Der Psychopath in Frauenkleidern ist eine transfeindliche Figur
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Ein Mann in Frauenkleidern ist das personifizierte Böse im neuen "Tatort" aus Wien. Dabei wird das Hin und Her zwischen den Geschlechtern als Wurzel allen Übels gefasst. Warum diese Figur problematisch ist, erklärt der "Tatort"-Experte Matthias Dell.
"Wir müssen die Kinder lebend finden", sagt der Ermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) in einer Teamsitzung. Es ist nicht das einzige Mal, dass im Wiener "Tatort: Die Amme" die Gefahr für die Jungs beschworen wird. Diese geht hier von einem Serienmörder aus, auf den der Titel anspielt: Ein Mann, der selbst Polizist ist, drogensüchtig und ziemlich kaputt.
Ein Mann, der Frauen umbringt, die als Sexarbeiterinnen Geld verdienen, um deren Kinder zu entführen und ihnen dann, das ist die merkwürdige Pointe des Films, eine bessere Mutter zu sein. Dafür zieht er sich Frauenkleider an, setzt sich eine Perücke auf und schminkt sich die Lippen – was der Film exzessiv zeigt.
Es geht um Ausschluss
Die Bösartigkeit, der Sadismus dieser Figur stehen im Zusammenhang mit dem Crossdressing. Hier ist niemand fluide, will non-binär gelesen werden oder als Dragqueen reüssieren – das Hin und Her zwischen den Geschlechterbildern ist vielmehr die Wurzel allen Übels. Und das Übel ist entsprechend groß: Ermittlerin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) kann nicht schlafen, die Musik dröhnt, der Nebel wabert.
Der Psychopath in Frauenkleidern ist, auch wenn das nicht explizit gesagt wird, am Ende transfeindlich. Es geht um Ausschluss: Frauen, die wie Männer aussehen, sind keine richtigen Frauen. Das zeigt der entscheidende Hinweis einer Zeugin, die das Seltsame der Figur daran erkennt, dass sie die falschen Absatzschuhe trug – während richtige Frauen wissen, welches Schuhwerk passt.
Aus der Zeit gefallen
Der "Tatort: Die Amme" wirkt damit wie ein Relikt aus ferner Zeit, denn das populäre Kino hat diese Figur öfter gezeigt. Anthony Perkins in Hitchcocks "Psycho" (1960), Michael Caine in "Dressed to kill" (1980) oder der Buffalo-Bill-Charakter in "Das Schweigen der Lämmer" (1991) sind Beispiele dafür, dass Männer, die Frauen sein wollen, aber ihren Gender Trouble nicht gebacken kriegen, Psychopathen werden müssen.
Problematisch ist das, weil das lange Zeit die einzigen Bilder waren, die medial von Transpersonen kursierten. Wie die Transschauspielerin Jen Richards in der Netflix-Dokumentation "Disclosure" am Beispiel einer Freundin erzählt, die Anfang der 1990er-Jahre als einzige Referenz für eine Transition den Buffalo-Bill-Charakter hatte – um später selbst zu realisieren, wie abwegig dieses Bild ist.
Schon "Das Schweigen der Lämmer" war transfeindlich
So erinnert der Wiener "Tatort" an eine Kultur und die Kritik daran, die es im Fall von "Das Schweigen der Lämmer" schon bei der Oscar-Verleihung 1992 durch Schwulenverbände gab. Die damals aber leichter ignoriert und wieder vergessen werden konnte.
Das ist heute anders, auch weil die Sichtbarkeit von Transmenschen größer und das, was wir Kultur nennen, reicher geworden ist. So kann man "Das Schweigen der Lämmer" weiterhin für einen tollen Thriller halten – und zugleich aber verstehen, dass darin schon erzählt wird, was der J. K. Rowling-Feminismus für ein Problem mit Transfrauen hat.