Der afrikanische Blick
22:59 Minuten
In der Debatte um die Rückgabe von Kulturgütern aus Afrika kommen die Betroffenen kaum zu Wort. Aber was wollen die Afrikaner? Die Meinungen gehen auseinander – auch in einem einzelnen Land wie Tansania.
Wann habe ich den zum ersten Mal gesehen? Hatari. Ein Film von 1962 mit John Wayne und Hardy Krüger. Eine Geschichte von starken Männern, die sich um schöne Frauen prügeln und Leoparden und Nashörner einfangen, um sie an Zoos in aller Welt zu verkaufen. Eine Hollywoodproduktion mit Afrikaromantik als Welterfolg.
Turkish Airlines hat diesen Film ausgegraben und zeigt ihn jetzt in seinem Bordprogramm, als könnte man sich schon im Flugzeug auf das Abenteuer Tansania einstimmen.
Landeanflug auf Daressalam, zwei Uhr morgens. Praktisch alle Flüge von und nach Tansania starten und landen mitten in der Nacht. Auf den Flugzeugsitzen neben mir viele Weiße, sie sind in der Überzahl. Touristen.
Wenn ich die Bilder heute sehe, ist mir klar, dass die Präsenz dieser Weißen in Afrika auch mit dem Kolonialismus zu tun hat. Und mit Deutschland. Die Farm, die als Filmsetting diente, wurde von einer Deutschen aufgebaut: Margarete Trappe, die 1906 nach Tanganjika kam. Wie es hieß, sei sie gut mit den afrikanischen Einwohnern ausgekommen. Deshalb nannte man Margarete Trappe "Mutter der Massai", was wohl so etwas wie ein Ehrenname sein soll.
Welches Bild bestimmt Europas Blick auf Afrika?
Doch brauchen die Massai eine Mutter, noch dazu eine Weiße? Sind die Afrikaner unmündige Kinder, die von einer weißen Frau beschützt werden?
Das ist ja der Gründungsmythos des Kolonialismus – dass die Afrikaner schwach, unterentwickelt und letztlich minderwertig seien, so dass man ihnen die Wohltaten des Westens nahebringen müsse, ja dass man den "schwarzen Kontinent" mit den Segnungen des Westens überhäufen müsse.
Ich reise nach Daressalam, in der Hoffnung, ein paar Antworten zu bekommen. Ich will zuhören und erfahren, was mit dem geraubten afrikanischen Kulturgut geschehen soll, das immer noch in deutschen Museen schlummert. Bisher hat ja kaum jemand die Afrikaner nach ihrer Meinung gefragt.
Daressalam ist die Wirtschaftsmetropole Ostafrikas, mit viereinhalb Millionen Menschen. Die Stadt ist im Wesentlichen von Deutschen angelegt worden. Sie erkannten als erste – in Konkurrenz mit den Briten – den strategischen Wert dieser Bucht. Deutsch-Ostafrika wurde zur "Perle des Kolonialreichs" ausgerufen. Daran denkt niemand gern.
Auf der Fahrt zum Nationalmuseum. Der Weg führt über einen Strand, vom Aga-Khan-Hospital bis zum Botanischen Garten: Palmen und Sand, eine Frau steht in einer grünen Strömung bis zu den Knien im Wasser, sammelt Muscheln und Meerestiere. Schon früh werden Red Snapper und Schwertfische geangelt. Kaum zu glauben, dass ich mitten in der Stadt bin.
Die Hauptstadt – und das Nationalmuseum
Und dann das Nationalmuseum. Ein Gebäude, das mich überrascht. Es ist hell und leicht, umgeben von Palmen. Eine lichte Tropenarchitektur, fernab aller europäischen Schwerfälligkeit, auch wenn es von einem hohen Eisentor bewacht wird.
Das Museum liegt in der äußersten Ecke des Botanischen Gartens, der von Deutschen angelegt wurde. Auf der anderen Seite zieht sich ein Wohn- und Geschäftsviertel, auf der Straße vor dem Museum tobt das Leben. Es wird um Früchte gefeilscht, es werden Mittagessen für vorbeikommende Geschäftsleute angeboten, Kinder spielen dazwischen, Frauen bieten Gemüse aus riesigen Pfannen an.
Als das Museum öffnet, werde ich erstmal von einer Kanone begrüßt. Ein deutsches Geschütz, es stammt von einem Schiff, das im Ersten Weltkrieg an den Küsten Sansibars patrouillierte und das sogar ein britisches Kriegsschiff versenkt haben soll. Jetzt gehört es offenbar zu den Prunkstücken des Nationalmuseums.
"Die Deutschen haben in Tansania zwei sehr verschiedene Gesichter gezeigt. Das eine Gesicht ist gut, das andere ziemlich übel."
