Tanz der Kontinente
Mit einer Zeitspanne von Millionen von Jahren ist das große Verschmelzen und Auseinanderbrechen der Erdplatten der größte aller Naturzyklen. Wie dieser Tanz der Kontinente abläuft, das verstehen Wissenschaftler erst seit etwa 100 Jahren. In seinem Buch "Superkontinent" macht der britische Autor Ted Nield die Geschichte der Erde für geologische Laien verständlich und bietet eine kurzweilige und hochinformative Lektüre.
Ein flämischer Buchhändler kam zum ersten Mal auf die Idee, dass die Kontinente der Erde keine fest gefügten Landmassen sind, sondern sich möglicherweise bewegen. Abraham Ortelius hieß der Mann. Er lebte im 16. Jahrhundert in Antwerpen, verkaufte unter anderem Landkarten, und ihm war aufgefallen, dass die Küsten manch benachbarter Kontinente auf wundersame Weise ineinander passen.
Ob es da so etwas wie eine horizontale Bewegung gegeben hatte? Ob "Erdbeben und Fluten" die Kontinente gegeneinander verschoben? Mit seinen Mutmaßungen lag der Flame gar nicht so verkehrt. Doch es sollte noch Jahrhunderte dauern, bis der große Superzyklus der Natur - das Verschmelzen und Auseinanderbrechen der Kontinente - in seinen Grundzügen verstanden wurde.
In seinem Buch "Superkontinente" lässt der britische Wissenschaftsjournalist und Geologie-Experte Ted Nield sie alle Revue passieren: die Visonäre und Rätselrater, die wagemutigen Entdecker und Hypothesenbildner, die wissenschaftlichen Außenseiter und die mit Preisen geehrten Professoren, die zur Aufklärung der Erdgeschichte beitrugen und bis heute beitragen.
Mitte des 19. Jahrhunderts befasste sich der österreichische Geologe Eduard Suess mit der Entstehung der Alpen und plädierte für die "Kontraktionstheorie": Danach kühlt die Erde ab, ihre Oberfläche "schrumpelt" zu Gebirgen, und Kontinente versinken. Anfang des 20. Jahrhunderts untermauert der deutsche Polarforscher Alfred Wegener seine These von der Kontinentalverschiebung mit zahllosen Erkenntnissen: der Auswirkung der Radioaktivität auf den Wärmehaushalt der Erde, der Entdeckung von Gebirgen tief unten im Meer, Fossilienfunden überall auf der Erde.
Doch seine genaue Beweisführung wurde Wegener als Schwäche ausgelegt. Und er konnte nicht erklären, warum sich die Kontinente bewegen sollten. So blieb der Forscher zu seinen Lebzeiten ungehört. Erst der britische Geologe Arthur Holmes schlug 1930 einen Mechanismus vor, der die Bewegung von Kontinentalplatten erklären könnte: Das heiße, strömende Magma im Erdmantel sorgt dafür.
Nield will unterhalten. Immer wieder beleuchtet er skurrile und amüsante Seitenzweige der Geologie-Geschichte: Madame Helena Petrovna Blavatsky taucht auf, rabiate russische Okkultistin und Weltreisende. Sie fusionierte wissenschaftliche Theorien mit esoterischen Lehren und huldigte einem fiktiven Urkontinent "Lemuria", auf dem Vorformen des Menschen existiert haben sollten.
Die tragische Geschichte von Robert Falcon Scott findet Erwähnung, der den Wettlauf zum Südpol verlor. Auf dem Rückweg, der ihm den Tod bringen sollte, schleppte Scott bis zum Schluss kiloweise Gesteinsproben mit Fossilienabdrücken mit sich. Sie bewiesen, dass die Antarktis einmal zu dem großen, halbtropischen Gondwanaland gehört hatte.
So schnell, wie unsere Fingernägel wachsen, bewegen sich die Erdplatten noch heute voran, erklärt Nield anschaulich: Die afrikanische Platte gleitet Richtung Europa und wird die enge Straße von Gibraltar schließen. In fünf Millionen Jahren wird das Mittelmeer von den Ozeanen der Welt isoliert sein und austrocknen, Gletscher werden die nördliche Hemisphäre überziehen. In einhundert Millionen Jahren wird der Zusammenprall Australiens mit Asiens eine riesige Bergkette emporgehoben haben. In 200 bis 250 Millionen Jahren könnten alle Landmassen der Erde zu einem neuen Superkontinent verschmolzen sein.
Der Wissenschaftsjournalist Ted Nield bewegt sich souverän in seiner Materie. Er zieht Querverbindungen, greift vor, springt zurück, taucht in das Denken früherer Jahrhunderte ein, blickt in hochaktuelle Computerszenarien oder imaginiert, was dem blauen Planeten in Jahrmillionen bevorstehen wird - und das alles auf einer (und im Grunde auf jeder) Seite.
Bisweilen wirkt die überbordende Fülle seines Buches verwirrend, aber nur dann, wenn man eine wohl strukturierte Erörterung des Themas erwartet. Doch dieser Autor plaudert, macht Witze, er philosophiert, wird ernst, spricht über Geologie, über Wissenschaftsgeschichte, über die Kurzsichtigkeit der Industriegesellschaft, über die Finessen der chemischen Analytik. Wer ihm die vielen Gedankensprünge nicht übel nimmt, wird mit einer kurzweiligen und hochinformativen Lektüre belohnt.
