Roboterparadies Japan?
Ob Astro Boy oder Robohotel: Japan gilt vielen hierzulande als Roboterparadies - und die Japaner als ein Volk, das der Robotik gegenüber besonders aufgeschlossen ist. Doch stimmt das überhaupt? Die Japanologin Cosima Wagner rückt einige Klischees zurecht.
Sind die Japaner wirklich viel aufgeschlossener, was den Einsatz von Robotern in Pflegeheimen, Hotels und Haushalten angeht? Cosima Wagner, Japanologin und wissenschaftliche Bibliothekarin an der FU Berlin von der Freien Universität Berlin bezweifelt, dass Japaner ein anderes Verhältnis zu Robotern haben als Europäer.
"Wenn Sie auf der Straße mit gewöhnlichen Menschen sprechen würden und sie fragen würden: Möchten Sie einen Roboter in Ihrem Haus haben?, bin ich sehr skeptisch, ob das andere Antworten geben würde als hier", sagte Wagner im Deutschlandradio Kultur.
"Ein Vorurteil, das sich in den Medien immer wieder gut verkauft"
Im Alltag begegne man Robotern auch in Japan jedenfalls nicht unmittelbar. "Natürlich gibt es zahlreiche Prototypen, die in Seniorenheimen getestet werden oder es gibt spielzeugartige Roboter sicher in einer großen Fülle", so die Japanologin. Dennoch: "Diese Vorstellung davon, dass in Japan die Zukunft schon begonnen habe und wir nur noch nach Japan gucken müssten, um zu sehen, wie die dann aussieht, das ist ganz sicher ein Vorurteil und etwas, was sich aber anscheinend in den Medien immer wieder sehr gut verkauft."
Allerdings werde das Thema Roboter in Japan anders kommuniziert als hier, räumt Wagner ein. Es gebe andere Technikbilder, Ideen und Figuren, die die Robotik bestimmten und die in den Medien und der Politik überall präsent seien.
Bis heute ein populäres Symbol: Astro Boy
Zum Beispiel Astro Boy, die 1951 erfundene Comicfigur: Anfangs sei Astro Boy das Symbol für den Wiederaufbau Japans nach dem Krieg gewesen, später dann ein Symbol für die Hoffnung auf eine friedliche Nutzung der Technik.
"Auch heute noch wird Astro Boy in Wissenschaftsmuseen genommen, um eben damit Technik zu erklären. Buchtitel lauten zum Beispiel: 'Robotik verstehen mit Astro Boy'."
Derzeit werde Astro Boy im Rahmen der Roboterrevolutionsstrategie der japanischen Regierung verwendet, sagt Wagner. "Beispielsweise in der Präfektur Kanagawa, wo eine 'Special Zone' entstanden ist, in der Roboter im Alltagsleben getestet werden sollen. Und wenn Sie da sich informieren möchten, gibt es eine Webseite, auf der Astro Boy dann alles genau erklärt."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: In Fabrikhallen sind Roboter schon seit Jahrzehnten anzutreffen. Da allerdings sehen sie echten Menschen nicht besonders ähnlich. Das wird sich wohl nach und nach ändern.
Auf der heute beginnenden Computer- und Elektronikmesse CeBIT in Hannover geht es deshalb in diesem Jahr auch sehr stark um Roboter, die Menschen dann doch eher ein bisschen mehr ähneln und auch viel mehr Dinge tun können, zu denen bisher nur echte Lebewesen imstande waren, was vielen Menschen Angst macht, aber, so will es zumindest ein europäisches Vorurteil, den Menschen in Japan nicht so sehr, denn Japaner gelten ja gemeinhin als nicht nur allgemein recht technik-, sondern vor allen Dingen auch ganz konkret roboterfreundlich.
Die Japanologin Cosima Wagner, wissenschaftliche Bibliothekarin an der Freien Universität Berlin beschäftigt sich schon lange mit dem Verhältnis der Japaner zu moderner Technik, hat vor knapp vier Jahren ein Buch geschrieben mit dem Titel "Robotopia Nipponica". Mit ihr wollen wir deshalb über dieses Thema jetzt reden. Schönen guten Morgen, Frau Wagner!
