Tash Aw: "Wir, die Überlebenden"

Mord und Menschenhandel

02:51 Minuten
Das Cover des Krimis von Tash Aw, "Wir, die Überlebenden". Es zeigt neben dem Autorennamen Tash Aw und dem Titel im Hintergrund  die Illustration eines Menschen, der bergauf geht. Die Szene spiegelt sich im Wasser. Von oben links schiebt sich ein roter Keil ins Bild.
© Luchterhand

Tash Aw

Übersetzt von Pociao und Roberto de Hollanda

Wir, die ÜberlebendenLuchterhand, München 2022

416 Seiten

24,00 Euro

Von Sonja Hartl |
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Ein Verbrechen im globalen Kapitalismus: Tash Aw hat mit „Wir, die Überlebenden“ einen langsamen, eindringlichen Kriminalroman über das grausame Geschäft mit illegalen Arbeitskräften in Malaysia geschrieben.
Der chinesisch-stämmige Malaysier Ah Hock hat einen Mord begangen. Das ist in Tash Aws Krimi „Wir, die Überlebenden“ von Anfang an klar. Ah Hock wurde für die Tat vor Gericht gestellt und verurteilt, musste aber anstelle der befürchteten lebenslangen Haftstrafe nur ein paar Jahre absitzen – möglicherweise, weil sein Opfer ein illegaler Arbeitsimmigrant war. Und die haben in der Welt, die in diesem Roman geschildert wird, nur einen Wert, solange sie ihre Körper als Arbeitskraft zur Verfügung stellen.

Ein Streit, der tödlich endet

Nun ist Ah Hock wieder auf freiem Fuß und erzählt seine Lebensgeschichte einer Soziologiestudentin, die herausfinden will, was viele Menschen in seinem Umfeld interessiert: Warum hat er diese Tat begangen? Doch diese Frage ist eine Finte. Ah Hock sagt von Anfang an, er hätte eigentlich gar keinen Grund gehabt – und tatsächlich stimmt das.

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Er hatte sich zum Vorarbeiter auf einer Fischfarm hochgeschuftet, dann sind die billigen Arbeitskräfte aus Bangladesch an Cholera erkrankt und er brauchte dringend Ersatz, damit die Farm nicht kaputtgeht und er seinen Job verliert. Er hat sich an einen Freund gewandt, der mit illegalen Arbeitskräften handelt, und sie sind mit einem von ihnen in Streit geraten, der tödlich ausgegangen ist.

Demütigungen und angesammelte Wut

Es ist nicht die Angst vor dem Jobverlust, die Ah Hock zur Tat getrieben hat, es ging auch nicht einfach nur um Geld. Vielmehr sind in diesem Moment die angestauten Demütigungen und die angesammelte Wut aus ihm herausgebrochen. Ah Hock, sein Menschenhändler-Freund und der getötete Mann sind alle Opfer des globalen Kapitalismus, der nicht nur in Südostasien die Gesellschaft und das Leben bestimmt.

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Es gibt weit mehr als ein Verbrechen in diesem langsamen, eindringlichen Roman – aber nur in einem Fall wird ein Täter überführt und bestraft. Das grausame Geschäft mit illegalen Arbeitskräften geht unvermindert weiter, in Malaysia und allen anderen Ländern der Welt.

Von welchen Verbrechen wird eigentlich erzählt?

Ah Hock hat geglaubt, er könne mit harter Arbeit und stillschweigenden Leiden aufsteigen, tatsächlich aber kann niemand dem ausbeuterischen System entkommen. Nur die Soziologiestudentin profitiert. Dank privilegierter Eltern ist sie in den USA zur Universität gegangen und erfüllt von der Hoffnung, die Korruption in Malaysia zu beenden.
Also schreibt sie keine wissenschaftliche Arbeit, sondern einen erfolgreiches True-Crime-Buch. Dadurch erforscht „Wir, die Überlebenden“ auch, wie und von welchen Verbrechen eigentlich erzählt wird.
„Wir, die Überlebenden“ ist kein typischer Kriminalroman, es ließe sich sogar darüber streiten, ob es überhaupt ein Kriminalroman ist. Aber zu lesen, wie sich Rassismus und Ausbeutung in Menschenleben einschreiben, ist spannender und schmerzhafter als so mancher Serienmörderroman.
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