taz mit Sonderausgabe "Entschwörung"

Im Dialog mit den eigenen Lesern

07:32 Minuten
Barbara Junge steht in legerer Kleidung und mit ernstem Blick vor einer Metallkonstruktion.
Die taz entspringt einem anti-staatlichen Milieu, heute wirft ihr mancher Leser vor, regierungskonform zu sein. Chefredakteurin Barbara Junge und ihr Blatt reagieren mit einem Dossier. © imago/epd-bild/Rolf Zoellner
Barbara Junge im Gespräch mit Dieter Kassel |
Audio herunterladen
Die taz ist auf Entschwörungskurs: In einem Dossier setzt sich das Blatt mit verschwörungstheorie-nahen Positionen in der eigenen Leserschaft auseinander. Man wolle das Gespräch nicht abbrechen lassen, sagt Chefredakteurin Barbara Junge.
Dieter Kassel: Regierungsnah, Mainstream, konform, feige, lässt keine Gegenmeinungen zu, unkritisch – an welche Tageszeitung würden Sie da als erstes denken? Gemeint ist die taz. Dieses und Ähnliches musste sich die Redaktion der taz in den letzten Wochen von Leserinnen und Lesern anhören, in Bezug auf die Berichterstattung zur Corona-Pandemie und den Regierungsmaßnahmen dagegen.
Einen Teil dieser Kritik hat die taz heute abgedruckt im Rahmen ihres Dossiers Entschwörungs-taz. Barbara Junge ist eine der beiden Chefredakteurinnen der taz. Was ist das für ein Gefühl, wenn einem plötzlich vorgeworfen wird, man sei ein Sprachrohr der Regierung?

Kritische Leserbriefe und Kündigungen

Junge: Die Diskussionen waren immens, auch in der Redaktion. Wir haben uns natürlich gefragt: Machen wir zu wenig, bekommen Gegenmeinungen zu wenig Platz? Und wir haben uns überlegt, wir machen ein Pro und Contra – wir haben nur immer die Contra-Positionen nicht gefunden. Dann haben wir trotzdem natürlich diese Leserbriefe bekommen. Und auch unsere Genossinnen, das sind immerhin die Eigentümerinnen, haben uns bedrängt. Es gab 50 Kündigungen. Das heißt, wir hatten das Gefühl, wir mussten was machen.
Aber der eigentliche Entschluss, diese Entschwörungs-taz zu machen, kommt mehr aus persönlichen Erfahrungen - immer mehr von uns hatten Geschichten zu berichten davon, wie Freunde plötzlich anfingen, Ken-Jebsen-Videos zu teilen, Verschwörungstheorien. Unser Inlandschef Tobias Schulz hat aus seinem ganz persönlichen Umfeld ein ganzes Dossier kruder Argumentationen zugesandt bekommen – und da haben wir gemerkt: Sie sind mitten unter uns. Und da wollten wir dann tatsächlich was machen, haben es auch als Aufgabe empfunden, ins eigene Milieu zu gehen.
Kassel: Zu diesem eigenen Milieu gehört auch eine Arztpraxis. Sie haben in dieser Entschwörungs-taz ein Interview mit zwei Ärzten. Fielen die auch in die Kategorie, wo manche vorher in der Redaktion gesagt haben, mit denen kann man nicht mehr vernünftig reden?

