Autorin: Vera Pache
Redaktion: Michael Böddeker
Regie: Stefanie Lazai
Sprecherin: Anne Rathsfeld
Tonmeister: Jan Fraune
Bewegung
Menschen sind die einzigen Wesen, die synchron zu einem Beat wackeln können. © imago images / fStop Images / Jutta Klee
Warum Tanzen so gesund ist
30:20 Minuten
Ob Standardtanz, wildes Umherwackeln oder klassisches Ballett – Tanzen gehört schon immer zum Menschsein dazu. Ohne geht es in keiner Kultur. Aber warum ist die rhythmische Bewegung überhaupt so beliebt – und vor allem auch so gesund?
Samstagabend im Zürcher Kreis 5. Im Winkel zwischen einer Brücke und Bahngleisen liegt der Club Hive. Gegen 23 Uhr bildet sich langsam eine Schlange vor dem Eingang. Wolle und Kai leben in Zürich, Georg ist an diesem Wochenende zu Besuch. Alle gehen regelmäßig aus, um zu feiern und zu tanzen. Sogar während der Coronapandemie.
„Zum Glück hatten wir hier nicht so eine lange Pause wie in Deutschland. Das Hive hatte fast immer offen – so gut, wie es ging. Und das habe ich natürlich auch immer – wenn es ging – genutzt“, sagt Wolle.
„Ich komme aus Deutschland und da gab es die lange Pause. Ich bin extra zum Tanzen in die Schweiz gefahren. Das war irgendwie total ungewöhnlich. Man hatte sich das in Deutschland total entwöhnt. Und hier war das wie vor zwei Jahren. Es war trotzdem seltsam, man hatte das Gefühl, es könnte auch schnell wieder vorbei sein. Und man hat das natürlich auch ausgenutzt“, ergänzt Georg.
An diesem Abend ist von Pandemie überhaupt nichts mehr zu spüren. Die Schlange bewegt sich vorwärts. Im Hive – der Club hat den Slogan: „Dieser Bienenstock ist nachtaktiv“ – legt an diesem Abend unter anderem der DJ und Technomusiker Dominik Eulberg auf.
„Ich bin schon fast jede Woche hier, aber Dominik Eulberg ist explizit jemand, warum ich besonders gerne hingehe. Das sind die natürlichen Klänge gemixt mit guten Beats. Kann man so sagen“, sagt Wolle.
„Als DJ habe ich Tausende von Tracks dabei, die ich spielen kann. Ich versuche das natürlich schon immer up to date zu machen, dass man auch immer die neuesten Tracks hat oder auch Promo-Tracks hat, die die Leute noch gar nicht gehört haben, die man von Kolleg*innen bekommt“; sagt Dominik Eulberg.
Während sich der Club langsam füllt, bereitet sich Dominik Eulberg in einem Hotel um die Ecke auf sein DJ-Set vor. Er selber sagt, er tanze nicht so viel.
„Ich gucke schon gern Leuten zu, weil manche tanzen wie Kinder so ganz frei, das finde ich immer sehr schön. Nur wenn das so zu affektiert ist, dann finde ich das ein bisschen albern.“
Wenn er auflegt, ist er vor allem auf die Musik konzentriert. Schließlich ist er derjenige, der an den Reglern steht und dafür verantwortlich ist, dass sich Menschen auf der Tanzfläche mehr oder weniger kontrolliert zu Beats und Melodien bewegen.
„Es ist immer so ein Spagat zwischen einer künstlerischen Aussage und einer Dienstleistung. Ich will den Leuten schon eine gute Zeit geben, dass sie schon so halbwegs wissen, was sie da erwartet.“
Er sagt, als Künstler beansprucht er aber auch, dass er auflegen kann, was er für gut hält. Und weil er schon so lange im Geschäft ist – seit 30 Jahren – habe er dabei inzwischen eine gewisse Narrenfreiheit.
Musik mit Bezug zur Natur
Er bereitet seinen Auftritt grob vor, legt sich mehrere Ordner zurecht, mit Musikstücken, die für ihn zusammenpassen. Am Ende entsteht sein Set aber erst im Club, je nachdem wie Dominik Eulberg die Stimmung dort wahrnimmt.
