Brieftaubensport

Über doppelte Karriere-Enden

06:38 Minuten
Brieftaube
Viele Brieftaubenzüchter sind über 70 Jahre alt. © Imago / Funke Foto Services
Von Heinz Schindler |
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Mit Überalterung und Nachwuchsproblemen haben Breiten- oder Hobbysport immer wieder zu kämpfen – auch der Brieftaubensport. Viele Züchter sind im Rentenalter. Hier stellt sich die Frage: Was passiert, wenn sie nicht mehr können?
Geseke-Langeneicke, ein Dorf mitten in der westfälischen Bördelandschaft entlang der Bundesstraße 1, dem alten Hellweg. Wo man seinen Blick kilometerweit in die Ferne richten kann über Äcker und Felder.

Knüppel züchtet seit 1973 Tauben

Wo Bernd Knüppel am Himmel nach seinen Brieftauben suchte, wenn sie den heimischen Schlag im Garten ansteuerten, nachdem sie bis zu 600 Kilometer zurückgelegt hatten. Der Schlag aber steht seit einigen Monaten leer, der 64-Jährige musste seine Taubenzucht krankheitsbedingt aufgeben. Er erzählt:

Ich habe 1973 mit meinem Vater angefangen. Mein Vater hatte schon Brieftauben. Ich habe es jetzt alleine weitergeführt, nachdem mein Vater verstorben ist. Ich habe die Tauben geliebt, sie waren für mich der große Ausgleich in meinem Leben. Wenn ich mal Stress auf der Arbeit hatte, habe ich sofort den Taubenschlag aufgesucht und dann innerhalb von einer Minute den Stress vom ganzen Tag vergessen.

Taubenzüchter Bernd Knüppel

Drei bis fünf Stunden täglich verbrachte er mit den Tieren, begleitete sie vom Schlüpfen bis zum Langstreckenflug – und sie ihn.
Die Wochenenden waren verplant: Am Samstag brachte er die Tauben zur sogenannten Einsatzstelle, von wo aus sie 200 bis 650 Kilometer weit transportiert wurden. Sonntags hieß es dann, darauf zu warten, dass sie wiederkamen. Der Familienurlaub fand im Herbst statt, nach der Taubensaison. 
Während eines mehrmonatigen Krankenhausaufenthaltes fasste er den Entschluss, sich von den Tieren zu trennen. Auf Anraten der Ärzte und weil die Vernunft das Herz überstimmte.
Knüppel führt aus: „Ich bin Dialysepatient und musste aufgrund der Dialyse den Brieftaubensport aufgeben. Meine Frau hat mich ein Jahr betreut, das heißt: die Tauben betreut. Das ist mein Hobby gewesen, meine Frau hat mich super unterstützt. Aber dann muss man irgendwann sagen, dass es nicht mehr geht.“

Oftmals enden zwei Karrieren parallel

Endet eine Karriere im Taubensport, so enden oftmals zwei Karrieren. Auch die der Tiere. Denn die Reisetauben sind auf ihren heimatlichen Schlag fixiert. Und manche von ihnen überleben die Aufgabe einer Zucht dann nicht.
Der Umgang mit den Tauben, das heißt auch, sich selbst einzuschätzen vor dem Hintergrund, dass man nicht jünger wird. Andererseits haben viele erst im Rentenalter die Zeit für die Tauben, die sie sich immer gewünscht haben. Wer überlegt dann schon, wie er mit dem Aufhören anfängt? Wer konfrontiert sich gern mit der eigenen Endlichkeit?

Wenn man an die Tiere denkt, dann müsste man frühzeitig anfangen, drüber nachzudenken: Trenne ich mich von einem Teil der Reisetauben? Nicht, dass auf einmal der große Knall kommt und die Tauben sitzen da. Und es ist keiner mehr da, der sie versorgen will oder kann. Das sollte man schon mit Augenmaß machen. Nur, das habe ich noch nicht oft erlebt.

