"taz"-Kolumne und Randale in Stuttgart

Nicht gleich vom Bürgerkrieg sprechen

09:33 Minuten
Nach der Randale: Ein Polizeiwagen ohne Scheiben in Stuttgart.
"Das ist jugendlicher Gewaltrausch": Polizeiwissenschaftler Behr über die Randale in Stuttgart. © picture alliance/dpa/Marijan Murat
Rafael Behr im Gespräch mit Axel Rahmlow |
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Bundesinnenminister Seehofer hat eine Verbindung von der umstrittenen "taz"-Kolumne zu der Randale in Stuttgart hergestellt. Der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr findet das „sehr kühn“ und plädiert für mehr Sachlichkeit in der Debatte.
Nach den Ausschreitungen in Stuttgart am Wochenende hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine entschlossene Reaktion angekündigt, ebenso wie der Bundesinnenminister Horst Seehofer. Er ist extra nach Stuttgart gekommen und hat in diesem Zusammenhang noch einmal einen Zusammenhang zu der kontrovers diskutierten Kolumne "All cops are berufsunfähig" in der Tageszeitung "taz" hergestellt: Man könne das nicht hinnehmen, weil "eine Enthemmung der Worte unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten führe und zu Gewaltexzessen, genauso wie man es jetzt in Stuttgart gesehen habe".
Lässt sich so ein Zusammenhang wirklich herstellen? Fördern Artikel wie diese Kolumne Respektlosigkeit und Aggression gegenüber der Polizei? Rafael Behr ist da skeptisch. Er ist Soziologe und Professor für Polizeiwissenschaft an der Akademie der Polizei Hamburg.

"Solche Geschehnisse haben wir seit 1962"

Er hält die Kolumne für "unterirdisch und einfach nicht diskutabel". In der Reaktion auf die Kolumne werde jedoch jetzt "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet". Es wäre jetzt "völlig unnatürlich einzufordern, sich insofern rückhaltlos und kritiklos hinter einen Apparat zu stellen, der tatsächlich viel Macht ausübt. Das kann doch niemand ernsthaft wollen."
Eine Verbindung von der Kolumne zu den Taten zu konstruieren, sei "schon sehr kühn": "Das würde ja voraussetzen, dass diese jungen Leute, die ja in Stuttgart randaliert haben, tatsächlich diesen Diskurs mitgemacht haben." Behr bezweifelt das.
Die nun harten Sprüche des Innenministers sollten offenbar vor allem Wählerstimmen bringen, meint Behr. Er könne auch nicht sehen, dass die Polizei ihren Auftrag in Stuttgart nicht erfüllt habe: "Solche Geschehnisse haben wir seit 1962 bei den Schwabinger Krawallen", sagt Behr, das sei nicht berechenbar. "Da soll man nicht gleich vom ,Bürgerkrieg’ sprechen und vom 'Untergang des Abendlandes'".
"Mich ärgert, dass es immer wieder heißt, dieses Ereignis war das Schlimmste, das es je gab, und es wird immer schlimmer. Das sagen bestimmte Gewerkschaftsvertreter schon jahrelang." Solche Äußerungen hätten keine empirische Grundlage, sie seien vor allem Rhetorik.

"Mauer des Schweigens" in der Polizei

Die einzige Kritik, die Behr an die Polizei richten würde, sei, dass sie immer noch versuche, Probleme wie Rassismus oder übertriebene Gewalt auf Einzelne zu reduzieren. Die Polizei sei nicht rassistisch, "aber es gibt schon Strukturen, die Aufklärung gegenüber Rassismus und überbordender Gewalt verhindern beziehungsweise erschweren." Eine "Mauer des Schweigens" verhindere zum Beispiel, dass Polizisten ihre Kollegen bei Nazisprüchen verraten würden: "Dann greift diese Solidaritätsregel: 'Wir halten alle zusammen'".
Zudem müsste sehr viel mehr in Situationen und Gruppendynamiken gedacht werden, meint Behr. Das gelte auch für die Analyse der Ereignisse in Stuttgart: "Das ist jugendlicher Gewaltrausch, da kommt ganz viel zusammen. Und ich wäre froh, wenn es eine Gelegenheit gäbe, das wieder nüchtern zu analysieren."
(sed)
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