Heiliger Sex nach Shiva und Shakti
Tantra ist eine spirituelle indische Massage- und Atemtechnik. Sie kann viel Energie freisetzen – auch sexuelle. Zwei Trainer versuchen mit dieser Bewegungsmeditation, Paare körperlich und seelisch wieder füreinander zu begeistern.
Ein Tantra-Paarseminar, in dem Sexualität auf Spiritualität trifft oder treffen kann: Zwölf Paare im Alter zwischen 27 und 63 Jahren. Langsam und gleichmäßig bewegen sich alle zu dieser Musik. Gemeinsam, im gleichen Rhythmus. Wie ein Ballett fast. Rechter Fuß nach vorne, zusammen mit dem rechten Arm. Behutsam. Den Fuß zurücknehmen, ebenso den Arm. Dann das Ganze wiederholen mit dem linken Fuß, dem linken Arm. Und so weiter. Ziel dieser halbstündigen Bewegungsmeditation: allmählich vom Denken ins Fühlen zu kommen.
"Der Begriff Tantra ist für viele abschreckend, was durch Unwissenheit natürlich erzeugt ist, diese Ängste. Dass man so denkt, 'Oh Tantra das ist Kamasutra bis hin zu..., da gibt es Gruppensex und Partnertausch.' Damit hat das überhaupt nichts zu tun. Bei uns kommen nur Paare, die den Reichtum ihrer Liebe weiter erforschen wollen, und wo gar kein Interesse daran ist, mit anderen irgendwelche intimen Übungen zu machen. Wo auch keiner sich nackt ausziehen muss", ...
...sagt Monika Entmayr. Die Germanistin und Heilpraktikerin führt seit 25 Jahren Jahrestrainings für Paare durch – gemeinsam mit ihrem Ehemann. Reiner Kaminski, von Beruf Pädagoge. Tantra hat die 60-Jährige bei der Psychologin Margot Anand gelernt. Und die hat es gelernt bei dem indischen Philosophen Bhagwan Shree Raineesh, bekannt als "Osho".
Die Paarbeziehung als spiritueller Weg
Seminarleiter Reiner Kaminiski: "Wir sehen die Paarbeziehung als einen spirituellen Weg. Wir haben uns, ohne es zu wissen, jemanden ausgesucht, mit dem wir durchs Leben gehen können, und der oder die uns immer wieder auf unsere Dinge hinweist, die uns fehlen, die uns bei unserer Entwicklung noch im Weg stehen, uns bewusster zu werden über unser Leben."
Bewusster werden, feinfühliger. Sich selbst und sich als Paar weiter entwickeln. Das sind Ziele der Seminare. Mit Jahrtausende lang erprobten Methoden wie Meditation, Massagen und Atemtechniken, abgeleitet aus dem eher spirituell orientierten indischen Tantra und dem eher gesundheitsorientierten chinesischen Tao. Dazu kommen Erkenntnisse und Methoden aus der modernen Sexualforschung, Psychologie und Paartherapie. All das soll zu Hause weitergeübt werden. Und das soll bewirken, dass die Paare liebevoller miteinander leben und mehr und mehr ihre sexuelle Energie in Verbindung mit ihrer spirituellen Lebensenergie wahrnehmen können.
"Also wir nennen ja unsere Arbeit Liebeskultur. Und Tantra ist ein Aspekt davon", ...
...erklärt Seminarleiterin Monika Entmayr. Der Grundgedanke ist tantrischer Herkunft: nämlich, dass Sexualität die stärkste menschliche Energie ist, die zur Zeugung von Leben, zum Lustgewinn und auch zur spirituellen Entwicklung genutzt werden kann. Letzteres basiert auf einer alten Legende:
"Was übermittelt ist, ist tausende von Jahren alt. Es wird eben erzählt, dass Frau und Mann, Shakti und Shiva, der göttliche Teil, sich jahrelang vorbereiten, um wirklich in sich die Einheit auch zu finden, wo dann die Erleuchtung geschehen ist."
In den Seminaren geht es aber nicht um die große Erleuchtung, sondern eher um kleine Erleuchtungsmomente.
