Taumelnd tanzend
Es gehört zu den Traditionen des Festivals "euro scene Leipzig", mehr oder minder poetische Titel für das Gesamtprogramm zu finden, Titel, die die meisten auf dem Festival vertretenen Produktionen in ihrem inhaltlichen Kern erfassen. "Spaltungen" war der Titel im vorigen Jahr und der sollte anzeigen, dass Persönlichkeitsspaltung und innere Zerrissenheit von Figurengruppen im Zentrum mehrerer Inszenierung standen.
"Taumelnd auf glatter See" lautet der Titel in diesem Jahr. Ein Zeichen für die Existenz des modernen Menschen in einer immer undurchschaubaren Zeit soll das sein; auf der einen Seite die glatte, glitzernde Oberfläche auf der anderen die Angst vor den Untiefen, den nicht geahnten Katastrophen, die in der Tiefe lauern.
Gegen die unsichtbare Macht des Schicksals müssen sich auch die vier Protagonisten von Josef Nadjs Tanzschöpfung "Entracte" zur Wehr setzen. Diese Inszenierung war bewusst zur Eröffnung auf den Plan gesetzt worden – auch weil das diesjährige Festival eine Werkschau mit drei Produktionen des weltbekannten Choreographen aus Orleans sowie eine Ausstellung von Grafiken des Meisters zur bestimmenden Programmachse des Festivals gemacht worden war. In "Entracte" lässt sich Nadj wieder einmal von großer Literatur inspirieren – nicht von Texten der sonst von ihm bevorzugten Dichter Büchner, Kafka oder Beckett, sondern von einem in Europa weniger bekannten sogenannten "Weisheitsbuch", dem Buch der Wandlungen" das 200 Jahre vor Christi Geburt im alten China fertig gestellt worden ist und von dem Hermann Hesse einmal gesagt hat: "Alles, was von Menschen je gedacht oder gelebt worden ist, steht in diesem Buch". Wandlungssituationen von Mensch und Natur sind darin beschrieben, immer wiederkehrende menschliche Grundeigenschaften und Grundsituationen. Aus der Vielzahl solcher Wandlungssituationen hat Nadj einen Problemkomplex herausgelöst, der sich als ohnmächtiger Kampf gegen die Macht des Schicksals beschreiben lässt.
Nadj selbst, der ja auch ein begnadeter Tänzer ist, wehrt sich verzweifelt gegen eine unsichtbare Decke, die unerbittlich auf ihn herunterfährt, zusammen mit drei anderen Tänzern stemmt er sich gegen einen unsichtbaren Sog, der die Gruppe nach unten zu ziehen droht und ebenfalls zusammen mit der Gruppe, versucht er in irrwitzigen Bewegungen, unsichtbare Fesseln abzustreifen. Liest man das Buch der Wandlungen genau, so sind dort tatsächlich Handlungsanweisungen wie "beharrlich sich widersetzen", "Fesseln ablegen" oder "sich wehren gegen Übergriffe der Mächtigen" zu lesen. Das Bühnengeschehen wird strukturiert und zugespitzt durch die Musik von Akosh Szelevenij, die schrille Klangflächen zum Furioso steigert und den Gestus der Tänzer vorgibt.
Von Nadj auch der bisherige Höhepunkt des Festivals: die Tanzschöpfung "Woyzeck", die den Untertitel "der Entwurf des Taumels" trägt. An Büchners Werk interessiere ihn weniger der Ablauf der Geschehnisse, vielmehr das "Mysterim", das diesem Text innewohnt, hat Nadj einmal gesagt. In der Vorahnung des Todes, die fünf Figuren taumeln lässt, sieht er dieses "Mysterium". Fünf deformierte Gestalten mit schrägem Kopf, ausgestopften Armen und verzerrtem Gesicht quälen sich und andere: Der Doktor stopft anstelle von Erbsen rote Glaskugeln in Woyzecks Mund, der formt einen Kopf aus Knete und zerspaltet ihn mit scharfem Messer. Insgesamt erschütternd, was Menschen dem Menschen antun können. Mit einem Wort "Welttheater". Von den vielen experimentellen Inszenierungen sei der britische Beitrag "Speaking dance" genannt – ein Versuch des ehemaligen Solisten des Londoner Royal Balletts Jonathan Burrow, zusammen mit seinem italienischen Partner Matteo Fargion das Zusammenwirken von Ton und Bewegung, von Text und Tanz zu erkunden, ein Versuch, der mehr auf die Erweiterung der theatralischen Formensprache, weniger auf eine beschreibbare inhaltliche Aussage abzielt.
