"Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen"
Ein Stück von Pina Bausch
Neueinstudierung: Hans Dieter Knebel
Musik: Peer Raben
In Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum
Opernhaus Wuppertal
Neuer Blick auf das Werk von Pina Bausch
07:01 Minuten
Drei Jahrzehnte war das Stück nicht zu sehen, nun feierte die Neueinstudierung von Pina Bauschs "Er nimmt sie an der Hand" in Wuppertal Premiere. Es sei das Stück der Stunde, meint unsere Kritikerin.
1978 – Peter Zadek, Leiter des Schauspielhauses in Bochum, lädt die Wuppertaler Tanztheaterdirektorin und Choreografin Pina Bausch ein, an seinem Haus ihre Version von Shakespeares "Macbeth" zu inszenieren. Auf der Bühne: Tänzerinnen und Tänzer, Schauspielerinnen und Schauspieler, die schlafen, schlafwandeln, herumgeistern – von einer liegenden Position in die nächste, in einem rotem Salon zwischen halbkaputten Sitzmöbeln und einer Menge mit großer Sorgfalt abgestelltem Krempel.
Aus einem vergessenen Gartenschlauch rinnt unentwegt Wasser, das sich nach und nach zu einem kleinen See ansammelt. Wenig passiert in den ersten 30 von 210 Minuten und auch im Verlauf des Stückes bleibt die Rätselhaftigkeit des Anfangs der roten Faden, der sich atmosphärisch und thematisch durch den Abend zieht.
Provokation mit tosendem Applaus
Das Publikum – damals 1978: In Aufruhr. Mitglieder der gerade in Bochum tagenden Shakespeare-Gesellschaft stören die Aufführung mit empörten Zwischenrufen, die Tänzerin Jo Ann Endicott steht irgendwann auf und verlässt unter Protest die Bühne. Als sie wiederkommt, brandet Applaus auf – die Vorstellung kann zu Ende gespielt werden; der Mythos, der sich um diese frühe Pina-Bausch-Produktion rankt, ist geboren.
Und heute – 2019? Hat "Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen" nicht mehr diesen (von Pina Bausch allerdings nie beabsichtigten) provokativen Charakter. Aber die Produktion, in der Tänzer und Schauspieler beteiligt sind, entfaltet auch heute noch eine ästhetische Klarheit und Entschiedenheit, die begeistert.
Radikaler als die Choreografin selbst
Unnachahmlich, wie Pina Bausch mit dezentraler Perspektive, im Wechsel zwischen verschiedenen Tempi und atmosphärischen Temperaturen, Musiken und Dynamiken durch das Panorama absurder, phantastischer und repetitiver Szenen manövriert. "Macbeth" und seine Geschichte um Verrat, Königsmord und dem Wahnsinn, der daraus entsteht, wird nur in wenigen Momenten zitiert oder paraphrasiert und ist dennoch den ganzen 3,5-stündigen Abend über präsent. Die Wiederaufnahme zum 10. Todestag der Choreografin zeigt nicht nur eine weitaus radikalere Pina Bausch, als wir sie aus ihren späten Jahren kennen, sondern ist auch noch das Stück zur Stunde, die das Tanztheater Wuppertal gerade erlebt.