Tanzen gegen Demenz

Fröhlichkeit zum Mitnehmen

06:52 Minuten
In einem großen Raum ist eine Gruppe älterere Menschen. Sie tanzen.
Die "resonare"-Gruppe beim Boogie-Woogie-Tanzen in der Komischen Oper Berlin. © Sabine Lerche
Von Sabine Lerche |
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In Deutschland sind 1,8 Millionen Menschen von einer Demenz betroffen. Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis sind aber oft noch präsent. Tanzangebote für Menschen mit und ohne Demenz nutzen das, um positive gedankliche Räume zu ermöglichen.
Das Kolpinghaus in Kleve ist voll an diesem Nachmittag. 84 Menschen mit und ohne Demenz haben sich zum Tanz in den Mai angemeldet. Viele der Betroffenen sind mit Rollator und Rollstuhl gekommen, begleitet von Ehrenamtlichen und von Angehörigen. Es gibt Erdbeerkuchen und Kaffee, es ist gemütlich, aber die Blicke mancher Anwesenden gehen ins Leere, andere sitzen zusammengesunken auf den Stühlen. Sobald aber die Musik beginnt, blitzt Lebensfreude auf.
„Auf jeden Fall lebensfroh", sagt Christoph Baumsteiger. Der Facharzt für Neurologie begleitet die jährliche Tanzveranstaltung in Kleve. In diesem Jahr findet sie zum zehnten Mal statt. "Und auf jeden Fall sehen wir, dass Menschen, die mit Rechnen und Bezahlen schon große Probleme haben oder nicht Auto fahren können, aber auf der Tanzfläche aufblühen, ganz tolle Tanzschritte hinlegen und da also in ihrem Element sind, weil dieses Gedächtnis für Bewegungsabläufe und Musik, das ist also noch sehr, sehr gut intakt“.

Das gemeinsame Tanzen verbindet 

Fast alle singen oder klatschen, ab dem dritten Lied ist die Tanzfläche voll. Es wird Disco Fox getanzt oder sich einfach an den Händen gehalten. Und auch die Rollstuhlfahrer sind mittendrin, werden durch die Tanzenden geschoben, drehen sich im Kreis.  „Wenn man mit ihnen tanzt, also ich bin noch ein bisschen aus der Puste. 90 und 80 hatte ich jetzt gerade zwei Herren, und die hatten so eine Freude.“ Kirsten Lommen ist Sozialpädagogin und organisiert die Veranstaltung. „Also, ich würde auf jeden Fall sagen, dass das Tanzen die Menschen gemeinsam mehr auf Augenhöhe bringt, weil das, was Verbindendes ist. Und dann gerät diese Unfähigkeit in anderen Lebensabschnitten in den Hintergrund.“
Das tue den Erkrankten, aber auch den Angehörigen gut. Für einen Nachmittag sind alle in der Realität, machen mit, sind dabei. Mit Musik aus den 50er bis 70er Jahren holt das Herren-Duo „Die zwei Zylinder“ die Menschen in ihrer Jugendzeit ab. Das weckt Erinnerungen. Das Tanzen an sich habe im Vergleich zu anderen Sportarten auch die größten positiven Effekte auf Gedächtnisstörungen, weiß Facharzt Baumsteiger aus einer Studie der Stanford University.

Kommunikation und Körpersprache

Tanzen ist aber auch Kommunikation und Körpersprache, sagt Stefan Kleinstück: „Den Menschen fehlen die Worte, sie können sich nicht mehr ausdrücken. Und die Musik ist ja praktisch so das Medium, was ganz wichtig ist, was die Leute in Schwingung bringt und eher in die Erinnerungswelt reinbringt. Und dann gibt es im Grunde genommen diese non-verbale Kommunikation, die ich beim Paartanz habe. Das ist eine Kommunikation, die nicht mit Worten stattfindet.“
Stefan Kleinstück ist selbst seit fast 30 Jahren Hobbytänzer. Er hat die Initiative „Wir tanzen wieder – Tanzen für Menschen mit und ohne Demenz“ gegründet. Sein Konzept hat er deutschlandweit in Sportvereine, in Tanzschulen, Netzwerke und auch in Kliniken für Demenzkranke getragen. Tanzen könne ganz niederschwellig, ohne großen Aufwand viel bewirken, erklärt Kleinstück.
Man brauche nur einen Raum, Musik und jemanden, der wie er zum Tanzen einlädt. Auch die Organisatoren des Tanznachmittags in Kleve würden gerne mehr Angebote umsetzen – wie so oft fehlt es aber an Ehrenamtlichen.

Wenig Aufwand, großer Nutzen 

In der Komischen Oper in Berlin wird im Kreis Boogie Woogie getanzt. Die Gruppe besteht auch hier aus Demenzbetroffenen und ihren Begleitern. Sie kommen jede Woche zu Resonare, dem Musikprojekt für Menschen mit Demenz und deren Angehörige. Projektkoordinatorin Anouk Kopps leitet die Gruppe.
„Im Laufe der Gruppen merkt man, wie die Musik und das Zusammensein und das Tanzen und sich bewegen, irgendwie einfach guttut und die Menschen wacher werden, die Augen lebendiger werden und irgendwie leuchtender und auf einmal Erinnerungen hochkommen oder so kleine Wortfetzen oder kleine Sätze, die dann irgendwie kommen.“
Das Projekt gibt es seit 2019, mittlerweile sind es fast 50 Paare, die aufgeteilt in drei Gruppen einmal in der Woche zum Singen und Tanzen zusammenkommen.

Erkrankung tritt in den Hintergrund

Ein Paar ist Christine mit ihrer an Demenz erkrankten Mutter Christine. Sie findet die Resonare-Gruppe ganz wunderbar: „Eine wunderschöne Sache. Vor allen Dingen ist aber nicht schlimm, wenn man mal nicht so gut drauf ist, dann wird man aufgefangen. Und das ist wirklich wohltuend. Ja, alle sind ganz lieb.“ Ihre Tochter ergänzt: „Ich finde immer schön, wenn man in die strahlenden Augen der anderen schaut, die auch Spaß dran haben. Und dann ist eben auch alles irgendwie verflogen, dann ist wurscht, was im Kopf ist oder nicht ist, sondern wir bewegen uns und haben einfach Freude“.
Die Stunde wird am Klavier begleitet, die dicke Liedermappe enthält Kinderlieder, Oldies und Schlager. Zu vielen Liedern werden Bewegungen gemacht. Auch wenn manche Teilnehmer schwere demenzielle Einschränkungen haben, nach einiger Zeit spiegeln sie die Bewegungen, kommen für kurze Momente in der Gruppe an. Teilnehmer Eberhard springt immer wieder auf, um leidenschaftlich zu dirigieren.
„Hmm, ja, da habe ich gedacht, wunderbar. Wunderbar! Und das ist richtig gewesen, also das macht er auch sehr gut“, erklärt seine Ehefrau Claudia. „Ja, wenn Musik ist, dann kommt er so in Bewegungslaune. Er hat ja auch gern früher getanzt.“
Resonare wird von der Manfred Strohscheer Stiftung gefördert und wissenschaftlich von der Berliner Charité begleitet. Für die teilnehmenden Paare sind die Stunden kostenlos und ein fester Wochenbestandteil, der auch nachhaltig im Gedächtnis bleibt, bestätigen die Angehörigen. Man nehme Fröhlichkeit mit nach Hause.

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