Zwischen Modernisierung und Historie
So vielfältig Tanz in Deutschland im vergangenen Jahr zu sehen war, so unterfinanziert waren viele Projekte. Besonders die Hauptstadt war das Jahr über großes Thema. Aufgrund des neu gegründeten Landesjugendbaletts und besonders wegen der Querelen um die Volksbühne.
Im Frühjahr musste sich die Tanzwelt erst einmal von Trisha Brown, der Ikone des postmodern dance verabschieden. Die bis zuletzt aktive amerikanische Choreografin starb am 8. März; die von ihr bereits 1970 in New York gegründete Trisha Brown Company wird jedoch ihr einflussreiches Erbe bewahren und weiterführen.
Um Bewahren und Weiterentwickeln geht es auch im Tanzland Deutschland. Die Dramaturgin und Kulturmanagerin Adolphe Binder hat zu Beginn der Spielzeit 2017/18 die Intendanz beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch angetreten – und wird hier, acht Jahre nach dem Tod Pina Bauschs, fortan für die Pflege, aber auch die Neuausrichtung des Wuppertaler Ensembles sorgen. Adolphe Binder:
"Ich habe zwei Choreografen eingeladen, einen Norweger, den Alan Lucien Øyen und Dimitris Papaioannou aus Athen und die werden beide sehr, sehr unterschiedliche Arbeiten abliefern und darauf freue ich mich. Also, die Diversität wird gewahrt bleiben, es wird vielseitig bleiben, es wird sich zum einen mit Text und darstellerischen Formen beschäftigen, zum anderen wird es eine große Sinnlichkeit und hohe visuelle Kraft geben in den Werken."
Neugründung in der Hauptstadt
Am Staatsballett Berlin hat sich die leidenschaftliche, aber auch emotional zu aufgeladene Diskussionen um die Personalie Sasha Waltz im Jahr 2017 erst einmal beruhigt. Die Hauptstadt hat aber auch eine Neugründung zu verzeichnen. Im März wurde unter der Leitung von Ex-Balletttänzer Gregor Seyffert das "Landesjugendballett Berlin" gegründet. Ähnlich den Landesjugendorchestern im Bereich der klassischen Musik wird es nun auch im Tanz eine Companie geben, in der junge Tänzerinnen und Tänzer erste Bühnenerfahrungen sammeln können. Hoffnungsvoll stimmt, dass sie sich nicht nur dem klassischen, sondern auch dem zeitgenössischen Repertoire widmen will.
Auch in München bemüht man sich erfolgreich um die Annäherung zwischen klassischem und zeitgenössischem Tanz. Richard Siegal, ehemals Tänzer bei William Forsythe, konnte mit finanzieller Unterstützung aus München und Köln sein "Ballett of Difference" gründen, in dem er Tänzer mit ganz unterschiedlichen Ausbildungen und Erfahrungen vereint.
Offenheit und Humor
Richard Siegal nennt als wichtigste Voraussetzungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit technische Exzellenz, künstlerische Neugierde, Offenheit und Humor. Genau diese Eigenschaften finden sich auch beim Ballett am Rhein, das auch 2017 wieder zur ‚Companie des Jahres’ gekürt geworden ist. Düsseldorf kann sich mit der künstlerischen Suche, aber auch der Stabilität des Ballettchefs Martin Schläpfer mehr als glücklich schätzen.
Auf Stabilität wartet man in Berlin dagegen immer noch – zumindest in der Causa Volksbühne. Unter der neuen umstrittenen Leitung unter Chris Dercon hat sie nun im September eröffnet – auf der Nebenspielstätte des Flughafen Tempelhof, aber – für die Tanzwelt vor allem wichtig – mit Tanz.
10.000 Gesten im offenen Raum
Der französische Choreograf Boris Charmatz bescherte der geplagten neuen Intendanz erst ein freundliches Eröffnungsfest und einige Tage später mit "10.000" Gesten eine fulminante Eröffnungperformance:
"Ich wollte mit und für den Tanz einen offenen Raum schaffen für Gäste aller Art, nicht nur für Tänzer, sondern auch für visuelle Künstler, Amateure, Kinder, Aktivisten, Historiker und natürlich Theaterleute. Tanz ist ein sehr gutes Medium, um auf das, was in der Welt passiert, zu reagieren."
Und er wird als Kunstform an der neuen Volksbühne Berlin eine gewichtige Rolle spielen. Das Problem, das mit der Entscheidung für Chris Dercon als Intendanten mit ins Haus gezogen ist, konnte damit allerdings (noch) nicht gelöst werden.
Aber nicht nur Berlin, auch Stuttgart hat seine Schwierigkeiten. Der Neuanfang des Stuttgarter Balletts verläuft nicht so weich wie erwartet – zumindest wurde der Vertrag des langjährigen Hauschoreografen Marko Goecke von dem neuen stellvertretenden Intendanten Tamas Detrich über die Spielzeit 18/19 hinaus nicht verlängert. Der zu recht tief enttäuschte Künstler musste im Juni seine geplante Premiere von Kafka aus Gesundheitsgründen ausfallen lassen.
Mehr Sichtbarkeit für den Tanz?
Dass die Kunstform Tanz jenseits fester Institutionen immer noch und immer wieder um angemessene Förderung kämpfen muss, war auch 2017 ein bedauernswerter Dauerbrenner. Doch hat dieses Jahr in monetärer Hinsicht auch Positives gebracht: für das neue Förderprogramm ‚Tanzpakt Stadt-Land-Bund’ haben Länder, Kommunen und der Bund zusammen über 10 Millionen Euro aufgebracht. Etablierte Künstler, Ensembles und Institutionen können sich mit innovativen und nachhaltigen Projektideen bei dieser Exzellenzinitiative bewerben, die dem Tanz zweifellos mehr Sichtbarkeit und Präsenz verschaffen wird.