„Wenn ich merke, wie ist das Publikum drauf? Das weiß man vorher nie so wirklich genau, manchmal denkt man: Die wollen richtig Gas geben. Aber wenn du dann zu schnell spielst, das finden sie nicht so lustig oder andersherum. Da muss man immer tentativ vorgehen, mit dem Flow gehen. Aber meine Erfahrung ist jetzt gerade so nach der Corona-Pandemie, wo viele Leute lange zu Hause waren, ist es exzessiver geworden, dass die Leute kraftvollere Musik hören wollen, also die mehr die Funktion einer Katharsis für sie haben, etwas Reinigendes, wo sie sich wirklich dran reiben können.“
Dominik Eulberg ist nicht nur Musiker und DJ, sondern er ist auch Biologe. Seine Alben haben immer einen Bezug zur Natur. Das aktuelle Album heißt
Avichrom
. Es hat elf Tracks – jeder Track bezieht sich auf einen Vogel, der eine Farbe in seinem Namen trägt: wie Blaumeise oder Purpurreiher. Er hat außerdem ein Buch geschrieben: „Mikroorgasmen überall“. Darin erzählt er Wissenswertes und Erstaunliches über die Natur vor unserer Haustür – über Feuersalamander, Kraniche oder Biber. Und es gibt auch ein Kapitel über die Wirkung von Musik und Tanz.
„Wir wissen ja heute: Musik ist älter als Sprache.“
Zumindest gibt es verschiedene Indizien, die das nahelegen.
„Wenn ich zum Beispiel spreche, ist nur ein moderner Seitenlappen aktiv, wenn wir Musik machen, ist das Stammhirn aktiv, der älteste Teil des Gehirns. Ich habe eine Stimme und könnte über drei Oktaven Töne von mir geben. Zum Sprechen brauche ich aber gerade mal eine. Schlaganfallpatienten können oft nicht mehr sprechen, aber sie können noch musizieren.“
Tanzen für die Götter
Tanz und Musik gehören zusammen. Wenn man versucht, sich ihren Ursprüngen zu nähern, dann liest man zum Beispiel von steinzeitlichen Höhlenmalereien, Grabinschriften oder mythologischen Darstellungen – in allen Teilen der Welt. Es wurde bereits vor Jahrtausenden für Götter, für Ahnen, für Fruchtbarkeit und Regen getanzt. Geburt, Partnersuche, Krankheit, Tod – viele wichtige Ereignisse im Leben wurden begleitet von Musik und Tanz. In manchen Kulturen ist das bis heute so.
Das Problem ist: Sie sind flüchtig und hinterlassen kaum Spuren.
„Man muss sich im Klaren darüber sein, dass die Ursprünge des menschlichen Tanzens und Singens ja vollkommen im Dunkeln sind. Wir haben einige Artefakte aus der Steinzeit, die darauf hindeuten, dass Menschen vor 30 bis 40.000 Jahren geflötet haben. Und diese Instrumente sind aber technisch schon auf einem hohen Niveau, sodass man davon ausgehen kann, dass die Vorläuferinstrumente noch sehr viel älter sind und die Gesangskultur und vermutlich auch die Tanzkultur sehr, sehr viel älter ist.“
Gunter Kreutz ist Professor am Institut für Musik an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg.
„Das hat uns sozusagen seit Anbeginn der Menschheit begleitet, und wir sehen das ja auch. Es gibt keine Ethnie, die nicht singt, und nicht tanzt. Und das gibt zu denken, warum wir eben tanzen und singende Menschen sind – und ob wir dieselben Wesen wären ohne diese Kulturtechniken.“
Woher kommt die Freude am Bum, Bum, Bum?
„Für mich war Elektronikmusik, Technomusik immer so die archaischste, die natürlichste Form der Musik, obwohl viele Leute immer gesagt haben: Das ist doch totaler Quatsch, das ist total die Ambivalenz hier zur Natur – stimmt nicht.“
Wenn er ein DJ-Set spielt, dann geht es für den Musiker Dominik Eulberg darum, Musik und Menschen in einen Fluss zu bringen.
