"Die Nile Hilton Affäre", ein Film von Tarik Saleh, startet am 7. Oktober in den Kinos.
"Ich bin ein Kino-Extremist"
Kairo 2011: Eine Sängerin wird tot in ihrem Hotel aufgefunden. Der ermittelnde Polizist hegt schon bald den Verdacht, dass ein enger Freund des Präsidenten hinter dem Mord steckt. "Die Nile Hilton Affäre" von Tarik Saleh ist ein düsterer Politthriller, der auf einem wahren Fall beruht.
Susanne Burg: Erst scheint es ein Verbrechen aus Leidenschaft zu sein, doch dann reicht der Fall immer weiter hinein in die führende Elite Ägyptens. Der Film beruht auf einer wahren Geschichte, die sich 2009 zutrug. Als ich Tarik Saleh – schwedischer Filmemacher mit ägyptischen Wurzeln – zum Interview getroffen habe, wollte ich von ihm erst mal wissen, was ihn an dieser Geschichte interessiert hat.
Tarik Saleh: Das war 2009, als die Geschichte öffentlich bekannt wurde. Der Hauptverdächtige war Ägyptens Donald Trump, ein Magnat, der eine Stadt in Kairo erbauen ließ, mit einer Million Wohneinheiten, die er "My City" – also "meine Stadt" – nannte. Als enger Freund des Präsidenten genoss er Immunität und konnte vor Gericht nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Aber dann sagte plötzlich der Chef des ägyptischen Geheimdienstes, Omar Suleiman – nebenbei: der gefürchtetste Mann in Ägypten – im Fernsehen: "Es ist Zeit, dass Sie nach Hause kommen und ein paar Fragen beantworten!" Dieser Geschäftsmann hielt sich in der Schweiz versteckt, um einen Skandal zu vermeiden. Die Ägypter waren schockiert.
Hier forderte der Geheimdienstchef einen der engsten Freunde des Präsidenten auf, zurückzukommen und Fragen über den Mord an einer Sängerin zu beantworten, mit der er als verheirateter Mann eine Affäre gehabt haben soll. Da stand praktisch überall "politischer Skandal" drauf. Er kam tatsächlich zurück, verlor seine Immunität, wurde vor Gericht gebracht und zum Tode verurteilt. Das war sozusagen Ägyptens O.-J.-Simpson-Prozess – alle verfolgten die Ereignisse.
Ich habe dann 2010 angefangen, das Skript zu schreiben, inspiriert von diesem Fall. Ich fragte mich, was passiert wäre, wenn dieser Mord in Ägypten stattgefunden hätte und ein ägyptischer Mord-Kommissar diesen Fall auf seinen Tisch bekommen hätte. Wie könnte er Nachforschungen zu einem engen Freund des Präsidenten anstellen? Eigentlich eine ganz klassische Geschichte, aber zu jener Zeit in Ägypten, nach 30 Jahren Diktatur, war das ein interessantes Dilemma.
Ich wusste nicht, wie die Story zu Ende gehen sollte, also beendete ich sie mit einer Art Revolution, hatte dann aber den Eindruck, dass das nicht realistisch ist und legte das Skript in eine Schublade. Ich habe es zwar ein paar Leuten gezeigt, dachte aber, dass ich diesen Film nicht machen würde, es schien einfach zu unrealistisch. Wie sollte man den Film auch drehen? Hosni Mubarak war immer noch an der Macht. 2011 gab es dann tatsächlich die Revolution und ich dachte nur "Oh mein Gott!".
Die Realität war so viel besser, als das, was ich da geschrieben hatte
Susanne Burg: Sie haben also gewissermaßen die Revolution vorhergesehen?
