"Ich will sehen, was Tanz mit Menschen machen kann"
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Kinder und Jugendliche mit zeitgenössischem Tanz vertraut zu machen, dafür engagiert sich Canan Erek in Berlin. Die Tänzerin und Choreografin kam 1987 aus der Türkei nach Deutschland – wegen Pina Bausch und ihres Wuppertaler Tanztheaters.
Warteräume sind meist triste Orte, die ihrer Bedeutung oft gerecht werden, man verbringt viel Zeit darin. Man denke nur an Termine im Bürgeramt, der Arztpraxis oder im Jobcenter. Bleiern kriecht die Zeit dahin, nichts passiert. Das geht auch anders, dachte sich Canan Erek. „Ich wollte diese tote Zeit in eine lebendige umwandeln. Ich will sehen, was Tanz mit Menschen machen kann.“
Die Sache ging so: Tänzerinnen und Tänzer sitzen wie gewöhnliche Kunden im Warteraum. Auf ein Zeichen hin beginnen sie mit einer Performance. Bespielt wurde in den „zehnminütigen Sequenzen“ praktisch das komplette Inventar, von Stühlen, Tischen bis zu den Geländern. (*)
„Also wir haben alles gemacht, was man eigentlich nicht darf“, sagt Erek. Die Reaktionen reichten von großer Begeisterung bis zu Ablehnung. Für Canan Erek war es ein wunderbares Experimentierfeld.
Mehr als "Schneewittchen" oder Hip-Hop
Neue Wege zu beschreiten, Dinge zu probieren, das treibe sie an. Besonders gern arbeitet die Tänzerin mit einem jungen Publikum zusammen, „weil sie so unvoreingenommen kommen“.
Wie in diesen Tagen, wenn zum Purple Tanzfestival viele Schulklassen erscheinen. Erek hat es 2017 initiiert und leitet das Festival seither. Hier biete der zeitgenössische Tanz, der für Erek mehr ist als nur „Schneewittchen“ oder Hip-Hop, Kindern aus allen Bildungsbereichen die Möglichkeit, sich auszudrücken.
Während der Coronazeit entwickelte Canan Erek eine neue Form der Inszenierung, die auch beim diesjährigen Festival zu sehen sein wird. Denn wenn Tänzerinnen und Tänzer nicht auf die Bühne dürfen, eine Klasse als geschlossene Gemeinschaft aber zusammenkommen darf, so die Überlegung der Choreografin, dann würden die Schülerinnen und Schüler die Protagonisten auf der Bühne sein. Also bekommen sie hier Kopfhörer aufgesetzt und erhalten darüber choreografische Anweisungen. Nie ist ein Stück gleich, bei jeder Klasse erlebt Canan Erek ein neues.
Seit ihrer Kindheit in Ankara begeistert sich Erek für Tanz. Hier und später in Istanbul steht das Ballett im Mittelpunkt. „Nach dem Pubertieren habe ich festgestellt, dass das Ballerina-Dasein vielleicht doch nicht das ist, was ich machen möchte.“
Den Geist befreien
Über eine deutsche Tanzlehrerin in Istanbul hört sie von Pina Bausch und ist schnell beeindruckt. So geht Erek 1987 nach Essen, studiert Bühnentanz an der Folkwangschule. Kurz nach dem Mauerfall zieht es sie nach Ost-Berlin, an die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, studiert zusätzlich Choreografie. Heute leitet sie auch das Festival Tanz! Heilbronn.
Die Philosophie von Pina Bausch begleitet Canan Erek bis heute, in all ihren Projekten.
Tänzerinnen und Tänzer als Menschen auf der Bühne zu erleben, ihre Individualität erblicken zu dürfen, ganz anders als im Ballett, „das war die größte Befreiung im Geiste. Und wenn der Geist befreit ist, dann kann man sich auch körperlich befreien. Das war das, was ich von dem Studium als wertvollstes Geschenk mitgenommen habe“.
Redaktioneller Hinweis: Wir haben einen missverständlichen Satz entfernt.