"Tante Marianne" kehrt zurück

Von Jochen Stöckmann · 09.02.2007
Als Vorlage für sein Gemälde "Tante Marianne" diente Richter eine Fotografie aus dem Jahr 1932. Das Bild zeigt Richter als vier Monate altes Kind, seine Tante als 14-jähriges Mädchen. Marianne wurde von den Nazis für geisteskrank erklärt und 1945 von Euthanasie-Ärzten umgebracht. Das 1965 entstandene Gemälde kehrt nun nach Dresden zurück.
Fürs Familienalbum war dieses Bild wohl kaum gedacht: Allzu verwischt, schwarzweiß oder besser: schemenhaft grau malte Gerhard Richter 1965 seine "Tante Marianne". Als Vorlage diente eine Fotografie aus dem Juni 1932, "Gerd vier Monate, Marianne 14 Jahre alt" war auf der Rückseite vermerkt. Es ist also der Maler selbst, der da als Kleinkind im Arm eines hübschen, zerbrechlich wirkenden Mädchens ruht. Das kurzärmelige Sommerkleid betont die Familienidylle.

Damit war es vorbei, als die Geschichte hinter dem schemenhaft "zermalten" Fotomotiv bekannt wurde. Tante Marianne, das schöne Mädchen aus Dresdner Kindertagen, war für geisteskrank erklärt worden und in die Fänge der Nazi-Psychiatrie geraten. 1945 wurde sie von Euthanasie-Ärzten umgebracht.

Was da genau passiert war, recherchierte vor zwei Jahren der Journalist Jürgen Schreiber: Die Zwangssterilisierung hatte 1938 der Chefarzt des Dresdner Stadtkrankenhaus vorgenommen, Professor Heinrich Eufinger, Nationalsozialist und Untersturmführer der SS. Auch ihn hat Gerhard Richter in seiner fotorealistischen Graumalerei porträtiert, in Liebermann-Pose oder beim Urlaub am Ostseestrand. Denn auch Heinrich Eufinger gehörte zur Familie, war Vater von Ema, einer Dresdner Kunststudentin. Als sie ihren Kommilitonen Gerhard Richter heiratete, kam der Professor Eufinger großzügig für die Hochzeit und eine Reise in die Flitterwochen auf.

Von seinem Schwiegervater wusste Richter nur, dass er als Gynäkologe notgedrungen auch die Ehefrauen von Goebbels oder Görings Frauen hatte behandeln müssen – und dass er ebenso gegen seinen Willen in der SS gewesen sei. Mit Schreibers Recherche zerstoben diese Schutzbehauptungen – und das Bild der "Tante Marianne" stand in neuem Licht da, galt plötzlich nicht mehr als ein Richter-Porträt unter anderen, sondern als Historiengemälde, in dem sich deutsche Geschichte herausragend spiegelt. Und als Ausnahmebild erzielte das Gemälde dann auch einen Ausnahmepreis: Fast vier Millionen Dollar zahlte ein taiwanesischer Geschäftsmann – von dem nicht bekannt ist, ob er sich je für die jüngste deutsche Geschichte interessiert hat.