Eine deutsche Kanone ziert das Nationalmuseum
Der Mann, der das sagt, heißt Frank Williams und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Nationalmuseum. Er hockt im weißen Kittel vor dem drei Meter langen Eisenlauf, bewaffnet mit Eimer, Putztüchern und gelben Lappen. Liebevoll poliert er das Rohr.
"Deutsche haben das Land erforscht und viele Entdeckungen gemacht, sie haben die berühmten Dinosaurierskelette von Tendaguru freigelegt und dann nach Berlin gebracht. Dort sind sie jetzt im Museum für Naturkunde. Aber die Deutschen waren auch sehr brutal. Es gab eine ganze Reihe von Kriegen, und die Deutschen waren niemals bereit zu verhandeln. Deshalb waren diese Schlachten auch so gewaltsam."
Eine Gedenktafel enthüllt: Über 300.000 Afrikaner kamen beim Kampf gegen die deutsche Kolonialherrschaft ums Leben, allein im Maji-Maji-Aufstand zwischen 1905 und 1907 waren es 120.000 Menschen. Die Anführer des Aufstands wurden hingerichtet und ihnen wurde der Kopf abgetrennt. Diese Köpfe wurden nach Berlin gebracht, noch immer liegen sie im Keller der Charité.
Das macht Flower Manase richtig wütend. Die junge Frau ist Leiterin der Historischen Abteilung des Nationalmuseums. Ich treffe sie am Eingangstor.
"Es wird jetzt viel über die Rückgabe der Sammlungen afrikanischer Objekte aus europäischen Museen geredet. Aber wie steht es mit der Rückgabe der menschlichen Überreste? Es sind ja viele Afrikaner nach Deutschland verschleppt worden, unter anderem die Söhne von Häuptlingen, die mit rassistischen Methoden vermessen werden sollten. Wo sind ihre Leichen? Auf welchen Friedhöfen liegen sie? Während doch die gefallenen deutschen Soldaten hier in Tansania sehr ordentlich bestattet wurden und auf ihren Soldatenfriedhöfen besucht werden können."
Wie sieht eine Partnerschaft mit Afrika aus?
Flower Manase, kurzes schwarzes Haar, eine coole bunte Bluse, steht für eine neue, selbstbewusste afrikanische Generation: top ausgebildet, leidenschaftlich engagiert, tough, mit klarer, kritischer Haltung.
"Die Diskussion über die Rückgabe afrikanischer Kunstwerke ist wichtig, aber sie ist völlig unausgewogen. Länder wie Deutschland geben immer den Ton an. Doch eigentlich sollte bei der Debatte nicht Europa im Mittelpunkt stehen, sondern Afrika, wir, die Betroffenen, und wie wir mit der Situation umgehen.
Die Afrikaner haben sehr wenig Kontrolle über ihre Projekte, weil die Europäer das Geld haben. Die Deutschen wollen diese sogenannte Partnerschaft mit Afrika. Aber dann sollten sie auch die Afrikaner entscheiden lassen, wie sie das wollen, und nicht versuchen, uns mit Wissenschaftlern aus Europa zu beeinflussen, die ganz andere Ansätze verfolgen als wir."
Manase fordert eine eigenständige afrikanische Forschung, die über bloße Provenienzforschung hinausgeht, wie sie am Humboldtforum als Mantra überall wiederhallt. Nach 150 Jahren Kolonialismus möchte sie keine Vorschriften mehr bekommen, auch nicht von Deutschland.
Doch hat das Museum überhaupt eine Zukunft? "Fuck Museums", ruft ein Mann, der für ein Kulturinstitut arbeitet. Ist das klassische Museum nicht ein europäisches Phänomen des 18. Jahrhunderts? Will Afrika das, braucht es das? Ich treffe einen der profiliertesten Kritiker, den Museumsexperten Germain Loumpé aus Kamerun. Er wirft den Europäern Blauäugigkeit vor – kurz: sie hätten keine Ahnung.
Manase fordert eine eigenständige afrikanische Forschung, die über bloße Provenienzforschung hinausgeht, wie sie am Humboldtforum als Mantra überall wiederhallt. Nach 150 Jahren Kolonialismus möchte sie keine Vorschriften mehr bekommen, auch nicht von Deutschland.
Doch hat das Museum überhaupt eine Zukunft? "Fuck Museums", ruft ein Mann, der für ein Kulturinstitut arbeitet. Ist das klassische Museum nicht ein europäisches Phänomen des 18. Jahrhunderts? Will Afrika das, braucht es das? Ich treffe einen der profiliertesten Kritiker, den Museumsexperten Germain Loumpé aus Kamerun. Er wirft den Europäern Blauäugigkeit vor – kurz: sie hätten keine Ahnung.