Tarik Saleh: Ja, aber dazu muss ich sagen, dass die Art, wie ich die Revolution in der ersten Version des Drehbuchs beschreibe, lächerlich war. Ich war ein ziemlich schlechter Nostradamus. Ich habe die Revolution zwar irgendwie vorausgeahnt, aber in viel kleinerem Ausmaß als sie dann wirklich stattgefunden hat. So viel kleiner, dass, als die tatsächlichen Ereignisse kamen, ich zunächst gar nicht dachte "oh, ich muss jetzt dieses Drehbuch verfilmen" – überhaupt nicht. Die Realität war so viel besser, als das, was ich da geschrieben hatte. Aber dann, nach ein paar Monaten, in diesem Macht-Vakuum nach der Revolution kamen alle wieder zurück, sie krochen heraus aus ihren Löchern, all diese alten Akteure. Im Juni, am Ende des Ramadan, hat der neue ägyptische Präsident, General Sisi, den Geschäftsmann entlassen, der wegen des Mordes verurteilt worden war. Der ist jetzt also frei, offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Wir sind also wirklich wieder da, wo wir angefangen haben.
Susanne Burg: Als dann 2011 die Revolution begann, wie stark war bei Ihnen die Versuchung, diese noch mehr in Ihr Drehbuch einzuarbeiten? Am Ende ist sie jetzt zwar im Hintergrund präsent, aber Sie halten sich doch an die Kern-Story des Thrillers.
"Ich bewundere die jungen Leute, die auf die Straße gegangen sind"
Tarik Saleh: Ja. Ich selbst habe die Versuchung nicht verspürt. Aber um mich herum wollten viele Leute, dass ich das ändere. Aber ich komme vom Dokumentarfilm und ich glaube, dass der Unterschied zwischen einem Reporter und einem Dokumentarfilmer darin besteht, dass der Reporter über die neuesten Nachrichten berichtet, ein Dokumentarfilmer dagegen hat Zeit. Ich sitze also da und denke: "interessant, dass das jetzt passiert", aber ich werde warten, bis der Staub sich gelegt hat und dann weitersehen, wie es sich entwickelt, wenn alle Journalisten wieder weg sind. So gehe ich auch an die Geschichten in meinen Filmen ran. Ich versuche nicht, besonders relevant oder aktuell zu sein. Ich habe die Revolution für den Film sogar eher als Problem, denn als Chance gesehen. Wahrscheinlich hätte ich zwei oder drei Millionen Euro mehr an Fördermitteln erhalten können, wenn ich eine revolutionäre Figur zum Protagonisten gemacht hätte.
Aber ich habe das Gegenteil getan. Im ganzen Film ist keine Sicht eines Revolutionärs auf die Revolution zu finden, alles wird aus der Perspektive der Polizei erzählt. Sogar in dieser symbolhaften Szene, in der der Polizist auf dem Dach steht und schießt – der Blick von unten auf ihn stammt aus einem berühmten Foto vom Tahrir-Platz – in dieser Szene stelle ich das aus der Perspektive eines Polizisten auf der Straße dar. Das war mir sehr wichtig.
Die Revolution hat mich emotional sehr berührt, ich bin keiner dieser Zyniker, die der Meinung sind, die Revolution sei gescheitert. Ich bewundere die jungen Leute, die auf die Straße gegangen sind, und ich glaube, dass sie Erfolg haben werden und das, was sie angefangen haben, noch nicht abgeschlossen haben. Aber das ist nicht meine Geschichte.
Susanne Burg: Sie sprechen im Film viele politische Themen an. Aber der Film ist auch ein sehr klassischer Cop-Thriller. Wie sehr waren Sie vom Film-Noir inspiriert, wie sehr wollten Sie diese klassische Optik erzeugen und dabei das Ganze an die heutige Zeit anpassen?
