervollen lebenden Klassiker der Theatermoderne.
Informationen der Ruhrfestspiele zu "Das Blau in der Wand"