Tastende Augen, schauende Hände
Edgar Degas, der Maler der Tänzerinnen und des eleganten Pariser Lebens, war in seinen späten Jahren so experimentierfreudig und produktiv wie nie zuvor. Die Fondation Beyeler zeigt mehr als 150 Werke, darunter auch Plastiken, Landschaften und Fotografien.
Gedämpftes Licht, getönte Wände – so sorgsam abgedunkelt und intim hat man die Ausstellungsräume in der Fondation Beyeler noch nie erlebt. Die museale Dämmerung ist der Lichtempfindlichkeit der farbstarken Pastelle geschuldet, mit denen Edgar Degas im Alter noch mal richtig aufdreht.
Da sind sie, gleich im ersten Saal, die jungen Tänzerinnen, die ihre Körper biegen und die Glieder strecken, in ihren Röckchen und Trikots, die der Maler mit Farbe umfächelt, und es ist nicht nur ihre Anmut, sondern der starke Akzent auf der Farbe, der den Kurator Martin Schwander schwärmen lässt – grelles Gelb, intensives Türkis, kräftiges Violett.
"Gerade im Spätwerk, da ist er ja in einem Art enthemmtem Stadium, er muss sich ja nichts mehr beweisen und diese Freiheit, die nutzt er eben zu technisch unglaublich kühnen Experimenten. Er hat selber das Wort Farborgien gebraucht im Zusammenhang mit seinen späten Bildern, und dieser Begriff ist sicher nicht abwegig."
Die Heftigkeit des Ausdrucks und die gesteigerte Produktivität stehen in merkwürdigem Gegensatz zu Degas’ Persönlichkeit in jener Zeit. Der alte Degas ist ein mürrischer und menschenscheuer Griesgram, der sich zurückzieht aus den Cafés, Varietés und anderen Lokalitäten der Pariser Lebewelt, die er zuvor ja auch geschildert hat; ein abseitiger Mann mit Marotten, der keine Blumen auf dem Tisch und kein Haustier im Zimmer duldet, wenn er bei Freunden eingeladen ist, und der sich am liebsten in sein Atelier verkriecht, sein Heiligtum, das eine Rumpelkammer ist, in die er nicht einmal die Putzfrau lässt.
"In diesem Atelier, also in wohl auch teilweise verwahrloster Umgebung, hatte er diese paar Requisiten, Schemel, Badewanne, ein paar Handtücher, und mit diesen Requisiten spielten dann jeden Tag die Modelle, die zu ihm kamen."
Es sei, als ob man durch ein Schlüsselloch blicke, sagte Degas selbst einmal über die Frauen, die er malte und deren rosa Fleisch er mit den Augen betastet und mit Pastellstift und Pinsel umschmeichelt. Frauen, die dem Bad entsteigen, um dem Maler ihren Rücken anzubieten; die sich bücken und trocknen, bei der Körperpflege, beim Kämmen.
Nacktheit ist bei Degas nie erotisch oder gar obszön; der Maler, der sich lebenslang obsessiv dem Frauenkörper widmete, war privat ein völlig keuscher Kauz.
Körper in Bewegung, das ist der Motor seiner Malerei. Ein Ausritt mit Rennpferden, da ist Degas in seinem Element. Die farbigen Jacken und Mützen der Jockeys, die sich mit ihren Pferden in der Landschaft tummeln. Und wenn ein Reiter dabei mal vom Pferd fällt – umso besser als Motiv!
Vergleichsweise aktionsarm sind natürlich die Porträts. Und dass der alte Degas auch selbst fotografiert hat, Freunde vor allem, – na schön. Als Vorlage für Bilder hat er die Fotos nie benutzt – ihm genügte seine durchs Experiment gesteigerte Erfahrung als Zeichner.
Aber dass er, der sich über Landschaftsmaler stets abfällig geäußert hatte, dann in späten Jahren selbst zu einem solchen wird, ist bemerkenswert. Er malt reihenweise kleine Pastelle, manche fast abstrakt.
"Diese Landschaften sind konstruierte Landschaften, sind eigentlich Phantasielandschaften, sind Landschaften, die die also keinen Abbildcharakter haben und denen auch der impressionistische Touch fehlt, das heißt das Licht, der Lichtzauber, das sucht man vergeblich. Die tragen eine Stimmung, die eher an die Kunst der viel jüngeren Symbolisten denken lässt."
Vielleicht hätte Degas noch mehr daraus gemacht, wenn sein nachlassendes Augenlicht es noch erlaubt hätte.
Stattdessen macht er plastische Bewegungsstudien, mit schauenden Händen sozusagen, ziemlich grob modelliert: Pferde und Tänzerinnen in verschiedensten Posen; eine Schwangere, eine Masseuse, eine Frau im Badebecken; ein Weib, das sich den Rücken wäscht, und auch mal eine Frau, die, in ihrer Nacktheit überrascht, erschrocken ihre Scham bedeckt. Aus heutiger Sicht erscheinen diese kleinen Plastiken wie eine Rebellion gegen die kalte Perfektion der klassischen Statuen, für Degas waren sie bloßes Arbeitsmaterial.
"Was wir hier sehen, das sind Güsse, die nach seinem Tod, gegossen wurden. Degas selber hat Wachsplastiken gemacht; wir wissen aus Berichten, dass etwa 150 Arbeiten vorhanden waren im Atelier, und 72 davon hat man gerettet und dann in Bronze gegossen."