„Und dieses Sich-Hingeben dem ewigen Fluss des Lebens, ich finde, das können wir bei Technomusik sehr gut. Aber dann habe ich mich gefragt: Warum ist das denn so? Warum? Weil man findet ja auf der ganzen Welt indigene Kulturen, die unabhängig voneinander es toll finden, zu einem monoton Vierviertel-Rhythmus zu tanzen. Einfach nur dieses Bum, Bum, Bum…“
„Warum ist das so? Und das ist für mich ganz klar eine pränatale Konditionierung. Das erste Geräusch, was man hört, ist der Herzschlag der Mutter und es ist auch tatsächlich so, dass unsere Herzrate mit der rezipierten Bpm-Zahl korreliert. Wenn ich jetzt Chillout höre oder so, habe ich eine Herzrate von 60, 70 Schlägen. Vielleicht, wenn ich nachher auflege und Gas gebe, habe ich vielleicht doch einen Puls von 130 also, wie es die Musik auch ist. Da gibt es eine direkte Korrelation.“
Viele beruhigende Musikstücke oder auch Schlaflieder entsprechen dem Tempo von 60 bis 70 Schlägen pro Minute und entsprechen so dem Herzschlag eines Erwachsenen im Ruhezustand.
„Und dann ist mir dann irgendwann bewusst geworden, dass der Mensch das einzige Wesen ist, was sich im Kollektiv zu einem externen Impuls synchronisieren kann. Es gibt zwar auch Kakadus, die können zu so einem Beat wackeln“, sagt Dominik Eulberg.
Es gibt viel geklickte Videos auf Youtube, wo Kakadus zum Beispiel zu einem Song von Elvis Presley mitwippen.
„Aber wenn ich jetzt tausend Kakadus sage: Jetzt mal alle tausend Kakadus gleichzeitig, das können sie nicht. Aber wir können das.“
„Es gibt tatsächlich zwischen den Teilen unseres Gehirns, die für das Gehör verantwortlich sind, und unseren Beinen eine besondere Verbindung. Und das ist so, wenn unsere Ohren einen Reiz wahrnehmen, wie zum Beispiel einen Rhythmus, dann wird dieser Rhythmus durch Nervenimpulse über das Rückenmark über ganz lange Nervenverbindungen tatsächlich direkt in unsere Beine verschifft.“
Julia F. Christensen ist Psychologin und Neurowissenschaftlerin. Sie forscht in Frankfurt am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik zu Tanz. Die Dänin hat außerdem zusammen mit einem Kollegen ein Buch geschrieben. Es trägt den Titel: „Tanzen ist die beste Medizin“. Die langen Nervenbahnen, von denen sie spricht, heißen Ganglien.
„Aber was ganz spannend ist, das vergleichende Forschung stattgefunden hat, wo man versucht hat, festzustellen, ob unsere nächsten Verwandten, also zum Beispiel die Schimpansen, ähnliche Verbindungen zwischen Gehör und großen Muskeln des Körpers haben. Nein ist die Antwort, also diese langen Ganglien, die da diese Verbindung herstellt, scheint es dort nicht zu geben.“
Wir wippen, wenn wir Musik hören
So ist die Vermutung aufgekommen, dass das Tanzen ein Nebenprodukt des aufrechten Gangs sein könnte. Und es könnte auch eine Erklärung dafür sein, warum wir oft mit dem Fuß mit wippen, wenn wir Musik hören.
Die Fähigkeit, einem Rhythmus zu folgen, ist uns übrigens angeboren.
„Da hat man Studien gemacht mit kleinen Babys, kleine Neugeborene, wenige Stunden nach der Geburt. Wenn man mit so ganz kleinen Elektroden vorsichtig die Gehirnströme misst und den Kindern dann Rhythmen vorspielt und zufällige Töne und vielleicht Sprache, dann sieht man, dass die Gehirnwellen dieser Neugeborenen sich synchronisieren mit einem Rhythmus, nicht mit unregelmäßigen Tönen oder mit Sprache, sondern den Rhythmen. Und das machen diese Babys natürlich nicht bewusst.“
Den Babys wurden Musikstücke vorgespielt. Wenn der regelmäßige Takt plötzlich unterbrochen wurde, dann reagierten die Neugeborenen darauf.