"Die Rückgabe der Objekte nach Afrika ist materiell und technisch unmöglich. Man kann das gar nicht zurückschicken. In den deutschen Völkerkundemuseen lagern ungefähr eine Million Objekte. Ich weiß nicht, wie man das alles nach Afrika schicken soll? Wohin? An wessen Adresse? Das ist schlicht unmöglich."
Germain Loumpé ist ein großer, athletischer Mann um die 60. Er trägt einen Buschhut, den er sich mal in Australien gekauft hat. Loumpé beschäftigt sich seit langem mit dem europäisch-afrikanischen Kulturverhältnis. Er ist von allen Seiten angesehen, pendelt zwischen Paris und Afrika.
Museumskultur ist europäisch – nicht afrikanisch!
Sein manchmal ironischer Blick spricht Bände gegenüber dem Zirkus, der jetzt um Afrika veranstaltet wird, wie er meint. Zum Beispiel in der Restitutionsfrage. Bénédicte Savoie, die einflussreiche Gutachterin für Präsident Macron, die sich radikal für eine bedingungslose Rückgabe aller Kulturgüter einsetzt – sie kannte Afrika bis dahin gar nicht. Sie hat für ihre aktuelle Forschung nur ein paar Wochen in Afrika zugebracht. Bis vor kurzem glaubte sie, es gebe dort gar keine bildende afrikanische Kunst, nur Musik.
Germain Loumpé hat schon vier afrikanische Kulturminister beraten. Und er ist skeptisch. In Afrika, meint er, gebe es keine Kulturpolitik. Und noch viel weniger gebe es eine Museumspolitik. Die Museen hätten dort keinen großen Stellenwert.
"Die Mehrzahl der afrikanischen Kunstwerke in Europa sind ethnische Objekte. Afrika ist immer noch eine Stammesgesellschaft. Die afrikanischen Staaten bestehen aus Ethnien, die so etwas wie Mikronationen sind. Sie haben einen Gründungsmythos, eine Identität und eine Geschichte, die mit denen des Nachbarvolkes nicht das Geringste zu tun hat. Trotzdem leben sie in einem übergeordneten Nationalstaat, der das kulturelle Erbe treuhänderisch verwaltet, aber das bringt oft Konflikte mit sich."
Eine Rückgabe der Kulturgüter, wie sie Bénédicte Savoy empfiehlt, könne sogar mehr schaden als nützen. Sie könnte innerstaatliche Streitereien anfachen.
Merkwürdig: Ich hatte erwartet, dass die Afrikaner sich für Macrons Restitutionsentscheidung begeistern würden, dass sie vielleicht sogar Dankbarkeit für seine Initiative zeigten. Doch niemand, den ich in Tansania treffe, bricht in Jubel aus. Niemand hat sie gefragt, ob und unter welchen Umständen sie eine Rückgabe überhaupt wollen. Sie fühlen sich übergangen.
"So this ist the beginning, our history gallery, and this segment here shows the development of tansanian societies..."
Die gesamte historische Abteilung besteht aus ein paar Fotos mit kurzen Erklärungstexten. Ein paar Abbildungen von Häuptlingen, die gegen die deutsche Kolonialmacht rebellierten und hingerichtet wurden. Dann ist man schon bei Julius Nyerere, dem sogenannten Vater der Nation, der das Land 1961 in die Unabhängigkeit führte und jahrzehntelang im Sinn des Sozialismus regierte. Der Fuhrpark der tansanischen Präsidenten wird auf einem Parkplatz ausgestellt.
Kolonialgeschichte als Leerstelle
Doch ein historisches Narrativ ist nicht auszumachen. Kein Museumsbesucher könnte dank der Präsentation im Museum die Geschichte Tansanias verstehen. Eine fünf Meter hohe Giraffe lehnt in einer Ecke, aber die ist aus Holz geschnitzt und Folklore. Zufällig findet in dem Museum gerade ein Event statt, die größte Fashion Show Afrikas. Sonst wäre wohl kaum jemand da.
Doch die Leere in dem Museum hängt auch mit etwas anderem zusammen: mit einer historischen geistigen Leere, mit der Erfahrung des Kolonialismus, erklärt der Journalist und Dozent Charles Kayuka. Jahrelang hat er über Politik und Kultur in Tansania geschrieben, doch die Regierung mochte seine Kritik nicht hören. Lieber ist er zurzeit Dozent an der Universität von Daressalam.