Cosima Wagner: Guten Morgen!
Das Thema wird in Japan anders kommuniziert
Kassel: Warum, kann man das konkret erklären, warum haben Japaner zumindest teilweise doch tatsächlich ein aufgeschlosseneres Verhältnis zur Robotik als zum Beispiel Europäer?
Wagner: Die Frage würde ich ein bisschen anders beantworten oder umstellen: Ich würde nicht sagen, dass Japaner ein ganz anderes Verhältnis zu Robotern haben als Europäer. Aber ich würde sagen, dass das Thema Roboter in Japan anders kommuniziert wird und dass es andere Technikbilder, Leitbilder, Ideen gibt, Figuren, die die Robotik bestimmen und die auch in den Medien, in der Politik und überall präsent sind. Also, es wird immer davon gesprochen, dass es in Japan den berühmten Astro Boy gibt, der eine große Auswirkung hat auf die Ideen der Robotikingenieure, wie es in der Politik eben als Marketingfigur sozusagen auch verwendet wird. Wenn Sie jedoch auf der Straße mit gewöhnlichen Menschen sprechen würden und Sie fragen würden, möchten Sie einen Roboter in Ihrem Haus haben, bin ich sehr skeptisch, ob das andere Antworten geben würde als hier.
Kassel: Aber wer ist denn nun der gerade jetzt von Ihnen erwähnte Astro Boy, was ist das für eine Figur?
Wagner: Astro Boy ist eine Comicfigur, die im Jahr 1951 vom Zeichner Osamu Tezuka erfunden wurde, die sozusagen in der Zeit als Symbol für den technischen Wiederaufbau Japans gesehen wurde. Der Zeichner wollte damit zwar eigentlich eine ganz andere Botschaft überbringen, nämlich es ging ihm dabei um die Diskriminierung zwischen Menschen und verschiedenen Bevölkerungsgruppen, und der kleine Roboterjunge Astro Boy stellte sich hier immer dann als Vermittler und als Mensch oder als Roboter, der besser ist als die Menschen, heraus.
Und diese Botschaft wurde jedoch im Laufe der Zeit sozusagen umgewandelt, und es wurde der Roboter als technisches Symbol gesehen, das Japan jetzt wieder Hoffnung gibt nach einem verlorenen Krieg und nach der technischen Unterlegenheit, die ja dazu geführt hat, dass Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, und da wurde Astro Boy, der im Japanischen nämlich Tetsuwan Atomu heißt, wo man schon das Wort Atom auch hört, eben als Hoffnung für eine friedliche Nutzung von Technik aufgebaut.
Bis heute beeinflusst Astro Boy das Roboterbild in Japan
Kassel: Und diese Figur, die – jetzt mal Kopfrechnen – vor 65 Jahren das erste Mal publiziert wurde, die beeinflusst wirklich das Bild von Robotern bis heute in Japan?
Wagner: Ja, das kann man so sagen. Sie wird auch immer weiter wieder befeuert. Beispielsweise war sein Geburtstag im Jahr 2003, also sein fiktiver Geburtstag, dann wurde in diesem Jahr zahlreiche Ausstellungen, Messen veranstaltet mit ihm als Motto. Auch heute noch werden in Wissenschaftsmuseen, wird Astro Boy genommen, um eben damit Technik zu erklären. Buchtitel lauten zum Beispiel "Robotik verstehen mit Astro Boy".
Und ganz aktuell wird sie verwendet auch im Rahmen der Roboterrevolutionsstrategie der japanischen Regierung, beispielsweise in der Präfektur Kanagawa, wo eine Robotik-Special-Zone entstanden ist, in der Roboter im Alltagsleben getestet werden sollen, und wenn Sie da sich informieren möchten, gibt es eine Webseite, auf der Astro Boy dann alles genau erklärt und wieder auf die Figur Bezug genommen wird und so eben auch ein positives Bild der Technik vermittelt werden soll.
