Tarifexperte erwartet bei Lufthansa bald wieder Verhandlungen

Moderation: Ute Welty |
Die Signale zwischen der Lufthansa und der Berufsgewerkschaft UFO stünden auf eine baldige Rückkehr an den Verhandlungstisch, sagt Reinhard Bispinck, Tarifexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans Böckler-Stiftung.
Ute Welty: UFO, das war bislang vor allem die Abkürzung für unbekanntes Flugobjekt. Inzwischen steht UFO aber auch für die Unabhängige Flugbegleiter Organisation, für die Gewerkschaft, die heute durch ihren Streik für ziemliches Chaos sorgt – in der Luft, aber wohl auch auf Schiene und Straße. Vor zehn Jahren wurde UFO von der Lufthansa als eigenständige Gewerkschaft, als gleichberechtigter Tarifpartner anerkannt, hat aber die Erwartungen der Mitglieder bisher eher enttäuscht. Am Wirtschafts- und Sozialpolitischen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung nimmt Reinhard Bispinck die Entwicklung dieser Gewerkschaft unter die Lupe. Guten Morgen, Herr Bispinck!

Reinhard Bispinck: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Ist dieser Streik für UFO so etwas wie der Befreiungsschlag aus der Bedeutungslosigkeit?

Bispinck: Ja, das hört sich für mich jetzt ein bisschen sehr taktisch an. Es geht ja schon um einen materiellen Interessenkonflikt, es geht ja um Geld, es geht um Leiharbeit, es geht um Arbeitsstandards für die Flugbegleiter. Da ist das jetzt nicht nur eine organisationspolitische Überlegung, wie man sich sozusagen möglichst gut darstellen kann. Es sollen ja auch effektiv Interessen vertreten werden. Aber Sie haben natürlich recht, eine Organisation wie UFO, jede Gewerkschaft, muss ja auch den Nachweis erbringen, dass es sich lohnt, bei ihr Mitglied zu sein. Und so gesehen hat natürlich ein solcher Streik für UFO auch noch eine Bedeutung, die jetzt über die reinen Inhalte des Tarifkonflikts hinausgehen.

Welty: Mit UFO setzt sich etwas fort, was wir schon länger beobachten, bei Cockpit oder Marburger Bund, nämlich dass sich bestimmte Berufsgruppen wie Piloten oder Ärzte einzeln organisieren. Sind solche Berufs- oder Spartengewerkschaften generell durchsetzungsfähiger?

Bispinck: Nein, das kann man nicht so sagen. Sie haben ja für UFO selber schon gesagt, dass sie bislang gar nicht so eine erfolgreiche Geschichte, jetzt was die Tarifverhandlungen angeht, vorweisen können. Im Übrigen ist es so, dass viele dieser Berufsgewerkschaften – der Marburger Bund gehört auch mit dazu – früher über lange Jahre hinweg in Tarifkooperation mit den DGB-Gewerkschaften gehandelt und verhandelt haben. Das hat sich jetzt seit einigen Jahren aufgelöst, die Gewerkschaften haben sich selbstständig gemacht und viele haben dann erst durch einen Streik auch ihre Anerkennung als Tarifvertragspartei erkämpft. Der Marburger Bund ist dafür ein gutes Beispiel. Das kann im Einzelfall durchaus ein hohes Durchsetzungsvermögen mit sich bringen, aber nicht alle Blütenträume, die vielleicht die Berufsgewerkschaften geträumt haben, sind gereift. Also, die Gewerkschaft der Lokführer beispielsweise, die sich ja auch mit einem Streik 2007 gewissermaßen selbstständig gemacht hat, hat keineswegs danach nur einen Erfolg nach dem anderen eingefahren. Auch die Bäume der Berufsgewerkschaften wachsen nicht von selbst in den Himmel.

Welty: Vorgeworfen wird den Berufsgewerkschaften, dass sie nur für sich spektakuläre Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen erzielen. Ist das tatsächlich so?

Bispinck: Das ist insofern richtig, dass diese Gewerkschaften erst mal auf ihr eigenes Klientel schauen, ihre Berufsgruppe, dafür haben sie sich gegründet. Und sie schauen erst mal nicht nach links und rechts. Das muss jetzt aber nicht in jedem Fall immer automatisch, wie soll ich sagen, also, unsolidarisch sein, wenn das in Abstimmung geschieht. Beispielsweise in dem aktuellen Konflikt bei der Lufthansa hat es ja noch bis in den Januar hinein gemeinsame Verhandlungen von UFO und auch von Ver.di gegeben für das Personal in der Kabine und am Boden. Aber dann hat UFO gesagt, wir wollen mehr erreichen, hat sich dem Abschluss, der seinerzeit erzielt worden ist, nicht angeschlossen und versucht jetzt, auf eigene Faust für ihre Leute mehr und Besseres durchzusetzen. Ob das gelingt, das muss man dann abwarten. In der Tat, es geht immer um die Frage: Solidarität der Belegschaften eines Unternehmens oder einer Branche insgesamt, oder wollen einzelne Gruppen für sich mehr herausholen? Das ist immer auch ein Konflikt, keine Frage!

