Tanzsport
39 Deutsche Meisterschaften: Tänzerinnen der Juniorengarde der TSG KG Rote Funken Harsewinkel in Aktion. © imago / VIADATA / imago stock&people
"Fünf Minuten jemand anders sein"
23:41 Minuten
Karneval ist nicht nur Spaß. Tanzmariechen müssen hart arbeiten. Nicht nur in der fünften Jahreszeit. Trainiert wird das ganze Jahr über. Turnen, Ausdauersport und Leichtathletik gehören dazu.
Herbstferien in Harsewinkel in Ostwestfalen im Kreis Gütersloh. Vier Tage lang hat zur Mehrzweckhalle nur Zutritt, wer zur Tanzsportgarde Harsewinkel gehört. Das ist Deutschlands erfolgreichster Verein im karnevalistischen Tanzsport. In der Mitte der Halle ist eine große Tanz-Bühne aufgebaut, zehn Meter breit, vier Meter tief, wie bei den großen Turnieren. Es ist eine Mischung aus routinierter Betriebsamkeit, familiärer Atmosphäre und konzentriertem Arbeiten. Gerade steht eine Reihe junger Tänzerinnen am Bühnenrand, von ihren Trainerinnen kritisch beäugt. Natalie Kammann, die Vorsitzende der Tanzsportgarde Harsewinkel:
„Wir machen gerade Kostümprobe für den Marschtanz. Jetzt haben alle Kinder den Rock und das Oberteil an und den Body. Und jetzt wird einfach auf der Bühne nochmal geguckt, ob alle Rocklängen gleich lang sind. Weil sobald ein Rock länger oder kürzer ist, wird der Juror das als Punktabzug werten und wenn man dann fünf oder sieben Juroren vorne sitzen hat und jeder zieht einen Punkt ab, sind das ganz schnell sieben Punkte und das kann am Ende viele Plätze kosten.“
Gelenkig und flexibel
Punktabzüge wegen irgendwelcher Kleinigkeiten haben keinen Platz. Denn in Harsewinkel hat man hohe Ansprüche. 39 deutsche Meisterschaften stehen für die Tanzsportgarde zu Buche, 38 zweite und 39 dritte Plätze kommen hinzu. Der Gardetanz ist dabei nur eine Disziplin, erklärt Cheftrainerin Daniela Schafarik:
„Der karnevalistische Tanzsport setzt sich wirklich zusammen aus ganz vielen verschiedenen Tanzarten. Natürlich traditionell der Marschtanz, der Gardetanz, so in Uniform, wo man natürlich sehr gelenkig sein muss und sehr flexibel. Bisschen 'ne Abwandlung vom Ballett, so'n bisschen militärisch, daher kommt ja auch der Marschtanz. Dann gibt's natürlich unsere Solisten, die natürlich sehr akrobatisch auch sein müssen. Freie Elemente, aber auch tanzen und präsentieren. Tanzpaare haben wir auch natürlich noch bei uns in den Disziplinen, wo dann ein Junge und ein Mädchen zusammen tanzen.“
Der Bundesverband für karnevalistischen Tanzsport ist der Sportfachverband des Bundes Deutscher Karneval und veranstaltet 35 Qualifikationsturniere zu den Nord- und Süddeutschen Meisterschaften, aus denen die Teilnehmer an der Deutschen Meisterschaft hervorgehen.
Frank Prömpeler ist Vizepräsident beim BDK, dem Bund Deutscher Karneval, und für den Bereich Tanzsport sowie Aus- und Fortbildung zuständig.
„Der Bund Deutscher Karneval hat knapp 5300 Mitgliedsvereine, 2,6 Millionen Mitglieder und 700.000 sind davon Kinder und Jugendliche. Diese Kinder und Jugendliche, fast die komplette Anzahl, sind auch irgendwo im karnevalistischen Tanzsport unterwegs. Ob jetzt im Bereich des Leistungssports oder auch im Bereich des Breitensports. Diese Kinder und Jugendlichen haben eine Heimat im Fasching, Fastnacht, Karneval.“
Karneval als sozialer Kitt
Knapp zweihundert Vereine sind im Bundesverband für Karnevalistischen Tanzsport organisiert. Dessen Hauptzweck besteht in der Ausbildung der Trainerinnen und Trainer. Um die C-Lizenz nach den Rahmenrichtlinien des DOSB zu erhalten, sind 120 Stunden Unterricht und entsprechende Prüfungen zu absolvieren. Die Lizenz gilt dann für vier Jahre.
Im Vergleich mit anderen Sportvereinen sieht Frank Prömpeler die Vereine im karnevalistischen Tanzsport allemal auf Augenhöhe.
Im Vergleich mit anderen Sportvereinen sieht Frank Prömpeler die Vereine im karnevalistischen Tanzsport allemal auf Augenhöhe.