„Ja, das ist wirklich ein automatischer Prozess, der da einfach schon genetisch vorgeschrieben ist. Und das ist also die grundlegende Fähigkeit, die wir haben, alle einem Rhythmus zu folgen, wie sehr sich das nachher ausprägt, wie gut jemand einem Rhythmus folgen kann, das ist natürlich individuell auch unterschiedlich.“
"Das muss irgendwie ganz tief verwurzelt sein"
Der Bühneneingang am Opernhaus in Zürich: Lieferanten kommen und gehen, Musik- und Gesprächsfetzen lösen sich auf im Straßenlärm.
„Hallo, mein Name ist Katja Wünsche. Ich bin Balletttänzerin im Opernhaus Zürich. Mittlerweile in der zehnten Spielzeit.“
Katja Wünsche ist erste Solistin im Ballettensemble. In der Pause zwischen den Proben hat sie etwas Zeit, um über das Tanzen zu sprechen. Ob sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht hat, warum wir Menschen eigentlich tanzen?
„Ehrlich gesagt nicht. Aber ich sehe das ja jetzt an meinem Sohn. Der ist jetzt zwei Jahre. Das Ballett, das, was ich tagsüber mache, bringe ich nicht mit nach Hause. Und trotzdem fing er einfach an zu tanzen, zu Hause, einfach so. Also irgendwie muss es im Menschen liegen. Instinktiv hat er das Verlangen – als kleiner Mensch denkt man ja noch nicht so richtig – und fängt an, sich zu bewegen und zu tanzen. Das muss irgendwie ganz tief verwurzelt sein.“
Wenn Tanzen mehr ist als nur ein Job
Katja Wünsche kommt ursprünglich aus Dresden und hat ihre Ballettausbildung in Berlin gemacht. Danach war sie 13 Jahre lang am Ballett in Stuttgart. Gerade probt sie für mehrere Aufführungen in Zürich und für ein Gastspiel in Istanbul. Sie hat viel zu tun.
„Wir arbeiten sechs Tage die Woche, Montag bis Samstag. Regulär fangen wir um 10 Uhr morgens an. Wir haben eine Stunde 15 Minuten Training, das ist obligatorisch. Und danach zwei Stunden Proben, eine Mittagspause. Und dann geht es weiter mit 3 1/2 Stunden bis 18 Uhr. Das ist die offizielle Probenzeit. Und der Probenplan gestaltet sich dann immer je nachdem, abhängig von dem, was geprobt wird, wer was macht, und Samstag geht es bis 13 30 Uhr. Und wenn wir Vorstellung haben, ist der Nachmittag frei.“
Zum Vorstellungsbeginn muss sie dann wieder in der Oper sein. Der Terminplan von Katja Wünsche ist voll und ihr Körper wird ständig herausgefordert. Das Tanzen ist die Arbeit, mit der sie ihr Geld verdient.
„Für mich ist es eigentlich kein Job in dem Sinne. Es ist etwas, was ich wirklich sehr gern mache, was mich ausfüllt, was mir Spaß macht, was womit ich anderen Leuten eine Freude bereiten kann, was mich auch in Form hält. Also ja, da kommen viele Faktoren zusammen. Es macht mir einfach auch viel Spaß, das ist das Wichtigste.“
Die Ballerina findet, dass ihr Beruf manchmal ganz schön stressig ist. Aber sie sagt auch, dass sie da mit der Zeit hineingewachsen sei.
„Ich würde sagen, eigentlich überwiegt das Positive. Die Bewegung, und die Hormone, die dabei ausgeschüttet werden.“
Zum Beispiel nach der längeren Sommerpause, wenn neue Proben beginnen.
„Wo ich auch gefordert bin, wo ich an meine Grenzen komme und dann merk ich es, dass mir das guttut und dass meine Stimmung steigt und ich irgendwie anscheinend mehr Energie habe. Das gilt dann natürlich nur für eine bestimmte Zeit. Wenn das Pensum konstant hoch ist, dann ist man irgendwann auch wirklich kaputt und müde am Ende des Tages aber, so der erste Effekt, ist eigentlich so, dass ich mich wirklich irgendwie lebendiger fühle.“
Wie funktioniert Tanzen im Körper?
„Ich habe noch extra ein Gehirn mitgebracht. Das ist in meiner pinken Tüte drin.“
Die Neurowissenschaftlerin Julia Christensen hält ein Plastikgehirn in den Händen, das sich in seine einzelnen Teile zerlegen lässt. Zunächst in zwei Hälften entlang des Scheitels. Und dann in weitere Einzelteile.
