Tanz ist Tanz

Von Cara Wuchold |
Die Choreografin Gerda König sitzt seit ihrer Kindheit im Rollstuhl. In ihrem Kölner Tanzensemble arbeitet sie mit behinderten und nicht-behinderten Tänzern – und entwickelt eine neue Ästhetik.
Marc Stuhlmann: "Gerda hat eine unglaublich große visuelle Vorstellungskraft. Und einen wunderschönen Blick für das Detail, den kann man sehr gut bei ihr immer noch lernen, und ich mach' diese Mixed-abled-Arbeit einfach so gerne, weil es immer wieder so spannend ist, mit einem Menschen zu arbeiten, dessen Leib so anders ineinander steckt."

Gerda König: "Marc Stuhlmann, seit 1999 im DIN-A-13-Team, ganz enger Mitarbeiter und bei den einzelnen Produktionen oft mit dabei."

Ich treffe Gerda König, von der Probenzeit erschöpft, in einem Leipziger Café am Tag nach der Aufführung eines Stücks aus ihrer "Umbruch" genannten Trilogie. Darin untersucht sie einschneidende gesellschaftliche und emotionale Umwälzungen in Ländern, die im Wandel sind. Jeweils zwei Monate hat sie mit einheimischen Tänzern, Komponisten, Kostümbildnern in Sri Lanka und Venezuela gearbeitet, bald reist sie dafür nach Israel.

König: "Ich bin einfach jemand, der künstlerisch sehr gut arbeiten kann, wenn ich mit vielen Dingen konfrontiert bin, die ich nicht kenne. Um mich davon inspirieren zu lassen. Dieser kulturelle und künstlerische Dialog, der ist mir sehr wichtig."

Mahesh Umagiliya: "Als ich improvisieren sollte, sagte sie zu mir, 'Ich weiß, du hast ein engelhaftes Wesen, aber ich sehe, dass da ein Teufel in dir schlummert. Du musst diesen Teufel rauslassen für dieses Solo.' Ich bin im Krieg geboren, 30 Jahre Krieg, ich hatte also nie ein normales Leben."

Im Gedankenaustausch mit Tänzern wie Mahesh aus Sri Lanka entwickelt Gerda König ihre Stücke. Die 47-Jährige hat Psychologie studiert, wenn auch ohne Diplom, das hat sie dem Tanz geopfert. Aber sie besitzt ein ausgeprägtes Gespür für Menschen, auch für Verborgenes.

"Also ich glaub', meine Stärke ist sehr, Bilder zu kreieren. Kontraste zu schaffen in der Szene, im ganzen Stück, mit Emotionen zu arbeiten, die Tänzer dahin zu führen, dass sie nicht nur ne Bewegung ausführen, sondern dass sie das fühlen, was sie tun."

Umagiliya: "Sie kam drei Jahre nach Kriegsende nach Sri Lanka. Wir waren daran gewöhnt, unsere Teufel und die Wut und das alles zu verstecken. Aber es war genauso stark wie das Gute. Sie bemerkte das und wollte, dass wir alles rauslassen. Ich glaube, während der Probenzeit hat sie uns genau beobachtet und perfekt analysiert. Ja, es ist, als ob ich meine Geschichte erzähle, die ich verborgen hielt."

Gerda König ist mit zwei älteren Geschwistern in Wesseling aufgewachsen. Zum Studium zog sie ins nahe gelegene Köln und gründete dort 1995 – da war sie um die 30 – ihre eigene Kompanie: DIN A 13. Für Tanz interessierte sie sich früh, dachte aber nie daran, selbst anzufangen – bis sie in einem Workshop Alito Alessi traf, amerikanischer Choreograf und Tänzer, Pionier im Bereich Mixed-abled.

"Es gab eine Frau, die sehr stark ne Spastik hatte, ja, die fast im Rollstuhl lag und ihre ganzen Arme und Beine sich permanent bewegten. Und ich weiß noch, dass ich reinkam, und ich dachte, oh, mutig, und gleichzeitig in meinem Kopf war: Hm, wie soll das gehen. Ziemlich am Anfang hatte Alito mit ihr ein kurzes Gespräch, dabei hat sich ihre rechte Hand einfach ständig bewegt, in Kreisbewegungen, und er meinte: 'Oh, nice movement!' Und ich habe hingeguckt und dachte: Stimmt. Irgendwann hat Alito gefragt, ob irgendjemand sich so bewegen könnte wie sie. Und das war einfach ne Frage, die alles umdrehte, was Perfektion ist, was Tanz ist, und was Ästhetik ist."

Stuhlmann: "Bei Gerda zum Beispiel, da sie Bewegungen ohne Muskelkraft, so wenig Muskelkraft wie möglich machen muss, konnte man so viel über Balance von einzelnen Gelenken lernen. Das war sehr aufregend."

Ihr Assistent hilft Gerda König aus dem Kapuzenpulli und schwingt ihren zarten Oberkörper dabei gekonnt zur Seite. Wieder aufgerichtet stützt sie ihren blonden Lockenkopf auf den rechten Arm und erzählt, dass es in Deutschland nur sehr wenige Mixed-abled-Tanzensembles gibt, die keinen pädagogischen, integrativen Ansatz verfolgen. Auch Ausbildungsstätten für Tänzer mit Behinderungen fehlen. Ein Makel, findet Gerda König, aber ihre Pionierarbeit zeigt Fortschritte.

König: "Wir waren in Deutschland somit die Ersten, die angefangen haben, professionell zu arbeiten. Und, wenn ich ne Audition gehalten hab', dann konnte ich froh sein, wenn von den ausgewählten Tänzern, nichtbehinderte Tänzer, vielleicht fünf zur Audition gekommen sind. Weil man damals dachte, hm, was will man denn da, lernt man doch nichts. Wenn ich heute ne Ausschreibung mache, hab’ ich Bewerbungen, 150 Tänzer, die das als Erweiterung ihrer Techniken sehen, die ein großes Interesse daran haben. Und das ist für mich ne richtige Entwicklung."
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