Wie ein Fußballverein seine Stadt verließ

Tawrija Simferopol war auch mal Fußballmeister der Ukraine: Seit der russischen Annexion der Krim gestalten sich die Geschicke des Vereins schwierig. Ein ukrainischer Nachfolge-Club spielt fernab der früheren Heimat nur noch in der dritten Liga.
An einem klaren Novembertag erklingt irgendwo im Süden der Ukraine die Nationalhymne. Laute Anfeuerungsrufe einiger Hundert Menschen durchdringen die Stille, die sonst rund um die kleine Sportanlage herrscht.
Die Szene ist im Internet abrufbar – Fans haben sie eingestellt. Deren Verein, der seine Heimspiele hier im Städtchen Beryslaw in der Oblast Cherson austrägt, ist kein gewöhnlicher. Tawrija Simferopol war mal ukrainischer Meister – der einzige, der bisher die Dominanz der Koryphäen Dynamo Kiew und Schachtjor Donezk durchbrechen konnte.
"Das kann nicht das Ende sein"
Heute spielt Tawrija in der dritten Liga. Noch dazu fernab seiner eigentlichen Heimat, der annektierten Halbinsel Krim. Dass der Klub heute in Beryslaw eine Elf auf den Platz schicken kann, hat er auch seinen Anhängern zu verdanken. Einer von ihnen sitzt in einem Kiewer Café und bestellt starken Kaffee. Aus dem Lautsprecher über seinem Kopf dröhnt etwas zu laute Musik.
Oleg Komuniar spricht viel über Fußball. Für seinen Herzensklub Tawrija, erzählt er, sah es vor fünf Jahren nicht gut aus: "Der Klub wurde im Jahr 2014 aus der Meisterschaft ausgeschlossen und hat aufgehört zu existieren. Außerdem ist der Hauptinvestor ins Ausland geflohen. Wir haben uns aber in Kiew zu einer Gruppe zusammengefunden und gesagt, dass das nicht das Ende gewesen sein kann. Dass wir den Klub neu gründen wollen."

Unterstützte einst in Simferopol die Maidan-Bewegung: Oleg Komuniar.© Peter Sawicki
Komuniar ist ein politischer Mensch. Er hat in Simferopol den Maidan unterstützt. Wie zahlreiche andere Fans verlässt er die Krim nach der Annexion. Komuniar vernetzt sich mit Gleichgesinnten. Sie schicken Petitionen für eine Wiederbelebung von Tawrija – an Politiker, Sponsoren und Funktionäre. Doch niemand antwortet. 2015 stoßen sie dann bei Facebook auf einen gewissen Taras Berezovets. Der Politologe ist Tawrija-Fan und offenbar gut vernetzt:
"Ich habe ihn angeschrieben, unser Anliegen geschildert – und er war bereit, uns zu helfen. Er dann hat eine Konferenz organisiert, und uns dazu eingeladen. Der frühere Klubpräsident Sergiy Kunitsyn war da, und einige Sportjournalisten. Kunitsyn hat auf der Konferenz eine große Rede gehalten, und er kündigte die Wiedergeburt des Klubs an."
Zur Saison 2016/17 ist es soweit. Tawrija nimmt in der Amateurklasse den Betrieb wieder auf. Von der neuen Stätte in Beryslaw sind es nur 120 Kilometer bis zur Krim. Dort existiert in Simferopol parallel ein zweiter Nachfolgeklub – er spielt in der neuen, international isolierten Krim-Liga.
Ukraines Präsident besuchte den Verein
Für das neue Tawrija auf dem ukrainischen Festland geht es bis in die dritthöchste Spielklasse. Mit neuem Kader und einem regionalbekannten Trainer. Wirtschaftlich aber, klagt Oleg Komuniar, ist die Lage konstant prekär: "Ich sage es mal so: Ein paar Geschäftsleute aus der Region greifen dem Klub unter die Arme. Aber das ermöglicht uns keine großen Ausgaben. Eine richtige Finanzplanung ist so sehr schwer machbar, im Prinzip löschen wir nur Feuer."
Der Klub hat Fördermittel beim Verband und der UEFA beantragt, noch ist aber kein Geld geflossen. Gleichzeitig beobachtet der Journalist Denis Trubetskoy, dass die Politik das neue Tawrija zunehmend für sich entdeckt: "Zum Beispiel hat der ukrainische Präsident Poroschenko den Verein besucht und den Bau eines neuen Stadions im Bezirk Cherson angekündigt. Es ist für den ukrainischen Fußballverband auch eine wichtige politische Angelegenheit. Die Zuständigkeit der Krim, sage ich mal, in dieser Fußballwelt ist auch eine ziemlich große und schwierige Frage, die seit 2014 ungelöst bleibt."
Zu einem großen Politikum, ergänzt Trubetskoy, dürfte Tawrija Simferopol aber erst bei einer Rückkehr in die oberste Liga werden. Und das sei noch nicht absehbar.
Oleg Komuniar träumt in Kiew trotzdem von besseren Zeiten. Vor allem wünscht er sich stabile finanzielle Verhältnisse. Er ist aber stolz auf das bisher Erreichte: "Im Zuge des Krieges hier im Land sind viele Vereine früher oder später zugrunde gegangen – und verschwunden. Wir aber sind wiedergekommen. Und das ist etwas sehr Besonderes."