„Da kann man ganz fein veranschaulichen: Viele Leute denken nämlich, im Gehirn gibt es ein Tanzzentrum. Aber das Tanzzentrum ist ja bekanntlich die Straße runter, nicht im Gehirn, sondern das ist irgendwie etwas, was der Populärglaube halt so denkt, dass da irgendetwas bestimmtes ist in unserem Gehirn, was ´Tanzen` macht. Aber eigentlich benutzen wir für das Tanzen ganz viele Funktionen, die wir eigentlich in unserem Alltag brauchen. Damit können wir sie durch das Tanzen auch stimulieren und trainieren. Deshalb ist das auch so gut für uns.“
Ähnlich wie die Profitänzerin Katja Wünsche, berichten auch Hobbytänzer*innen, dass sie sich nach dem Tanzen fröhlich und voller Energie fühlen. Gleichzeitig spüren sie eine Entspannung. Wissenschaftler*innen führen die stimmungsaufhellende Wirkung auf die sogenannten Glückshormone, wie etwa Endorphine oder Dopamin zurück. Gleichzeitig sinkt der Spiegel des Stresshormons Kortisol.
Und nicht nur das. Die Liste der positiven Effekte ist noch viel länger: Beim Tanzen bewegen wir uns – je nach Tanzstil kann das durchaus mit einem sportlichen Work-out verglichen werden, was Ausdauer und Beweglichkeit fördert. Regelmäßiges Tanzen kann dafür sorgen, dass das Herz leistungsfähiger wird, es sorgt für eine gute Durchblutung und es kann sogar den Blutdruck senken.
Und selbst, wenn wir anderen Menschen beim Tanzen zuschauen, hat das eine Wirkung auf uns. Als Kind hat Julia Christensen selber diese Erfahrung gemacht.
„Wenn ich traurig war, habe ich getanzt.“
Als Kind ist sie mehrmals umgezogen – auch in andere Länder, war immer wieder die Neue und wurde von anderen Kindern ausgeschlossen und gemobbt.
„Dieses Mobbing war schrecklich, also Außenseiter sein und so weiter. Und ich weiß noch, einmal ich habe getanzt, weil ich traurig war. Und das haben meine Klassenkameraden gesehen und danach war ich deren Freund oder Freundin also.“
Irgendetwas hat die anderen berührt, als sie das tanzende Mädchen gesehen haben.
„Heute als Neurowissenschaftlerin weiß ich auch, dass das da bestimmte Gefühlssysteme im Gehirn einfach angesprochen werden, wenn wir Tanzen sehen, was uns berührt, und das verbindet uns mit uns selber und dann mit der Person, die uns gerade was vorgetanzt.“
Besondere Momente beim Tanzen
„Mir ist mir das eigentlich immer bewusst, dass da jemand vorne sitzt und mir zuschaut.“
Die Balletttänzerin Katja Wünsche sagt, dass es Momente auf der Bühne gibt, wo sie eine ganz besondere Verbindung zum Publikum spürt.
„Das hilft dann auch, das trägt mich auch ein bisschen. Das klingt jetzt ziemlich egoistisch, aber das ist es ja, warum ich das mache: dass Leute mir zuschauen. Aber die Spannung, die dabei entsteht, das finde ich, das spürt man auf der Bühne oder die Entspannung, die das Publikum genießt. Dieses Verhältnis, was dann zwischen dem Tänzer mir und dem Publikum entsteht. Das finde ich dann ein schönes Gefühl, ein schöner Moment. Das spüre ich dann immer besonders in ruhigen Momenten, wenn ich allein auf der Bühne bin, wahrscheinlich am meisten.
Wenn wir uns als Paar oder in der Gruppe gleichzeitig oder sogar synchron bewegen, dann passiert im Gehirn etwas, das sich Co-Repräsentation nennt, erklärt die Neurowissenschaftlerin Julia Christensen. Sie vergleicht die Bewegungen der Tanzenden mit verschiedenen Filmen, die gleichzeitig ablaufen.
