Taschen mit Geschichte

Von Kim Kindermann |
Schultaschen, Aktentaschen, Einkaufstaschen - Taschen werden vor allem durch ihren Zweck definiert. Bei Eva Polocek ist das anders. Die von ihr entworfenen Exemplare haben eigene Geschichte.
"Polola heißt Freundin auf chilenisch. Mein Freund ist Chilene und Polocek ist mein Nachname. Und ich finde eine Tasche sollte immer auch eine Lieblingstasche sein, die man überall mit hin nimmt, die sich schön anfüllt und die man gerne hat."

Taschen wohin man schaut. Große, kleine, bunte und einfarbige. Mal aus Leder, dann aus Filz oder Gaze. Jede ist anders. Eva Polocek entwirft Unikate. Gesichtslose Massenware sucht man in dem Kreuzberger Atelier vergebens.

"Ich lasse mich vom Material inspirieren. Hier etwa ist ein alter Ledersessel, den habe ich auseinander geschnitten. Ich finde es cool, alte Sachen wiederzuverwenden. Hier das alte Schlauchboot, das hab eich mit meinem Freund mal an der Ostsee gefunden und dann auch auseinandergeschlitzt."

Das Schlauchboot hat Gesellschaft. In großen Regalen liegen Lederreste, Gürtelreste, Gazestoffe, Plastikfolien, Kletterseile, Nähgarn und Glitzerbänder – Materialen, die die Designerin auf Märkten kauft, die man ihr schenkt oder die sie vom Straßenrand aufsammelt.

Jede Tasche erzählt so ihre eigene Geschichte, sieht anders aus. Oft sind sie bunt, in glitzernden Farben, mit grell leuchtenden Kletterseilen oder gestickten, goldenen Ornamenten verziert. Nicht selten weist das Leder Gebrauchsspuren auf, Flecken, kleine Risse oder Unregelmäßigkeiten.

"Wenn ich eine Tasche nähe, dann fällt mir ein, die andere könntest du so und so machen. Das ist ein Prozess. Also, wenn ich anfange die zu machen, weiß ich nie was rauskommt, ist dann so dass die da sind."

Es mag sich absurd anhören, doch hinter jeder Idee der 33-Jährigen, die in Maastricht Schmuck- und Produktdesign studierte, steckt ein tieferer Gedanke. Taschen mit Sinn sozusagen. Das passt in diese Sinn suchende Zeit, wo alles eine tiefere Bedeutung haben soll, haben muss. Wie etwa die fünf mal fünf Zentimeter kleine, aus hauchdünnem Gazestoff genähte, durchsichtige Umhängtasche. Eine Ritualtasche wie Eva Polocek sie nennt.

"Meine erste Tasche ist ein kleines Ritual zum Loslassen. Das ist ein kleines Täschchen zum Umhängen, da kann man einen Namen reinstecken, ein Bild von etwas, was man loslassen will. Das trägt man rum und dann kann man das, wenn man bereit ist, wegfliegen lassen."

Genau das macht die Arbeit von Eva Polocek so spannend. Die passionierte Yogaanhängerin, die seit zehn Jahren regelmäßig zum Meditieren in ein buddhistisches Kloster fährt, nutzt zum Entwerfen all ihre Sinne. Da werden Fotos von skurril gewachsenen Bäumen auf Folien kopiert und anschließend auf Holzblättchen draufgebügelt.

Solche Ideen umzusetzen braucht Zeit, feste Arbeitszeiten kennt die in Trier geborene Frau, die ihre Kindheit und Jugend in Bonn verbrachte, nicht.

"Das sich sage, von dann bis dann arbeite ich, das sage ich nie, Arbeit mit offenem Ende, abends bin ich am kreativsten, allein, ungestört und kann loslegen und bin dann oft bis 24 Uhr hier."

Von ihrer Kunst gut leben kann Eva Polocek noch nicht. Nebenher jobbt sie. Die Eltern, der Vater ein IBM-Manager, die Mutter Computerfachfrau, mag sie nicht um Geld bieten. Lange standen sie der Kunst ihrer Tochter zu kritisch gegenüber.

"Die fanden das immer nicht so toll. Mein Vater, der hat noch im Endexamen gesagt, wann kommst du mal zur Vernunft, macht mal was Richtiges."

Eva Polocek, diese mittelgroße, dunkelblonde Frau, ist anders als ihre Kunst eher unspektakulär. In Jeans, grauem T-Shirt und Turnschuhen gekleidet erinnert sie vielmehr an ein Schulmädchen. Beim Reden benutzt sie oft Worte wie also, sozusagen. Fast so als würden ihr die Worte fehlen, ihre Gedanken adäquat zu benennen. Dabei brennt innerlich ein Feuer, ein Feuer, das sie 20-jährig animierte, sich heimlich in den Niederlanden an der Kunstakademie zu bewerben.

"Kreativ sein, sich entfalten, das fand ich toll. Ich habe mich heimlich beworben, das habe ich mit einer Freundin gemacht und wir sind beide genommen worden, das Studium war echt super."

Nach dem Studium steigt sie kurzerhand ins Auto. Ihr Ziel: Berlin! Dazu die Idee zu einer Tasche im Kopf: Dieser einen Tasche,

"… die ich machen wollte."

Heute hängen ihre Taschen in Trendboutiquen am Prenzlauer Berg in Berlin. Dort lebt Eva Polocek, die kleine Polin wie ihr Nachname übersetzt heißt, auch. In einer kleinen Ein-Zimmer Wohnung. Noch muss man wohl sagen. Denn ihr Freund, ein Chilene, den sie seit 13 Jahren kennt, ist vor kurzem nach Barcelona gezogen. Eine der Modestädte schlechthin. Und aufregende, spektakulär gemachte Taschen und Accessoire, die können auch die Spanierinnen gut gebrauchen.