"Wenn es ums Kino geht, werde ich regelrecht religiös"
Tarik Saleh: Wissen Sie, ich bin ein Kino-Extremist. Wenn es ums Kino geht, werde ich regelrecht religiös. Ich glaube ganz fest ans Kino. Das Genre ist wie ein Vertrag zwischen dem Filmemacher und dem Publikum. Als Künstler benutzt man die Form und die Regeln, um ein Thema zu erforschen. Detektiv-Geschichten, das Krimi-Genre, eignen sich sehr gut, eine Gesellschaft näher zu untersuchen. Bei allen wirklich guten Krimis geht es dann weniger um den Stil oder die Form, sondern eher um moralische Angelegenheiten der Art: "Ich schaue mir die Gesellschaft und uns selber genauer an, durch die Augen dieses Ermittlers." Der Polizist ermittelt also gegen das System, in dem er arbeitet. Für mich ist Kairo ein sehr dunkler Ort, wie gemacht für einen Krimi. In der Zeit, in der wir mit diesem Polizisten die Gesellschaft unter die Lupe nehmen, wird es richtig düster, sehr noir.
Susanne Burg: Sie wurden in Schweden geboren und haben ägyptische Wurzeln. Wie haben diese zwei Perspektiven auf Ägypten – die von innen und von außen - den Film beeinflusst und wie schwierig war es, diese beiden Perspektiven unter einen Hut zu bringen? Oder war das gar nicht schwierig?
Tarik Saleh: Doch, es war schwierig. Sie beschreiben das in der Tat sehr gut – diese Blickwinkel haben tatsächlich miteinander verhandelt. Einer, der mich mit am stärksten beeinflusst hat, ist der schwedische Autor Leif G.W. Persson, der außerhalb Schwedens vor allem für den Film "Der Mann aus Mallorca" bekannt ist, der von Bo Widerberg nach einem seiner Bücher gedreht wurde, und einer der besten schwedischen Krimis überhaupt ist. Der Roman war eine Inspiration für mich, weil Leif G.W. Persson selber mal bei der Polizei gearbeitet hat und damals ein Dokument über den Justizminister an die Öffentlichkeit gebracht hatte, aus dem hervorging, dass dieser sich mit jungen Prostituierten traf.
Das wurde zu einem Problem, weil einige dieser Prostituierten aus Polen und Osteuropa kamen. Das war damals eine politisch sensible Angelegenheit, weil die nationale Sicherheit hätte betroffen sein können. Die Sozialdemokraten schafften es damals, diese Geschichte unter den Teppich zu kehren und Leif G.W. Persson wurde entlassen. Und weil er so wütend über seine Entlassung war, schrieb er zwei Romane, offiziell reine Fiktionen.
"Niemand in Ägypten mag Polizisten"
In Wirklichkeit waren es aber wahre Geschichten, die er in einem großartigen Stil schrieb. Er sagt einfach: "Hier ist das, was wirklich passiert ist. Mir ist egal, ob das gute Literatur ist." Diese Haltung hat das Krimi-Genre in gewisser Weise verändert. Es ist ein bisschen wie James Ellroy, aber eben gegenwärtiger. Das war also meine Inspiration. Was würde passieren? Kann man so waghalsig sein, das mit einem ägyptischen Polizisten zu probieren?
Man muss dabei nämlich wissen, dass niemand in Ägypten Polizisten mag, nicht mal die Mittelklasse, die Polizei widert die Leute regelrecht an, man sieht sie als Gangster. Sogar Polizisten selber finden andere Polizisten problematisch – so schlimm ist es. Für mich war das also sehr kontrovers. Ein Grund, warum ich das machen konnte, war, dass ich noch nicht selber das volle Ausmaß der Polizeigewalt erfahren habe. Ich wurde zwar in Ägypten schon mal verhaftet, bin von Polizisten beleidigt worden und gezwungen worden, ihnen Geld zu geben, wie alle anderen Ägypter auch, aber mir ist das eben nicht jeden Tag meines Lebens passiert. Ich habe in Schweden gewohnt, wo das alles funktioniert. Also konnte ich mich in ihn hineinversetzen ohne angewidert zu sein. Das hat wohl geholfen.