„Das ist ganz einfach gesagt einfach ein Film, der abläuft, der meine Bewegung darstellt und ein Film, der abläuft, und ihre Bewegung abspielt. Wenn wir aber synchron uns bewegen, denn fügen sich die beiden Filme übereinander, und das Gehirn wird ein bisschen verwirrt.
Jetzt ist die Wahrnehmung von mir und ihnen ein bisschen verwirrt. Und wir denken, wir sind Teil voneinander. Und da hat man eben auch durch Studien feststellen können, dass Menschen, die sich so synchron gemeinsam bewegt haben. Die mögen sich hinterher mehr, und sie können sogar besser Probleme miteinander zusammen lösen. Man sollte miteinander tanzen!“
„Viel Spaß heute Abend. Aber jetzt wollen wir vielleicht mal in die heiligen Hallen kommen“, sagt Tanzlehrer Urs Glänzel
Mittwochabends in der Tanzschule „La danse“ in Konstanz.
„Ich würde sagen, wir starten mit was Gemütlichem.“
Der Tanzlehrer Urs Glänzel schickt seine Schülerinnen und Schüler zum Eintanzen aufs Parkett. Später stehen Sambaschritte auf dem Programm.
Bei manchen läuft es direkt gut, bei anderen muss Urs Glänzel noch einmal kurz zeigen, wie die Schrittfolge mit anschließender Drehung funktioniert.
Nach der Tanzstunde sitzt Teilnehmerin Gisela noch mit einem Getränk auf der Terrasse. Sie erzählt, dass sie und ihr Mann vor ungefähr 25 Jahren mit dem Tanzen angefangen haben.
„Wir waren im Urlaub auf den Kanaren, und da gab es abends immer Events und auch Tanz. Und dann hat uns ein Ehepaar aufgefordert, der Herr mich und die Dame, meinen Mann und wir haben das nicht so richtig gekonnt, die einzelnen Figuren. Und dann hat mein Mann gemeint, jetzt müssen wir auch einen Tanzkurs besuchen, damit wir da mithalten können.“
Und sie sind bis heute dabeigeblieben.
„Wir sind jetzt in den letzten Jahren hauptsächlich dabei, um auch unser Gehirn zu trainieren, um Abläufe kennenzulernen. Und dass sie sich auch verfestigen, automatisieren, dass man neue Abläufe wieder dazulernt.“
„Die beste Alzheimervorbeugung“
Auch ein zweites Paar, Susanne und Hermann, tanzt hier bereits seit 26 Jahren.
„Wir sind eigentlich eher von der klassischen Musik her geprägt, aber da macht uns auch die Musik Spaß und das dazu Tanzen, die Gemeinschaft und einfach in Bewegung zu bleiben“, sagt Susanne.
„Zu zweit einen Flow erleben. Wo hat man schon ein gemeinsames Flow-Erlebnis? Das ist sonst selten! Ist doch wahr“, ergänzt Hermann.
Heute sind sie Rentner. Als sie damals angefangen haben zu tanzen, waren alle noch berufstätig.
„Als wir noch gearbeitet haben, war nach dem Tanzen der ganze alltägliche Stress weg. Wir haben wirklich den Stress weggetanzt. Und jetzt als Ruheständler haben wir nicht mehr so viel Stress.
„Ach doch jetzt schon auch noch manchmal. Es macht schon den Kopf frei“, meint Susanne.
„Wenn man irgendwelche störenden Gedanken hat, beim Tanzen müssen die verschwinden, sonst klappt es nicht. Und dann ist es natürlich – das brauchen wir noch nicht – aber es ist die beste Alzheimervorbeugung. Weil das eine der Tätigkeiten ist, bei denen man ganz viele verschiedene Gehirnregionen gleichzeitig beansprucht. Das Gehör, man muss sehen. Man muss Gedächtnis haben. Man muss Bewegungsgedächtnis haben. Man muss noch harmonieren. Und dann der Mann muss noch im Blick haben, wer tanzt drumherum, dass er die Frau nicht irgendwohin bumpert“, ergänzt Hermann.
Fitnessübung gegen Demenz
Eine Studie aus dem Jahr 2017 legt etwa nahe, dass Tanzen besser gegen altersbedingte Demenz hilft, als andere Fitnessübungen. Für die Studie wurden zwei Gruppen von Menschen verglichen. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden lag bei etwa 68 Jahren. Über einen Zeitraum von 18 Monaten hatte die eine Gruppe einmal pro Woche Tanzkurs, die andere Gruppe machte normale Fitnessübungen.