Rezensiert von Susanne Billig
Ted Nield: Superkontinent. Das geheime Leben unseres Planeten. Eine abenteuerliche Reise durch die Erdgeschichte
Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Thomas Wollermann
Kunstmann, München 2008
320 Seiten, 19,90 Euro
Ob es da so etwas wie eine horizontale Bewegung gegeben hatte? Ob "Erdbeben und Fluten" die Kontinente gegeneinander verschoben? Mit seinen Mutmaßungen lag der Flame gar nicht so verkehrt. Doch es sollte noch Jahrhunderte dauern, bis der große Superzyklus der Natur - das Verschmelzen und Auseinanderbrechen der Kontinente - in seinen Grundzügen verstanden wurde.
In seinem Buch "Superkontinente" lässt der britische Wissenschaftsjournalist und Geologie-Experte Ted Nield sie alle Revue passieren: die Visonäre und Rätselrater, die wagemutigen Entdecker und Hypothesenbildner, die wissenschaftlichen Außenseiter und die mit Preisen geehrten Professoren, die zur Aufklärung der Erdgeschichte beitrugen und bis heute beitragen.
Mitte des 19. Jahrhunderts befasste sich der österreichische Geologe Eduard Suess mit der Entstehung der Alpen und plädierte für die "Kontraktionstheorie": Danach kühlt die Erde ab, ihre Oberfläche "schrumpelt" zu Gebirgen, und Kontinente versinken. Anfang des 20. Jahrhunderts untermauert der deutsche Polarforscher Alfred Wegener seine These von der Kontinentalverschiebung mit zahllosen Erkenntnissen: der Auswirkung der Radioaktivität auf den Wärmehaushalt der Erde, der Entdeckung von Gebirgen tief unten im Meer, Fossilienfunden überall auf der Erde.
Doch seine genaue Beweisführung wurde Wegener als Schwäche ausgelegt. Und er konnte nicht erklären, warum sich die Kontinente bewegen sollten. So blieb der Forscher zu seinen Lebzeiten ungehört. Erst der britische Geologe Arthur Holmes schlug 1930 einen Mechanismus vor, der die Bewegung von Kontinentalplatten erklären könnte: Das heiße, strömende Magma im Erdmantel sorgt dafür.
Nield will unterhalten. Immer wieder beleuchtet er skurrile und amüsante Seitenzweige der Geologie-Geschichte: Madame Helena Petrovna Blavatsky taucht auf, rabiate russische Okkultistin und Weltreisende. Sie fusionierte wissenschaftliche Theorien mit esoterischen Lehren und huldigte einem fiktiven Urkontinent "Lemuria", auf dem Vorformen des Menschen existiert haben sollten.
Die tragische Geschichte von Robert Falcon Scott findet Erwähnung, der den Wettlauf zum Südpol verlor. Auf dem Rückweg, der ihm den Tod bringen sollte, schleppte Scott bis zum Schluss kiloweise Gesteinsproben mit Fossilienabdrücken mit sich. Sie bewiesen, dass die Antarktis einmal zu dem großen, halbtropischen Gondwanaland gehört hatte.
So schnell, wie unsere Fingernägel wachsen, bewegen sich die Erdplatten noch heute voran, erklärt Nield anschaulich: Die afrikanische Platte gleitet Richtung Europa und wird die enge Straße von Gibraltar schließen. In fünf Millionen Jahren wird das Mittelmeer von den Ozeanen der Welt isoliert sein und austrocknen, Gletscher werden die nördliche Hemisphäre überziehen. In einhundert Millionen Jahren wird der Zusammenprall Australiens mit Asiens eine riesige Bergkette emporgehoben haben. In 200 bis 250 Millionen Jahren könnten alle Landmassen der Erde zu einem neuen Superkontinent verschmolzen sein.
Der Wissenschaftsjournalist Ted Nield bewegt sich souverän in seiner Materie. Er zieht Querverbindungen, greift vor, springt zurück, taucht in das Denken früherer Jahrhunderte ein, blickt in hochaktuelle Computerszenarien oder imaginiert, was dem blauen Planeten in Jahrmillionen bevorstehen wird - und das alles auf einer (und im Grunde auf jeder) Seite.
Bisweilen wirkt die überbordende Fülle seines Buches verwirrend, aber nur dann, wenn man eine wohl strukturierte Erörterung des Themas erwartet. Doch dieser Autor plaudert, macht Witze, er philosophiert, wird ernst, spricht über Geologie, über Wissenschaftsgeschichte, über die Kurzsichtigkeit der Industriegesellschaft, über die Finessen der chemischen Analytik. Wer ihm die vielen Gedankensprünge nicht übel nimmt, wird mit einer kurzweiligen und hochinformativen Lektüre belohnt.
Rezensiert von Susanne Billig
Ted Nield: Superkontinent. Das geheime Leben unseres Planeten. Eine abenteuerliche Reise durch die Erdgeschichte
Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Thomas Wollermann
Kunstmann, München 2008
320 Seiten, 19,90 Euro