"Viele Paare kommen erst mal mit dem Bedürfnis, überhaupt wieder Körperlichkeit zu erleben. Die kommen gar nicht mit der Absicht, jetzt Spiritualität und Sexualität zu verbinden. Im Grunde entsteht das durch eine Haltung, wenn wir Sexualität nicht mehr als Leistung und Zielsetzung begreifen, sondern in die Wahrnehmung kommen. Es fängt an einem Wochenende zum Beispiel damit an, dass wir Sinneserfahrung vermitteln, dass die Paare die Augen verbunden haben und dann ganz bewusst Klänge hören, Obst schmecken, Berührungen empfinden, was gar nicht so sehr auf Sexualität ausgerichtet ist. Es geht darum, erst mal in den Moment, in die Wachsamkeit zu kommen. Wenn das geübt ist und geschult ist, dann wird das immer weiter getragen, über körperliche Massagen bis eben auch zur Vereinigung, was aber im Zimmer stattfindet."
Den Leistungsdruck aus dem Sexuellen rausnehmen
Und dabei erleben, dass Berührungen nicht mechanisch sein müssen, vielleicht erkennen:
"Das ist jetzt nichts, was abzulehnen ist, nichts Unanständiges, auch noch nicht einmal was Profanes, sondern das ist auch was Heiliges, die Sexualität. Wie alles, was uns als Menschen ausmacht", ...
...sagt Reiner Kaminiski. Wichtig sei auch:
"Dass wir jeden Stress, jede Erwartung, Forderung, Leistungsdruck aus dem Sexuellen rausnehmen. Das heißt zum Beispiel bei der sexuellen Vereinigung, dass es nicht darum geht, irgendein Ziel zu erreichen, sondern ganz im Moment sein. Ich spüre, was jetzt im Moment ist, nicht, was ich in fünf oder zehn Minuten erreichen will. Es geht dabei noch nicht mal um Erregung, sondern wirklich nur um das Wahrnehmen der sexuellen Vereinigung, so wie sie ist. Und es kann auch ohne Bewegung sein, und dann kann es sein, dass es Meditation wird. Dann kann man es als spirituelle Vereinigung sehen, wahrnehmen, praktizieren."
Und vielleicht sogar etwas von der sexuell-spirituellen Lebensenergie von Shiva und Shakti wahrnehmen, sagt Florian, ein 52-jähriger Zahnarzt:
"Ein Gefühl des Einsseins. Das typische Gefühl des Getrenntseins, das löst sich auf, und das ist ein sehr beglückendes Gefühl."
Ein beglückendes Gefühl
Und was bleibt von diesem beglückenden Gefühl, dann wenn man wieder zu Hause ist, dann wenn Konflikte gelöst werden müssen? Ein 62-jähriger Teilnehmer, Elektroingenieur:
"Im Alltag, wenn das Thema Konflikte auftaucht, greifen wir zurück auf die Gesprächskultur, die wir da auch gelernt haben. Die Verwendung von Ich-Botschaften, von Beschreiben der Befindlichkeit, und der andere hört zunächst mal nur zu, ohne Unterbrechungen, ohne Kommentare."
Und was von dem Gelernten kann man im Alltag noch so üben?
"Wir üben die dynamischen Meditationen, die wir gelernt haben, die dazu beitragen, dass der Alltag abgeschüttelt wird, dass wir uns im Hier und Jetzt im Körper selber spüren. Dass der Atem mich energetisch auflädt, und dass sozusagen die Lebensenergie und das Herz nährt."
"Dass wir Sexualität nicht einfach spontan erleben, wenn es gerade so kommt, sondern dass wir uns Zeit nehmen, dass wir dann auch, egal ob Lust da ist oder nicht im Üben der Sexualität beschäftigen. Dass wir dann auch meistens feststellen, Lust kommt dann auch."
"Ich nehme mir mit nach Hause in den Alltag die große Bewusstheit der Begegnung, dieses sich miteinander einen Raum schaffen, sei es zeitlich, aber auch im Zimmer entsprechend das zu gestalten. Und sich anzuschauen, statt irgendwie wegzudriften mit geschlossenen Augen. Die Übungen bringen mehr Zärtlichkeit, mehr Nähe, tiefere Verbindung und eine Form von Ektase, die unabhängig vom Orgasmus ist, die einfach uns im siebten Himmel schweben lässt."