euro scene Leipzig
Gegen die unsichtbare Macht des Schicksals müssen sich auch die vier Protagonisten von Josef Nadjs Tanzschöpfung "Entracte" zur Wehr setzen. Diese Inszenierung war bewusst zur Eröffnung auf den Plan gesetzt worden – auch weil das diesjährige Festival eine Werkschau mit drei Produktionen des weltbekannten Choreographen aus Orleans sowie eine Ausstellung von Grafiken des Meisters zur bestimmenden Programmachse des Festivals gemacht worden war. In "Entracte" lässt sich Nadj wieder einmal von großer Literatur inspirieren – nicht von Texten der sonst von ihm bevorzugten Dichter Büchner, Kafka oder Beckett, sondern von einem in Europa weniger bekannten sogenannten "Weisheitsbuch", dem Buch der Wandlungen" das 200 Jahre vor Christi Geburt im alten China fertig gestellt worden ist und von dem Hermann Hesse einmal gesagt hat: "Alles, was von Menschen je gedacht oder gelebt worden ist, steht in diesem Buch". Wandlungssituationen von Mensch und Natur sind darin beschrieben, immer wiederkehrende menschliche Grundeigenschaften und Grundsituationen. Aus der Vielzahl solcher Wandlungssituationen hat Nadj einen Problemkomplex herausgelöst, der sich als ohnmächtiger Kampf gegen die Macht des Schicksals beschreiben lässt.
Nadj selbst, der ja auch ein begnadeter Tänzer ist, wehrt sich verzweifelt gegen eine unsichtbare Decke, die unerbittlich auf ihn herunterfährt, zusammen mit drei anderen Tänzern stemmt er sich gegen einen unsichtbaren Sog, der die Gruppe nach unten zu ziehen droht und ebenfalls zusammen mit der Gruppe, versucht er in irrwitzigen Bewegungen, unsichtbare Fesseln abzustreifen. Liest man das Buch der Wandlungen genau, so sind dort tatsächlich Handlungsanweisungen wie "beharrlich sich widersetzen", "Fesseln ablegen" oder "sich wehren gegen Übergriffe der Mächtigen" zu lesen. Das Bühnengeschehen wird strukturiert und zugespitzt durch die Musik von Akosh Szelevenij, die schrille Klangflächen zum Furioso steigert und den Gestus der Tänzer vorgibt.
Von Nadj auch der bisherige Höhepunkt des Festivals: die Tanzschöpfung "Woyzeck", die den Untertitel "der Entwurf des Taumels" trägt. An Büchners Werk interessiere ihn weniger der Ablauf der Geschehnisse, vielmehr das "Mysterim", das diesem Text innewohnt, hat Nadj einmal gesagt. In der Vorahnung des Todes, die fünf Figuren taumeln lässt, sieht er dieses "Mysterium". Fünf deformierte Gestalten mit schrägem Kopf, ausgestopften Armen und verzerrtem Gesicht quälen sich und andere: Der Doktor stopft anstelle von Erbsen rote Glaskugeln in Woyzecks Mund, der formt einen Kopf aus Knete und zerspaltet ihn mit scharfem Messer. Insgesamt erschütternd, was Menschen dem Menschen antun können. Mit einem Wort "Welttheater". Von den vielen experimentellen Inszenierungen sei der britische Beitrag "Speaking dance" genannt – ein Versuch des ehemaligen Solisten des Londoner Royal Balletts Jonathan Burrow, zusammen mit seinem italienischen Partner Matteo Fargion das Zusammenwirken von Ton und Bewegung, von Text und Tanz zu erkunden, ein Versuch, der mehr auf die Erweiterung der theatralischen Formensprache, weniger auf eine beschreibbare inhaltliche Aussage abzielt.
euro scene Leipzig