Taucheinsatz gegen Geisternetze
Bergung alter Netze aus der Nordsee: Bei Sichtweiten von unter zwei Metern im Wasser ist das nicht einfach. © Deutschlandradio / Dietrich Mohaupt
Sisyphusarbeit in der Nordsee
07:46 Minuten
Jedes Jahr verlieren Fischerboote überall auf der Welt jede Menge Netze im Meer. Diese verheddern sich zumeist am Grund und werden für Fische zur tödlichen Gefahr. In der Nordsee kümmert sich ein Verein um das Problem und holt die Netze wieder raus.
So ein Tauchereinsatz in der trüben, kalten Nordsee will anständig vorbereitet sein: Derk Remmers von Ghost Diving Germany, einem Freiwilligen-Verein von technischen Tauchern, hat die wichtigsten Informationen über das Zielgebiet des Einsatzes zusammengestellt. „Wir fahren heute raus vor die Insel Spiekeroog. Dort liegt, ein paar nautische Meilen draußen, das Wrack des Vorpostenbootes V1101. Das war ein Fischdampfer, 1930 gebaut, 50 Meter lang, acht Meter breit.“
Der Dampfer wurde im August 1944 von britischen Bombern aufgespürt und versenkt. Das Wrack liegt heute – bei Hochwasser – in ungefähr 20 Metern Wassertiefe, und zwar direkt auf einer ehemaligen Schifffahrtslinie. Deshalb wurden in den 1970er-Jahren die Behörden in diesem Bereich aktiv.
Die Netze bleiben an Trümmern hängen
„Damit die Schiffe weiterhin fahren können, wurden die meisten gesunkenen Schiffe gesprengt von den Behörden", erklärt Derk Remmers. Wo die Wracks lagen, seien nun Trümmerfelder. "Trümmerfelder, das kann man sich vorstellen, bieten bei einem Gebiet wie hier, wo wir Sandboden haben im Wesentlichen, eine Fangstelle, wo sich Netze verheddern, und weiter das tun, wofür sie gebaut sind – nämlich weiter Fische fangen." Mit der Zeit würden sie zudem zu Mikroplastik verrieben.
Deshalb müssen diese Netze entfernt werden. Die Organisation Ghost Diving mit Sitz in den Niederlanden hat sich darauf spezialisiert. Der gemeinnützige Verein Ghost Diving Germany ist der deutsche Ableger.
Kai Wallasch, einer der erfahrenen Ghost Diving-Taucher, zeigt das Vorgehen. Für eine Trockenübung an Land hat er ein brandneues Stück grünes Kunststoffnetz mitgebracht – ein typisches Fischernetz, wie es heute überall im Einsatz ist.
„Darum geht’s – das ist der Feind. Die sehen nicht immer so aus – also so sauber und so gut erhalten. Wir haben auch viele Sisalnetze, die sind dann braun, die sind ein bisschen schlammig und oft verkrustet; sind um Dinge herumgewickelt, mehrfach.“
Schneiden, wo das Netz unter Spannung steht
Mit einem Fuß steht Kai Wallasch auf dem unteren Rand des Netzstücks, am oberen Ende zerrt er kräftig mit der linken Hand, um das Netz zu spannen, in seiner rechten Hand hält er ein scharfes Tauchermesser bereit.
Dann zeigt er die Stelle, wo er das Messer ansetzt: "Hier ist noch ein bisschen Gelabber, da ist die Stelle mit der meisten Spannung. So – und dann schneide ich das Stück für Stück ab. Und jetzt kann ich hier das nächste aufschneiden, dann kriege ich das freigeschnitten.“
Eigentlich ganz einfach, an Land jedenfalls! Bei etwa acht bis neun Grad Celsius Wassertemperatur in gut 20 Metern Tiefe stellt sich das schon etwas anders dar.
Das Tauchrevier vor der ostfriesischen Küste kann eine ziemliche Herausforderung sein. „Die Nordsee ist eines der forderndsten Gewässer, die ich kenne zum Tauchen. Wir haben sehr schwer vorhersehbare Wetterverhältnisse, die dann immer das Umfeld beeinflussen; wir haben starke Strömungen, wir können nur im Tidenfenster tauchen und gleichzeitig haben wir sehr eingeschränkte Sichtweiten, über 1,5 Meter freuen wir uns, das ist super – mehr wird es in der Regel nie!“
Und damit die Taucher das nächste Tidenfenster - die Zeit des Wechsels zwischen Ebbe und Flut, in der es so gut wie keinen Gezeitenstrom gibt - nicht verpassen, müssen sie jetzt ganz schnell ihre Ausrüstung vorbereiten und in die Boote.