Früher rational, jetzt auf Abwegen

Junge: Ja, auf jeden Fall, und nicht nur aus der Redaktion, auch das, was wir dann im Umfeld gehört haben, war immer: Die waren mal ganz rational, aber sie sind auf Abwegen. Das ist hart gesagt, aber das ist das, was eben an uns herangetragen wurde. Und dann haben wir gesagt, okay, dann reden wir doch einfach mal mit denen.
Wir wollen ja gerade die Grenzen zwischen Verschwörung und berechtigter Kritik herausstellen. Wir wollen hören, was die Leute sagen. Und wir wollen einfach das Gespräch, den Streit nicht abbrechen lassen mit unserem eigenen Milieu, mit unseren eigenen Leserinnen, sodass wir auch ein Gesprächsangebot gemacht haben mit dieser Ausgabe.
Kassel: Was ich erstaunlich finde: Beim Lesen des Interviews kam mir das gar nicht so vor, dass die so schwierig und nicht mehr berechenbar seien.
Junge: Das war auch nicht ganz einfach, das Gespräch dann so zu veröffentlichen, dass sie sich korrekt behandelt fühlten. Das ist das, was der Redakteur zurückgetragen hat: Dass natürlich die ganzen Anwürfe, die die jetzt bekommen, sie auch vorsichtig machen, unsicher kann ich nicht sagen, ich war selbst nicht dabei, aber sie tasten auch.
Aber das ist doch dann auch gut, wenn beide Seiten tasten. Wir haben auch noch mit jemand anderem gesprochen, wir wollten nicht immer nur auf Demonstrationen, das bringt eh nichts, da ist so eine Konfrontation da. Ich habe bei mir um die Ecke plötzlich bei dem Fahrradhändler meines Vertrauens ein Plakat vom Demokratischen Widerstand im Fenster gesehen, neben all den Fahrrädern, und darüber ein Grundgesetz. Und ich habe mich gefragt, der ist nett, irgendwie kauzig: Was ist da? Und dann ist eine unserer Redakteurinnen hingegangen und hat mit ihm gesprochen, und die Welten waren nicht so weit auseinander, dass man nicht miteinander sprechen konnte.
Kassel: Aber ist das nicht hochinteressant, wenn man sich nur mal die Vorwürfe anguckt, wenn gesagt wird, ich glaube einfach nicht alles, was die Regierung macht, ich gehe nicht grundsätzlich davon aus, dass es richtig ist, und ich ärgere mich darüber, wenn das in den Medien nicht entsprechend dargestellt wird: Wenn wir mal ein paar Jahrzehnte zurückgehen, mit solchen Argumenten ist die taz ja mal gegründet worden.
Junge: Die taz ist gegründet worden in antistaatlicher Tradition, als Reaktion auf den Deutschen Herbst. Verschwörungstheorien waren auch Teil der damaligen linken Bewegung, auch der taz. Aber die Linke insgesamt hat sich ja weiterentwickelt.

Nicht alle Demonstranten über einen Kamm scheren

Kassel: Glauben Sie denn, dass man Menschen mit dem Erklären und Dementieren von Verschwörungstheorien wirklich noch erreicht? Wir haben gerade darüber geredet, als ginge das. Aber es bleiben doch auch Zweifel.
Junge: Man kann doch nicht alle, die jetzt auf diesen Hygiene-Demos sind, über einen Kamm scheren. Das sind unterschiedliche Leute. Wir haben ja auch mit Leuten dort gesprochen, und wir haben mit Leuten in Stuttgart gesprochen, das sind nicht alles Verschwörungstheoretiker. Manche sind dort, die haben Kritik an der Rolle der Gates Foundation, aber sagen immerhin noch nicht, was andere tun, Gates sei Anführer einer Geheimloge, die die Weltbevölkerung dezimieren will.
Bei uns sind viele Leserinnen und Leser, die dem Medizinapparat sehr skeptisch gegenüberstehen und nach anderen Erklärungen suchen. Immer, wenn die taz Homöopathie thematisiert, haben wir eine riesige Welle. Aber das ist ein Graufeld. Und da wollen wir das Gespräch nicht abbrechen lassen.
Leute, die an Verschwörung glauben wollen, glauben an Verschwörung .- die erreichen wir nicht, da stimme ich Ihnen zu. Aber es gibt Leute, mit denen kann man reden und die wollen auch reden, das ist ja das Interessante dabei. Und es ist nicht nur das Kreuzberger Milieu, der Fahrradhändler ist zum Beispiel ganz klassischer Prenzlauer Berg, da kommt aus dem Osten auch noch mal eine andere Sicht drauf.

Alle haben sich vorgetastet

Kassel: Haben wir am Anfang der Kontaktbeschränkungen vielleicht ein paar Fehler gemacht, indem wir als Journalisten zu unkritisch waren, indem wir - anstatt zu hinterfragen, ist das gerechtfertigt, sowohl medizinisch, als auch vom Grundrecht her - einfach nur gleich gesagt haben, wir erklären den Leuten lieber nur, wie sie damit gut zurechtkommen?
Junge: Ja, aber die Situation war ja tatsächlich auch so, dass es für alle völlig unbekannt war. Da haben sich alle vorgetastet. Aber man kann schon zu dem Schluss kommen, dass es hilfreich ist, die nötige Distanz zu Jens Spahn und Lothar Wieler wieder herzustellen. Journalisten sind immer gut beraten, Distanz zur Macht zu halten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Der Politologe Michael Koß hält die Aktion der taz an sich für bemerkenswert.
Im Gespräch in unserer Sendung "Studio 9 - Der Tag mit..." macht er allerdings auch Zweifel stark, ob sie tatsächlich erfolgversprechend ist. Hören Sie hier unser Gespräch mit ihm:

Audio Player

Mehr zum Thema