Welty: Inwieweit schaden die Berufsgewerkschaften den großen Gewerkschaften? Der Kuchen potenzieller Mitglieder zum Beispiel, der muss ja doch mehr aufgeteilt werden, je mehr Gewerkschaften es gibt?

Bispinck: Ja, das ist in der Tat eine Konkurrenz, zum Teil auch eine scharfe Konkurrenz. Wir haben auf der einen Seite Kooperationen, denken Sie an Ihren eigenen Berufsstand, es gibt die Deutsche Journalisten-Union bei Ver.di, es gibt den Deutschen Journalisten-Verband, da gibt es eine, wie ich beobachte, gute Kooperation. Natürlich konkurrieren die beiden Journalistengewerkschaften. In anderen Bereichen ist es in der Tat eine scharfe Konkurrenz um Mitglieder, um Organisationsstärke. Aus Sicht der Beschäftigten würde ich sagen, es reicht die geschichtliche Erfahrung, dass es auf lange Sicht besser ist, wenn man das gemeinsam und übergreifend, im Zweifel in Kooperation erledigt, weil die Gefahr natürlich, bei einer Aufsplitterung in einzelne Gewerkschaften auch die Gefahr groß ist, dass Arbeitgeber versuchen, die Gewerkschaften gegeneinander auszuspielen. Und das muss auf lange Sicht nicht unbedingt von Vorteil sein.

Welty: Zum Teil wird den Berufsgewerkschaften ja auch das Recht auf Streik einfach abgesprochen. Wie sehen Sie das?

Bispinck: Das, würde ich mal sagen, ist politisch, aber auch juristisch blanker Unsinn. Jede Gewerkschaft, ob sie einem gefällt oder nicht, hat selbstverständlich das Recht auf die Wahrnehmung ihrer Mittel. Und bei uns ist das Streikrecht grundgesetzlich verankert, UFO hat selbstverständlich das Recht, einen Arbeitskampf durchzuführen. Es wird im Zweifel dann Streit darum geben, ob bestimmte Streikmaßnahmen verhältnismäßig sind, aber am Streikrecht selber, auch für Berufsgewerkschaften, für kleine Gewerkschaften, kann gar nicht gezweifelt werden, dieses Recht besteht und das können sie auch in Anspruch nehmen.

Welty: Und das sieht man auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund so, zu dem ja die Hans-Böckler-Stiftung und damit auch Ihr Institut gehört?

Bispinck: Ja, das sieht der DGB, das sehen die DGB-Gewerkschaften genau so. Sie haben auch in früheren Jahren, wenn es entsprechende Konflikte gab, immer das Streikrecht auch der Berufsgewerkschaften explizit verteidigt. Das muss ja, wie ich schon sagte, nicht unbedingt heißen, dass man jede Aktivität und jede Tarifverhandlung dieser Berufsgewerkschaften ebenfalls begrüßt, aber Sie haben ja jetzt auch in der konkreten Auseinandersetzung, UFO-Lufthansa, kein kritisches Wort, so weit ich das verfolgt habe, von den DGB-Gewerkschaften dazu gehört.

Welty: Beim aktuellen Fall, UFO gegen Lufthansa, wie sehen Sie als tarifpolitischer Experte da die Möglichkeiten, aus der verfahrenen Situation herauszukommen, die vor allem Zeit, Geld und Nerven kostet?

Bispinck: Ja, mein Eindruck ist, dass man sich jetzt langsam wieder auf Gespräche zubewegt. UFO hatte eine Schlichtung vorgeschlagen, der Personalvorstand der Lufthansa hatte seinerseits eine Schlichtung, auf einen engen Themenbereich bezogen, angeregt. Und jetzt hört man, dass Gespräche hinter den Kulissen geführt werden. Natürlich wird dieser Streiktag heute erst mal durchgezogen, aber ich denke, dass womöglich jetzt auch die materiellen Auswirkungen des Streiks dazu führen, dass die Tarifvertragsparteien da wieder an einen Tisch kommen. Und die Signale deute ich so, dass man jetzt doch langsam wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren will. Ob das dann in kurzer Frist erledigt werden kann oder ob es dafür dann auch noch eine Zeit und auch eine Schlichtung braucht, das muss man abwarten. Aber ich denke, die Signale stehen wieder auf Kontakte, auf Gespräche, und damit dann womöglich auch auf ein erfolgreiches Verhandlungsergebnis.

Welty: Reinhard Bispinck, Referatsleiter bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Ich danke fürs Gespräch! Und müssen Sie eigentlich heute noch verreisen?

Bispinck: Nein, ich fahre mit dem Fahrrad gleich zur Arbeit, also, ich bin auf die Lufthansa heute nicht angewiesen!

Welty: Glücklicher Mann! Ich danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.