Bei beiden Gruppen wurden Verbesserungen in den Hirnstrukturen festgestellt, aber die Tänzer*innen schnitten noch besser ab, vor allem auch in Bezug aufs Gleichgewicht. Die Studie legt nahe, dass Tanzen den typischen Alterserscheinungen – sowohl physischen als auch mentalen – besonders gut entgegenwirkt.
„Manchmal streiten wir uns schon auch. Wenn er sagt, das war jetzt falsch. Und ich sage, das warst Du, der den Fehler gemacht hat. Dann braucht man den Tanzlehrer als Schiedsrichter“, sagt Susanne.
Abgesehen von kleineren Streitigkeiten auf der Tanzfläche lässt sich sagen: Tanzen tut gut, tanzen hebt die Stimmung und es hält fit. Tanzen kann auch verbinden, erklärt Gunter Kreutz, der Professor für systematische Musikwissenschaften.
„Und die Mutmaßung gehen jetzt in der Forschung doch in die Richtung, dass man sagt, es gibt starke Argumente dafür anzunehmen, dass diese Kulturtechniken für das zwischenmenschliche Bindungsverhalten ganz maßgeblich sind. Das geht bei der Mutter-Kind-Bindung los. Und den wiegenden Bewegungen mit dem Kind.“
Die Frage, die sich stellt, wenn Tanzen doch so positive Auswirkungen hat, unter anderem auch für die zwischenmenschlichen Bindungen. Warum wird dann nicht mehr in unserer Gesellschaft getanzt? Warum gibt es so viele Tanzmuffel, die von sich behaupten, sie könnten nicht tanzen? Und warum wird es nicht viel mehr in Lehrplänen berücksichtigt? Für Gunter Kreutz ist das ein entscheidender Punkt, der seiner Meinung nach vernachlässigt wird.
„Die Ämter für Soziales behandeln es doch sehr stiefmütterlich und setzen mehr so auf die kognitiven und motorischen Fähigkeiten der Kleinen, vergessen aber, dass Singen und Tanzen zu Entwicklungen viele wichtige Dinge beitragen können.“
In der Kita wird gesungen – oder auch nicht
Wer denkt, dass alle Kinder im Kindergarten automatisch singen und tanzen, wird vom Musikwissenschaftler eines Besseren belehrt.
„Wenn ich den Satz höre, im Kindergarten wird ja getanzt und gesungen. Da stellen sich mir die Nackenhaare hoch. Es wird eben nicht gesungen. Das stellt man sich so vor, das ist unser Stereotyp, darum muss man sich nicht kümmern. Das ist so der Selbstläufer. Und weit gefehlt. Die Erzieherinnen, Erzieher – da gibt's Studien zu – sagen zu 100 Prozent: ‚Die Kinder singen gerne.‘ Wenn sie dann gefragt werden: ‚Ja, singen sie mit den Kindern?‘ ‚Nö, wir sind dafür nicht ausgebildet. Wir können das nicht.’“
Das Problem liege schon in der Ausbildung der Erzieher und Erzieherinnen, sagt er.
„Die Ausbildung gibt auch keinerlei Anhaltspunkte, dass die sich mit Kinderstimme, mit kindlicher Bewegung, mit Synchronisation und der Bedeutung von diesen Dingen für die Kindesentwicklung befassen. Obwohl es sehr gute Studien gibt, die nahe legen, dass das eigentlich für die Entwicklung ganz toll ist, für die Integration auch nebenbei der Kinder, weil sie da gemeinsam agieren – sich gut wahrnehmen können, das bedeutet auch, dass man Dinge gemeinsam tut.“
In den meisten Bundesländern sei grundständige musikalische Bildung der Erzieherinnen und Erzieher nicht vorgesehen. Und das, obwohl Tanzen und Singen so viele positive Effekte hat – auf Einzelne, aber auch auf das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe.
„Ich würde nie sagen: Das ist ein Heilmittel oder: Mach dieses oder jenes, dann wirst du froh und glücklich und uralt. Sondern man kann diese Dinge annehmen als Bausteine, als Elemente einer Lebensführung, die einen durchs Leben gut begleiten und auf die man immer wieder zurückgreifen kann, die einem wirklich Spaß machen und relativ wenig Ressourcen kosten. Aber dazu braucht es eben auch die Angebote.