Taubenzüchter Bernd Knüppel

Manche lieben ihre Tauben mehr als ihre Familien

Diese Erfahrung teilt auch Ingo Zager aus Lichtenau. Er ist Brieftauben-Fotograf und Online- Auktionator. Dafür, dass Züchter die Aufgabe ihres Sports hinausschieben, hat er durchaus Verständnis.
Er sagt: „Diese Menschen, die diese Tiere beherbergen, lieben diese Tiere wahrscheinlich noch intensiver als ihre eigene Familie. Ein Brieftaubenzüchter ist nun mal ein Verrückter. Ich bin selber Brieftaubenzüchter – und ich kann nur sagen, ich bin definitiv auch ein Verrückter.“

Viele Züchter sind zwischen 70 und 85 Jahre alt

Und mit Mitte 40 noch ein sehr junger. Viele Züchter sind zwischen 70 und 85 Jahre alt, immer weniger sind im Deutschen Brieftaubenverband organisiert. Wenn jemand seinen Schlag aufgibt, so werden die Tauben oftmals an befreundete Züchter weitergegeben, werden direkt verkauft. Sogenannte Totalverkäufe hat der Auktionator nur selten: „Dann ist der Züchter an sich verstorben. Entweder tritt die Familie an mich heran oder eben befreundete Züchter, mit denen er jahrelang zu tun hatte. Von denen bekomme ich dann den Auftrag, diese Bestände zu verkaufen.“
Dann ist behutsamer Umgang ebenso gefragt wie schnelles Handeln.

Die Angehörigen wünschen sich dann, dass das Ganze sehr zeitnah geschieht. Die Tiere kosten auch weiterhin Geld. Sie möchten auch nicht, dass die Tauben in falsche Hände kommen. Von daher muss man sich als Auktionator dann auch überlegen, ob man vielleicht diese Sache einfach mal vorzieht. Ich sage es mal so: Geld verdienen ist ja schön, aber man ist dabei auch Mensch geblieben.

Ingo Zager, Online-Auktionator

Wie die Zukunft des Sports gelingen könnte

Tierliebe und Verantwortung miteinander zu vereinbaren – dazu hat Ingo Zager eine Idee, bei der alle gewinnen würden: die Tauben, die alten Züchter und der Brieftaubensport allgemein.
Sein Vorschlag lautet: „Vielleicht einen Außenstehenden, auch wenn es nur ein Nachbar ist, der deutlich jünger ist, an diesen Sport heranzuführen – den man sich vielleicht als Partner nimmt. Der viele Arbeiten, die man nicht mehr so ausführen kann, übernimmt. Und man übt dieses Hobby, so lange wie es geht, dann zu zweit weiter aus.“

Züchter Knüppel gibt seine Tauben in Auktionen ab

Das aber gelingt nur sehr selten. Bernd Knüppel hat seine 120 Tauben in drei Auktionen in andere Hände abgeben können: „Für die Tiere, die ich immer sehr geliebt habe, war es die beste Alternative. Da bin ich ganz froh darüber, dass alle Tiere noch leben und gesund sind.“
Das steht auch für ihn selbst im Vordergrund. Gesund werden, wenn möglich, nicht mehr auf die Dialyse angewiesen sein, die ihn erschöpft. Dennoch: „Ich habe häufig noch eine Träne im Auge, wenn ich durch das Fenster gucke und jetzt die leeren Brieftaubenschläge im Garten sehe.“
Eine Taube hat er noch. Bei den Wellensittichen in einer kleinen Voliere auf der Terrasse: „Die werde ich auch behalten, ist von 2008. Die bekommt das Gnadenbrot, solange sie lebt. In einer schönen Kiste mit Stroh, damit sie ihren Lebensabend hier in Ruhe beenden kann. Ich habe immer viele Tauben gehabt, die das Gnadenbrot bekommen haben, weil ich die ins Herz geschlossen hatte.“
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