Tanz im August: "Medusa Bionic Rise"

Fit für die Selbstoptimierungshölle

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Selbstoptimierung ja, aber mit open source tools: "Medusa Bionic Rise" beim Festival "Tanz im August" © Foto: Nico Schmied
Von Elisabeth Nehring |
Schaurig-schöne neue Körperwelt: Mit "Medusa Bionic Rise" inszeniert die Performancegruppe "The Agency" beim Festival "Tanz im August" in Berlin einen radikalen Fitnesskult, der nach trans-humanistischer Selbstoptimierung strebt.
Die Performancegruppe The Agency inszeniert unter dem Titel "Medusa Bionic Rise" im Keller des Hauses der Berliner Festspiele einen Fitnesskult.
"Es ist Ihr erster Mission Call, let me check, I like your updates – please enjoy." So tönt es von der runden, fensterlosen und ziemlich kellerartigen Unterbühne des Hauses der Berliner Festspiele. Im flackenden Licht und zu wummernden Bässen wird hart gearbeitet: Situps, Crunches, Squads und Pushups, Bodyforming, Posen – den Möglichkeiten der Körpergestaltung und -formung sind hier keine Grenzen gesetzt. Die Performerinnen und Performer stählen ihre bereits wohlgeformten Körper immer weiter. Die Zuschauer sind nach kurzem Eingangscheck durch zwei identisch aussehende Empfangsherren glücklicherweise erst einmal nur dazu eingeladen, zuzuschauen und können sich einen Drink mixen lassen. Denn diese schöne neue Welt ist nicht nur Fitnessstudio, sondern zugleich Bar, Showroom und der Ort einer beginnenden Party.

Es geht um mehr als banale Verschönerung

Und während das Publikum bunte Bubbleteas schlürft, nuckeln die Performer*innen in kurzen Pausen an ihren Wasserflaschen – und gelegentlich auch an Infusionsschläuchen. Welche Substanzen sie sich auf diese Weise zuführen, wird zwar nicht klar – wohl aber, dass es hier nicht nur um die banale Verschönerung des eigenen Körpers geht, sondern um das ganze große Feld der Selbstoptimierung. "Wir haben uns bei der Arbeit angeguckt, welche Felder von Selbstoptimierung gibt es eigentlich? Dann kommt man sehr schnell auf was ganz basales wie Fitness liegt nahe", so Yana Thönnes. Sie gehört zur Performancegruppe The Agency und ist Regisseurin von "Medusa Bionic Rise".
"Und dann gliedert sich das dann immer weiter auf: Neuroenhancement, also alles, was den Geist betrifft: also Microdosing von Hormonen, aber natürlich auch von anderen Substanzen, dann gibt es Schönheits-OPs, und dann gibt es auch Sachen wie Bodyhacking, also, wie greife ich in den Körper ein durch Spritzen, aber vielleicht auch durch Prothesen."

Jugendbewegung, reloaded?

In einem kleinen Nebenraum läuft ein Video im Stil eines Youtube-Tutorials: Eine eigentlich noch junge Dame mit ziemlich vielen falschen Falten unterweist die Zuschauer in Sachen Hautverjüngung. "Ich habe dann im nächsten Schritt einen Wachstumsfaktor hinzugefügt", erläutert sie. "Der sorgt dafür, dass die Stammzellen sich zu verschiedenen Geweben ausdifferenzieren. Das hat ganz gut funktioniert, so dass die A-Skin nun zur Transplantation fähig war." Bei einer anderen Frau wird gerade am Ohr ein kleines Objekt implantiert – auf nicht sehr professionelle Weise – was aber, wie sie lächelnd versichert, ihr nichts ausmachen würde. Denn als Vorreiterin von Körpererweiterungstechnologien, die für die gegenwärtige Generation zwar noch ungewohnt, für alle kommenden aber normal sein werden, nimmt sie dies in Kauf.

Bewegungen werden politisch

Hier, im Keller des Festspielhauses, scheint der Faktor Selbstoptimierung den vermeintlichen Klauen des Neokapitalismus und der Industrie entrissen und in die Hände der zukünftigen neuen Menschen übergeben. "Was wäre eigentlich eine Bewegung, die man dagegen setzen könnte", fragt Regisseurin Yana Thönnes, "also eine politische Bewegung, aber eine mit Untergrundfaktor, die das als open source versteht – Techniken und Tools der Optimierung? Und die eben sagt, wir überlassen das nicht Konzernen, sondern wir teilen das unter uns. Wie sähe das eigentlich aus? – Das ist das Potenzial darin, zu sagen: 'Nee, wir sagen jetzt nicht, wir sind gegen Optimierung, wir ziehen lieber in die Schweizer Berge und ziehen unsere Möhrchen selbst und haben mit dem ganzen Kram nichts zu tun'. Denn ich glaube, so einfach kommt man nicht raus. Und deswegen ist das eher die Flucht nach vorne und sagen, wir nehmen uns das – und versuchen: wie kann man das anders drehen?"

Ironiefrei in die Zukunft

Dass dabei mitunter nicht nur Fitness-, sondern auch Arbeitslagerstimmung ausbricht, gehört wohl zu dieser überdrehten Affirmation von normierten, aber auch technisch erweiterten Körpern "Wir sind ja völlig ironiefrei", betont Yana Thönnes schließlich, "Ich glaube, Ironie ist diesem System so derartig inhärent, dass man damit eigentlich nirgendwohin mehr kommt."

Weitere Vorstellungen: 11. und 12.8., jeweils um 21 Uhr im Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, 10719 Berlin. Informationen unter www.tanzimaugust.de