"Der Kolonialismus hat uns unserer Menschlichkeit beraubt. Er hat uns nicht nur versklavt, unterdrückt und gequält. Er hat dazu geführt, dass wir uns selbst nicht mehr vertraut haben, uns selbst nicht mehr als Menschen ansahen. Menschen aus Deutsch-Ostafrika wurden nach Europa verschleppt und in Zirkusshows vorgeführt wie Tiere. Die schlimmste Folge des Kolonialismus war psychologischer Natur. Wir leben weiter so, als seien wir immer noch kolonisiert. Es ist Zeit, unsere gestohlene Identität zu reparieren."
Dazu gehört zweifellos auch eine kulturelle Identität. Doch die Masken und Fetische, die jetzt in europäischen Museen lagern – es würde nichts nützen, diese zurückzugeben, sagt Charles Kayuka, weil diese Stücke für die Afrikaner keinen Wert mehr haben. Sie sind leer, tot, entseelt – sie haben ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, weil sie aus ihrem Kontext gerissen und damit zu sinnentleerten Objekten werden. Denn es waren keine Kunstobjekte, sondern religiös-rituell-magische Objekte. Nur deshalb waren sie damals so wichtig für die afrikanischen Gesellschaften.
Misstrauen gegenüber der Regierung – und den Europäern
"Alles hier gehört zur kolonialen Vergangenheit, in der wir immer noch leben. Wir leben in dieser Geschichte. Die Räume in den Verwaltungsgebäuden der Deutschen werden immer noch benutzt, jetzt sind sie zum Beispiel Regierungsgebäude. Alles ging bruchlos ineinander über, aufgearbeitet wurde die Vergangenheit nie. Das macht mich ärgerlich. Wir müssten jetzt drangehen, unsere Geschichte neu zu schreiben."
Denkbar wäre auch ein Kompromiss, sagt Flower Manase. Die europäischen Museen sollten glasklar anerkennen, dass die geraubten afrikanischen Artefakte den Afrikanern gehören. Andererseits könnten die Gegenstände – zumindest für eine Zeit – weiterhin in Europa bleiben und dort ausgestellt werden.
Für die Mehrheit der Tansanier spielt die Debatte um die Restitution afrikanischer Kunst keine Rolle – in ihrem Alltag. Wenn sie aber gefragt werden, stellt sich heraus: Sie misstrauen den Europäern – so wie sie ihrer eigenen Regierung misstrauen. Denn die hat bisher wenig für den Kulturtransfer getan. Sie interessiert sich mehr für Entwicklungshilfe.
Die Tansanier misstrauen aber auch dem französischen Präsidenten. Was bezweckt er mit seiner Freigiebigkeit? Was will er wirklich? Soll nach 150 Jahren französischem Kolonialismus hier wirklich etwas gutgemacht werden? Oder geht es Macron um etwas ganz anderes: um Frankreichs Wirtschaftsinteressen in Afrika, die durch chinesischen Einfluss zurückgedrängt werden?
Sich um das kümmern, was schon da ist
Der tansanische Staatspräsident und Gründungsvater Nyerere hat einmal gesagt: Ein Volk, das keine Kultur hat, hat auch keine Freiheit. Diese Kultur zu finden, ist nicht einfach, meint der Journalist Charles Kayuka. Und weiter: erstmal müsste man sich um das kümmern, was schon da ist.
"Wir haben hier in Tansania so viele Artefakte, die großen Gefahren ausgesetzt sind. Einige werden vernachlässigt, andere gehen verloren. Wenn Sie durch Daressalam fahren, finden Sie eine Menge traditionelle und religiöse Artefakte, die billig verkauft werden – und die eigentlich hier im Museum sein müssten. Aber wir sammeln diese Dinge nicht. Wir bemerken nicht einmal, wie wichtig diese Dinge sind."
Auf dem Weg zum Flughafen denke ich noch einmal an die letzten Sätze aus der Begegnung mit Flower Manase. Es gibt einen Pragmatismus, den man so in Europa nicht kennt. Den Willen, das Beste aus der Sache zu machen.
So leer das Nationalmuseum auch gegenwärtig ist: Flower Manase hat einen Plan. Ja, es sei schwierig genug, in einem Museum zu arbeiten, das praktisch leer ist, in dem es kaum Geld und keine Forschungsstellen gibt. Doch genau daran will sie anknüpfen. Das Nationalmuseum soll ein Labor werden, ein Ort des Nachdenkens und des Forschens – und gerade deshalb eine Chance für die Zukunft ihres Landes.
"Wenn man in so einem Museum wie dem unserem arbeitet, wo vieles noch nicht getan ist und so vieles zu tun bleibt, ist das eine Riesenchance für unsere junge Generation. 65 Prozent der Tansanier sind unter 25, jetzt ist es an unserer Jugend, an diesen Themen von Kulturerbe und Identität zu arbeiten, die ihre Eltern und Großeltern liegengelassen haben. Und das wird diese Generation mit Leidenschaft tun."