Und es braucht die Bereitschaft dafür, auch in die Bildung zu investieren, dass die kulturelle Bildung nicht vor lauter Informatik und vielleicht auch noch Chinesisch im Kindergarten vollkommen ins Hintertreffen gerät. Der Druck ist sehr stark, von den Mint-Fächern, von den Philologen, Sprachen und Naturwissenschaften früh zu vermitteln. Bin ich auch gut dabei. Aber auf dem Altar dann die Kunst zu opfern. Und die Kulturtechniken halte ich für den falschen Weg.“
Auch in der Forschung gibt es Lücken
„Die Tanzforschung zum Beispiel, was das Gehirn und unsere Gesundheit angehen, steht wirklich noch am Anfang. Also weil es gibt so viele Tanzstile. Und wir wissen gar nicht, was die alle für uns tun. Einige können vielleicht einiges besser oder weniger gut für uns machen in unserem Leben und für verschiedene Aspekte unseres Lebens.“
Nicht nur in Lehrplänen wird das Tanzen vernachlässigt, in der Forschung gebe es ebenfalls noch große Lücken, sagt auch die Neurowissenschaftlerin Julia Christensen. Weil beim Tanzen so viele Bereiche gleichzeitig stimuliert werden: Werden die Glückshormone ausgeschüttet, weil wir Musik hören oder weil wir uns bewegen, oder weil wir etwas in der Gemeinschaft tun, oder weil wir beim Tanzen sogar körperlichen Kontakt zu anderen haben? Es ist schwierig, genau zu sagen, was an welcher Stelle wirkt. Fest steht allerdings, dass unser Gehirn evolutionär auf Bewegung ausgelegt ist. Nicht auf stundenlanges Sitzen.
„Alles, was man durch Bewegung gelernt hat, verfestigt sich auch viel besser. Ich muss sagen, ich weiß, wovon ich spreche. Ich spreche sieben Sprachen, und ich habe kein einziges Mal eine Vokabelliste gelernt. Ich habe die Sprachen durch Interaktion mit Menschen in der Sprache gelernt.“
Auch die Neurowissenschaftlerin findet, dass wir uns als Gesellschaft überlegen sollten, ob unsere Schul- und Lernsysteme so optimal sind.
„Das Gehirn will durch Bewegung lernen. Und wenn man das ein bisschen umstellen könnte und im Schulalltag auch das Tanzen besser oder einfach die Bewegungslehre also über das Gehirn, wie unser Gehirn lernt, am besten einbringen könnte. Ich glaube, da wäre vielen geholfen.“
Wer nicht darauf warten will, bis das Tanzen in unserer Gesellschaft einen höheren Stellenwert bekommt, der oder die sollte sich einfach einen Ruck geben und sich zu Musik bewegen. Ob im Tanzkurs, in der eigenen Küche, beim Ballett oder im Club.
„So elektronische Musik finde ich auch super, da ist man so für sich, das ist richtig Erholung, das mag ich sehr“, sagt Katja Wünsche.
Denn auch wenn die Wirkung von Tanz noch nicht bis ins letzte Detail erforscht ist – am Ende ist es vielleicht auch einfach das eigene Gefühl, das die Bestätigung für die positiven Effekte liefert.
Im Zürcher Club Hive summt und wummert es inzwischen.
„Auf jeden Fall ist Tanzen ein Ort der Zuflucht, wo man sich vom Alltag abschütteln kann, da freue ich mich drauf. Das ist die Kultur, wo man eintauchen kann – ohne belästigt zu werden, in die Musik eintauchen. Das ist für mich Tanzen.“ / „Man fühlt sich schwerelos, man vergisst die Zeit, man kann den Kopf abschalten und es sind coole Leute hier, die Stimmung ist sehr gut“, erzählen ein Clubbesucher und eine Clubbesucherin.
Auf verschiedenen Ebenen sind die Tanzflächen gefüllt. Gegen zwei Uhr gibt es einen Wechsel am DJ-Pult und dann nimmt Dominik Eulberg die Feiernden mit auf seinen Flow durch die Nacht.