„Auch die Menschen in den Kommunen haben mittlerweile erkannt, auch die Politiker, dass der Karneval auch so ein bisschen sozialer Kitt in der Gesellschaft ist. Dort werden Kinder nicht einfach nur verwahrt, sondern man arbeitet mit ihnen und arbeitet an den Kindern. Im Sinne, dass man ihnen oftmals auch eine zweite Heimat gibt. Struktur vermittelt, Gemeinschaft vermittelt. Auch, sich in der Gesellschaft einzubringen, was an der einen oder anderen Stelle in der Schule vielleicht auch schon mal zu kurz kommt. Das übernimmt dann schon mal der Karnevalsverein.“
Noch fehlt Anerkennung
Allzu oft aber fehlt dem karnevalistischen Tanzsport die Anerkennung. Ist er doch weit mehr als Hüpfen und Springen im Kostüm, worauf er landläufig noch allzu oft reduziert wird. Das bedauert auch Nora Seifert, sie ist Trainerin beim Verein Effects im fränkischen Coburg.
„Es ist eine große Leistung, was alle aktiven Tänzer und Tänzerinnen da leisten. Sei es vom Mariechen bis zu den Schautänzern. Von daher ist der karnevalistische Tanzsport ganz was anderes als der typische Karnevalsumzug in Köln."
Während die Tanzsportgarde in Harsewinkel 1977 in der örtlichen Karnevalsgesellschaft „Rote Funken“ gegründet wurde, sind die Effects aus Coburg ein eigenständiger Verein. Diese Unabhängigkeit hat aber auch zur Folge, dass man all die Arbeit selbst machen muss, die in einem klassischen Sportverein ein Abteilungsvorstand übernimmt: die Kommunikation mit den 190 Mitgliedern und den Sportverbänden, aber auch die Suche nach Geldgebern.
Innere Freiheit und Kreativität
Der Kreativität sind fast keine Grenzen gesetzt – so lange die Darbietung auf der Bühne fünf Minuten nicht überschreitet. Coburgs Trainerin Nora Seifert fühlt dabei eine innere Freiheit.
„Ich bin mal fünf Minuten jemand anders. Ich kann ein Wesen sein, ich kann ein Tier sein, ich kann ein Krieger sein. Was auch immer gerade das Thema vom Schautanz ist. Ich muss nicht an meinen Alltag denken, an die Wäsche, die zu Hause ist, oder an den Stress, den ich zu Hause habe. Sondern ich kann einfach mal fünf Minuten abschalten und die Emotionen vertanzen, die der Tanz möchte.“
Tanz trifft Schauspiel. Daher hatte man auch schon einmal einen Theaterpädagogen engagiert, der mit den Kindern geübt hat, wie man sich auf der Bühne bewegt. Die Effects tanzen leistungsorientiert. Einmal Deutscher Vizemeister sowie viermal Dritter, dazu drei süddeutsche und sechs fränkische Meistertitel dokumentieren dies.
Gelebte Inklusion
Drei Garden hat die TG Zell am Main, gerade bei den kleinen Tänzerinnen besteht eine gewisse Fluktuation, wenn sie zum Beispiel das Turnen für sich entdecken. Das aber ist einkalkuliert. Wichtiger ist dem ersten Vorstand, Walter Amend, dass man in seinem Verein Inklusion leben kann.
„Wir haben bei uns in der Garde ein kleines Mädel, das seit fünf Jahren jetzt in der kleinsten Garde dabei war. Ein kleines Mädel mit Down- Syndrom. Und ich muss sagen, das war so ein tolles Gefühl, als ich das zum ersten Mal gesehen habe, wie die Kinder sich um das Mädel gekümmert haben. Wie sie es auf die Bühne mitgenommen haben. Wie sie sich verneigt hat, das Publikum geklatscht hat. Und jetzt inzwischen ist sie so voll dabei, Sie sehen da überhaupt keinen Unterschied mehr. Also, sie macht das wirklich toll. Und darauf sind wir sehr, sehr stolz.“
Tanz als Brauchtumspflege
Ortswechsel: Daleiden in der Eifel, ein 900-Einwohner-Dorf kurz vor der luxemburgischen Grenze, dessen Rosenmontagszug Menschen aus den umliegenden Orten anzieht und dessen „Karnevalsfreunde Daleiden“ noch ein wenig anders organisiert sind als vergleichbare Vereine anderenorts, wie der erste Vorsitzende Danny Faymonville erläutert:
„Der größte Teil der Mitglieder ist hier dem Ort verbunden. Wir gehören hier dem Heimatverein an, wir sind eine Untergruppierung, weil wir ja auch als Karneval die Brauchtumspflege jetzt aktiv hier in den Ort eben hereinbringen. Wir sind aktuell circa 35 Mitglieder.“
Den Tanz sieht man als eine Form aktiver Pflege des Brauchtumskarneval und auch als ein Vehikel, um Nachwuchs für den Heimatverein zu gewinnen.