Derk Remmers gibt noch ein paar letzte Sicherheitshinweise: „Wenn sich jemand nicht wohlfühlt, wenn jemand irgendwie denkt, das ist heute nicht meins … Bescheid geben! Nicht tauchen, nicht reingehen! Sicherheit ist das Allerwichtigste für uns", mahnt er.
"Guckt, dass ihr wirklich darauf achtet, was die Skipper sagen! 'Go' heißt ins Wasser gehen, achtet auf die Boje, schwimmt da direkt hin, passt auf, dass ihr nicht weggetrieben werdet, ihr könnt euch an der Boje festhalten, wir haben unten einen Anker!“
Sisyphusarbeit am Meeresboden
Schnell noch die Gruppen einteilen, dann geht es los. Zu einem Einsatz, der ein bisschen an die berüchtigte Sisyphusarbeit erinnert. „Man schätzt, dass pro Jahr etwa 640.000 Tonnen Fischereiausrüstung weltweit verloren gehen. Und die verhaken sich irgendwo, die bleiben da und fischen weiter. Und da können wir unseren winzig kleinen Beitrag leisten."
Nach etwa zwei Stunden Fahrt haben die Taucher und das Begleitboot, der historische Segelkutter „Gebrüder“ aus Neuharlingersiel, die Wrackposition vor Spiekeroog erreicht.
Langsam umkreist der Kutter in respektvollem Sicherheitsabstand die Boote mit den Tauchern, auf denen die letzten Vorbereitungen so gut wie abgeschlossen sind, wie Stefanie Wiener von Ghost Diving Germany erläutert. „Die haben erst mit dem Sonar den Boden gescannt, wo die beste Stelle ist, um den Tauchgang fortzuführen. Und jetzt sind die Bojen drin, der Anker ist gesetzt."
Die ersten Taucher haben sich auf dem Schlauchboot bereitgemacht. Sie gehen als erste in Wasser und schauen, ob dort etwas zu finden ist. "Und wenn etwas zu finden ist, geht auch der Rest von dem Boot und von dem anderen Boot tauchen“, erklärt Wiener.
Hebesäcke helfen beim Bergen
Kurz darauf sind alle zehn Taucherinnen und Taucher in Zweier-Teams in den grauen Fluten der Nordsee verschwunden. Jetzt heißt es abwarten.
Nach einer Weile tauchen die ersten sogenannten Hebesäcke an der Wasseroberfläche auf, große, mit Pressluft gefüllte Ballons, an denen die Taucher die losgeschnittenen Netzreste festgemacht haben.
Eines der Schlauchboote bringt sie zum Kutter, vorsichtig werden die ersten Fangergebnisse über die Bordwand gehoben, darunter ein ziemlich schwerer Klumpen, dunkelgrüne Reste von einem Kunststoffnetz:
„Ein Zentner, vielleicht ein bisschen mehr.“
„Ein Zentner, vielleicht ein bisschen mehr.“
Bevor Derk Remmers mit dem Schlauchboot wieder losfährt, gibt er noch einen kurzen Zwischenbericht und spekuliert unter anderem über Alter und Art der verschiedenen, bisher aus dem Wasser gefischten Netze.
„Diese Naturfaser hier: wahrscheinlich 50 Jahre, so um den Dreh. Dann haben wir hier, darin verwickelt, Dolly Ropes, das sind Abrissfäden an großen Schleppnetzen. die Dinger sind die Pest.“
Die Taucher sind erschöpft
In den nächsten Stunden liefern die Schlauchboote immer wieder solche Bündel abgeschnittener Netze auf dem Kutter ab – am Ende sind es etliche Zentner, die Taucheinsätze haben sich richtig gelohnt.
Zum Abschluss der Aktion fährt das große Schlauchboot noch einmal dicht an den Kutter „Gebrüder“ heran – die Taucher sind erschöpft. So ein halbstündiger Tauchgang mit der Arbeit unter Wasser sei durchaus mit einem Lauf über zehn Kilometer bergan zu vergleichen, erzählen sie.
Aber sie sind auch zufrieden mit ihrer Arbeit bei nicht gerade einfachen Bedingungen. „Ja, ein bis zwei Meter Sicht – viel, viel Netz, eine Menge davon liegt schon an Bord. Auf jeden Fall ein super Gefühl. Wir haben einiges rausgeholt und das ist einfach nur toll. Aber wir werden ganz sicher nochmal wieder hierherkommen.“