Kassel: Das heißt aber auch – das haben Sie ja damit schon erwähnt –, die japanische Regierung propagiert das regelrecht, also eine Zukunft, in der Roboter eine größere Rolle spielen werden. Mit welcher Begründung? Hat das auch was mit der Altersstruktur der japanischen Bevölkerung zu tun? Also sagt man quasi, wir brauchen Roboter, weil wir nicht mehr genug Menschen haben?
Wagner: Genau, das ist das Standardargument, wenn man die Strategiepapiere der japanischen Regierung liest, und aus diesem Grunde sollte eben die Roboterrevolution jetzt dafür sorgen, dass die fehlenden Menschen durch Roboter ersetzt werden und zwar besonders in den Bereichen Altenpflege, Medizin, aber eben auch zum Beispiel Sicherheit - oder in der Industrie sowieso.
Der Roboter als Marketingtool
Kassel: Ist das nur Gerede oder spürt man das jetzt schon im Alltag? Wir haben ja manchmal dort schon das Gefühl, wenn es Zeitungsartikel gibt über eine Hotelrezeption mit Robotern, Pflegeroboter, dass man in Japan quasi den Robotern schon gar nicht mehr aus dem Wege gehen kann. Ich frage es mal ein bisschen harmloser: Begegnet man Robotern schon im Alltag heute in Japan?
Wagner: Nein, nicht unmittelbar. Also da muss man dann schon wirklich suchen, also Showräume begehen oder eben in Wissenschaftsmuseen. Natürlich gibt es zahlreiche Prototypen, die zum Beispiel in Seniorenheimen getestet werden, oder eben es gibt spielzeugartige Roboter sicher in einer großen Fülle, und der Roboter, der ja zurzeit sehr in aller Munde ist, Pepper, der steht für eine Art Maskottchen für die Firma Softbank, und dort wird der Roboter eigentlich auch nur so als ein Marketingtool verwendet.
Aber selbst den sehen Sie natürlich nicht durch die Straßen laufen. Diese Vorstellung davon, dass in Japan die Zukunft schon begonnen habe und wir nur noch nach Japan gucken müssen, um zu sehen, wie es dann aussieht, das ist ganz sicher ein Vorurteil und etwas, was sich aber anscheinend in den Medien immer wieder sehr gut verkauft.
Forderung nach einer Roboterethik-Charta
Kassel: Gibt es denn in Japan selbst auch Kritiker dieser möglichen Entwicklung, also Menschen, die wirklich ganz konkret davor warnen, zu stark auf Roboter zu setzen im Alltag?
Wagner: Ja, gibt es in Japan auch. Also es gibt auch gerade in der jüngeren Generation der Technikphilosophen, Techniksoziologen einige, die jetzt fordern, eine Roboterethik-Charta für Japan zu entwickeln. Allerdings muss man sagen, es ist eben in Zeiten, in denen Technik auch für die Wirtschaft ja eine sehr wichtige Bedeutung zukommt und die japanische Regierung auch insbesondere nach der Fukushima-Katastrophe jetzt für ein positives Image wieder der japanischen Technik werben möchte, ist es sehr schwierig, diese Diskussion zu führen.
Aber es gibt auch unter den Robotikern einige, die zum Beispiel sagen, was soll das denn dann für eine Gesellschaft sein, wer kann sich denn einen Roboter leisten, wir haben doch jetzt ein Problem eher mit Jugendarbeitslosigkeit und mit einer Armutsrate, können Roboter das beheben oder tragen die dann nicht eher dazu bei, dass die Gesellschaft weiter gespalten wird, nämlich Leute, die sich Roboter leisten können und welche, die es nicht können. Ja, solche kritischen Stimmen gibt es durchaus, man muss aber sagen, die sind natürlich in den Medien nicht so präsent.
Kassel: Die Japanologin und Autorin des Buches "Robotopia Nipponica", Cosima Wagner, über das tatsächliche Verhältnis der Japaner zu Robotern und woher es denn kommt. Frau Wagner, herzlichen Dank für das Gespräch!
Wagner: Ja, danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.