Zum Schluss der schönen Schau, im großen Hauptausstellungsraum, lässt der Kurator noch einmal die gemalten Mädchen antanzen. Wie in einem Ballettsaal trippeln sie um die Wände, proben ihre Posen und werfen grazil die Arme in die Luft, so gelenkig und quirlig, als hätte der alte Degas sie zum Leben erweckt. Und wir schauen zu und klatschen innerlich Applaus.
Weitere Infos:
Fondation Beyeler
Da sind sie, gleich im ersten Saal, die jungen Tänzerinnen, die ihre Körper biegen und die Glieder strecken, in ihren Röckchen und Trikots, die der Maler mit Farbe umfächelt, und es ist nicht nur ihre Anmut, sondern der starke Akzent auf der Farbe, der den Kurator Martin Schwander schwärmen lässt – grelles Gelb, intensives Türkis, kräftiges Violett.
"Gerade im Spätwerk, da ist er ja in einem Art enthemmtem Stadium, er muss sich ja nichts mehr beweisen und diese Freiheit, die nutzt er eben zu technisch unglaublich kühnen Experimenten. Er hat selber das Wort Farborgien gebraucht im Zusammenhang mit seinen späten Bildern, und dieser Begriff ist sicher nicht abwegig."
Die Heftigkeit des Ausdrucks und die gesteigerte Produktivität stehen in merkwürdigem Gegensatz zu Degas’ Persönlichkeit in jener Zeit. Der alte Degas ist ein mürrischer und menschenscheuer Griesgram, der sich zurückzieht aus den Cafés, Varietés und anderen Lokalitäten der Pariser Lebewelt, die er zuvor ja auch geschildert hat; ein abseitiger Mann mit Marotten, der keine Blumen auf dem Tisch und kein Haustier im Zimmer duldet, wenn er bei Freunden eingeladen ist, und der sich am liebsten in sein Atelier verkriecht, sein Heiligtum, das eine Rumpelkammer ist, in die er nicht einmal die Putzfrau lässt.
"In diesem Atelier, also in wohl auch teilweise verwahrloster Umgebung, hatte er diese paar Requisiten, Schemel, Badewanne, ein paar Handtücher, und mit diesen Requisiten spielten dann jeden Tag die Modelle, die zu ihm kamen."
Es sei, als ob man durch ein Schlüsselloch blicke, sagte Degas selbst einmal über die Frauen, die er malte und deren rosa Fleisch er mit den Augen betastet und mit Pastellstift und Pinsel umschmeichelt. Frauen, die dem Bad entsteigen, um dem Maler ihren Rücken anzubieten; die sich bücken und trocknen, bei der Körperpflege, beim Kämmen.
Nacktheit ist bei Degas nie erotisch oder gar obszön; der Maler, der sich lebenslang obsessiv dem Frauenkörper widmete, war privat ein völlig keuscher Kauz.
Körper in Bewegung, das ist der Motor seiner Malerei. Ein Ausritt mit Rennpferden, da ist Degas in seinem Element. Die farbigen Jacken und Mützen der Jockeys, die sich mit ihren Pferden in der Landschaft tummeln. Und wenn ein Reiter dabei mal vom Pferd fällt – umso besser als Motiv!
Vergleichsweise aktionsarm sind natürlich die Porträts. Und dass der alte Degas auch selbst fotografiert hat, Freunde vor allem, – na schön. Als Vorlage für Bilder hat er die Fotos nie benutzt – ihm genügte seine durchs Experiment gesteigerte Erfahrung als Zeichner.
Aber dass er, der sich über Landschaftsmaler stets abfällig geäußert hatte, dann in späten Jahren selbst zu einem solchen wird, ist bemerkenswert. Er malt reihenweise kleine Pastelle, manche fast abstrakt.
"Diese Landschaften sind konstruierte Landschaften, sind eigentlich Phantasielandschaften, sind Landschaften, die die also keinen Abbildcharakter haben und denen auch der impressionistische Touch fehlt, das heißt das Licht, der Lichtzauber, das sucht man vergeblich. Die tragen eine Stimmung, die eher an die Kunst der viel jüngeren Symbolisten denken lässt."
Vielleicht hätte Degas noch mehr daraus gemacht, wenn sein nachlassendes Augenlicht es noch erlaubt hätte.
Stattdessen macht er plastische Bewegungsstudien, mit schauenden Händen sozusagen, ziemlich grob modelliert: Pferde und Tänzerinnen in verschiedensten Posen; eine Schwangere, eine Masseuse, eine Frau im Badebecken; ein Weib, das sich den Rücken wäscht, und auch mal eine Frau, die, in ihrer Nacktheit überrascht, erschrocken ihre Scham bedeckt. Aus heutiger Sicht erscheinen diese kleinen Plastiken wie eine Rebellion gegen die kalte Perfektion der klassischen Statuen, für Degas waren sie bloßes Arbeitsmaterial.
"Was wir hier sehen, das sind Güsse, die nach seinem Tod, gegossen wurden. Degas selber hat Wachsplastiken gemacht; wir wissen aus Berichten, dass etwa 150 Arbeiten vorhanden waren im Atelier, und 72 davon hat man gerettet und dann in Bronze gegossen."
Zum Schluss der schönen Schau, im großen Hauptausstellungsraum, lässt der Kurator noch einmal die gemalten Mädchen antanzen. Wie in einem Ballettsaal trippeln sie um die Wände, proben ihre Posen und werfen grazil die Arme in die Luft, so gelenkig und quirlig, als hätte der alte Degas sie zum Leben erweckt. Und wir schauen zu und klatschen innerlich Applaus.
Weitere Infos:
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